Ein Festmahl für Ehrenamtliche in der Rostocker Nikolaikirche Sechs Engagierte erzählen: "Was man zurückkriegt, kann man nicht mit Geld aufwiegen"

Von Annette Klinkhardt

Zu einer "Welt.Mahl.Zeit" hatte die Ökumenischen Arbeitsstelle im Kirchenkreis Mecklenburg einladen.

Fotos: A. Klinkhardt

15.05.2023 · Rostock. Sie begleiten Flüchtlinge zu Behörden- und Arztbesuchen, sie sammeln Spenden für Aidswaisen in Tansania, sie backen Kuchen für interkultuelle Cafés, sie schreiben die Geschichten über den Alltag von Frauen auf und lassen Menschen aus aller Welt selbst einmal zu Wort kommen: Die vielen Ehrenamtlichen, die sich in den Kirchengemeinden oder über kirchliche Einrichtungen engagieren.

In der Rostocker Nikolaikirche wurden rund 120 von ihnen am Sonnabend (13. Mai) gefeiert: Die ökumenische Arbeitsstelle im Kirchenkreis Mecklenburg hatte geladen und Pastorin Anja Fischer, Änne Lange und Regina Möller bedienten die Ehrenamtlichen beim Vier-Gänge-Menü. Zwischen den Speisen wurde aufgespielt und getanzt. Bischof Tilman Jeremias hielt eine Laudatio.

 

Mit sechs der vielen Ehrenamtlichen, die sich für ein friedliches Zusammenleben von Menschen aus aller Welt in unserer Region und für eine weltweit gerechtere Verteilung des Reichtums engagieren, hat Annette Klinkhardt gesprochen.

 

"Es fing an mit einem Aidswaisenprojekt"

Lothar Brockmöller, seit 2004 gemeinsam mit seiner Frau Heike im Güstrower Tansaniakreis:

 

Wie engagieren Sie sich?

 

Gleich nach der Wende hatten wir einen Eine-Welt Arbeitskreis gegründet. Weil wir der Meinung waren, wir leben auf der reichen Seite der Welt und andere haben es nicht so gut und es müsste doch versucht werden, den fairen Handel in Gang zu bringen und über Projektarbeit in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Über Vermittlung durch den damaligen Ökumene-Pastor Hans Kasch kam die Partnerschaft mit der Kirchengemeinde Mtii in Tansania zustande. Meine Frau und ich sind von Anfang an dabei. Wir sind 12 Mitglieder und gehören zur Güstrower Domgemeinde.

 

Es fing an mit einem Aidswaisenprojekt. Die Eltern waren an Aids gestorben und die Kinder lebten jetzt entweder bei ihren Großeltern oder nur der Großmutter. Dann haben wir die Frage gestellt, wie könnten wir euch besser helfen, sollte es ein Waisenhaus sein oder sollte es eine Unterstützung in der Gemeinde sein. Wir waren froh, dass sie sich gegen ein Waisenhaus entschieden haben, denn dann wäre es zur Abschottung gekommen. Wir haben dann Streetworker ausbilden lassen, die sich um die Waisen vor Ort gekümmert haben und von uns bezahlt wurden. Das lief sehr gut. Das Geld ist alles über Spenden gekommen. Da kommt einiges zusammen, weil die Leute merken: Das geht direkt dort hin.

 

Bekommen Sie auch etwas zurück?

 

Das beruht sehr auf Gegenseitigkeit. Geld ist nun mal wichtig und das muss auch sein, sonst würden wir da gar keine Projekte machen können. Aber andererseits bekommen wir sehr viel zurück in dem Sinn, dass man sieht, wie man sich auch über kleine Dinge freuen kann. 2010 waren meine Frau und ich mit in Tansania und konnten dort auch unterschiedliche Gemeinden kennenlernen.

 

Als wir dort angekommen sind, da waren gleich Hunderte von Kindern um uns herum, die eigentlich in armseligen Verhältnissen leben, aber man hat trotzdem ihre Lebensfreude gesehen und auch bei den Erwachsenen sieht man sehr viel Lebensfreude trotz alledem.

 

Wir waren in einfachen Hütten untergebracht, die nur mit Kalk bestrichen waren. Ich bin zwar auf dem Dorf aufgewachsen im Kreis Ludwigslust, wir kannten schon auch einfachere Verhältnisse, aber diese Verhältnisse waren noch einfacher. Da haben wir gesehen, es muss nicht immer mehr und mehr und mehr sein. Das sieht man an vielen Leuten, die sich hochgearbeitet haben, die sind auch nicht zufriedener. Eigentlich war mir das rational immer schon klar, aber ich habe es jetzt emotional miterlebt, wie man auch an kleinen Dingen Freude haben kann.

 

Weitere Infos zum Güstrower Tansaniakreis

 

"Was ich zurückkriege, kann man mit Geld nicht aufwiegen“

Joana Winkler, engagiert sich in Bad Doberan für geflüchtete Frauen: 

 

Wie engagieren Sie sich?

 

Ich engagiere mich in Bad Doberan in der Frauenarbeit, teilweise bezahlt als Sprachlehrerin und darüber hinaus in verschiedenen Frauengruppen. Da geht’s darum, dass man einen Raum der Begegnung schafft, wo die Frauen sich wohlfühlen und ihre Sorgen erzählen können.

 

Die Sprachkurse finden einmal in der Woche statt. Ich engagiere mich ehrenamtlich für einzelne Treffen und ganz unverbindlich in einem Sprachcafé. Ich geh auch mal den ein oder anderen Weg, wenn sie etwas erledigen müssen. Die Frauen, die im Alltag jetzt Hilfe brauchen, kommen hauptsächlich aus Afghanistan, Irak, der Ukraine und Russland. Manche kommen regelmäßig zu den verschiedenen Veranstaltungen - im Gemeindehaus Bad Doberan ist immer viel los - und man merkt, dass viele sich wirklich dort wohlfühlen. Wir arbeiten sehr engmaschig mit den Integrationsberaterinnen zusammen.

 

Die Kirche ermöglicht uns, dass wir das Café in der Gemeinde machen können. Der Betrieb steht auf den Schultern ehrenamtlich engagierter Frauen, die in der Kirche aktiv sind. Man kann das nicht trennen.

 

Hat Ihr Engagement etwas mit Ihrem Glauben zu tun?

 

Ich komme aus der Baptistengemeinde und bin schon als Kind gläubig gewesen. Den Part mit der Nächstenliebe habe ich für mich immer sehr ernst genommen und versucht, soweit meine Kräfte reichen, das umzusetzen.

 

Bekommen Sie auch etwas zurück?

 

Was mir das Engagement zurückgibt, das kann man nicht mit Geld aufwiegen: Das ist dieses Vertrauen, das einem die Frauen entgegenbringen und diese Gemeinschaft untereinander, das ist etwas ganz Besonderes. Gerade in der direkten Frauenarbeit. Das ist erstaunlich, was das für feste Bande knüpfen kann. Das bereichert mein Leben sehr.

 

"Wir können uns gar nicht vorstellen, was sie durchgemacht haben"

Vera Schwarz, engagiert sich für Geflüchtete aus der Ukraine in Linstow (Landkreis Rostock):

 

Wie sieht Ihr Engagement aus?

 

Ich unterrichte jetzt seit einem Jahr Deutsch für die ukrainischen Flüchtlinge in Linstow. Ich bin Mitglied im Linstower Heimatverein, in dem es um das Schicksal der vertriebenen Wolhynier geht, und war früher Sprachenlehrerin für Englisch und Russisch. Anfangs hatten wir 10, 12 Schülerinnen und Schüler, dann wurden es weniger. Einige haben Arbeit gefunden und sind umgezogen.

 

Über den Unterricht hinaus kann ich sehr viel ehrenamtlich helfen: Ich habe Erfahrung mit Ämtern, mit Ärzten und all diesen Behörden, die wichtig sind. Ich habe gute Verbindungen und versuche, dass ich die Geflüchteten in Arbeit bringe. Einem habe ich eine Arbeit besorgt, eine sehr gut bezahlte Arbeit. Der andere Teilnehmer aus dem Kurs hat in München Arbeit gefunden.

 

Warum engagieren sie sich?

 

Das ist so drin bei mir. Ich engagiere mich gerne für Menschen, ich helfe gerne Menschen. Ich weiß, dass diese Menschen viel Schlimmes erlebt haben, und das war für mich eine Herzenssache. Ich kenne das so, wir sind eine große Familie, und wir helfen uns immer.

 

Wir wissen gar nicht, was diese Menschen erlebt haben. Die sind ja ohne irgendetwas hergekommen, die hatten ja nichts. Wir haben ihnen Kleidung gegeben und Möbel. Das wurde alles organisiert, auch von der Kirchengemeinde. Als ich die ersten Stunden Unterricht gegeben habe, habe ich gedacht, Vera, was machst du hier, das kannst Du gar nicht stemmen. Ich bin kein Psychologe! Aber jetzt, wenn man das so sieht, sie sind fröhlicher geworden, sie sind aufgeschlossener.

 

Bekommt man auch etwas zurück?

 

Auf jeden Fall. Wir sind alle gut befreundet, ich bin immer eingeladen zum Essen, Schwatzen und Garten ansehen und all diese Dinge, die so zum Leben gehören. Und ich lerne ganz viel von ihrer Kultur kennen: Tanz, Gesang, Esskultur, sie kochen und backen.

 

"Es macht Spaß, wirklich!"

Josefine Engelmann (17), engagiert sich seit einem halben Jahr im Treffpunkt Suppenküche der Münstergemeinde Bad Doberan:

 

Wie sieht Ihr Engagement aus?

 

Jeder kriegt seine Aufgaben oder Bereiche, die er gerne machen möchte. Ich mache als Küchenhilfe alles, ich helfe dem Koch und mache alles Mögliche im Hintergrund. Wir haben zwischen 25 und 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Stammkunden haben wir so etwa 40, im Sommer kommen sogar um die 200 Gäste täglich, wenn nicht sogar mehr.

 

Gefällt Ihnen die Arbeit in der Suppenküche?

 

Es macht Spaß, mit den Leuten zu arbeiten. Es gibt auch sehr viele Events, wo viele Leute zusammenfinden. Manche von den Ehrenamtlichen haben Probleme, mit der Welt zurechtzukommen. Da hilft dieses Engagement sehr. Und mir persönlich macht es sehr viel Spaß, wirklich!

 

Weiter Infos zur Suppenküche der Münstergemeinde Bad Doberan

 

"Was man zurückbekommt, ist Wahnsinn!"

Claus Oellerking, engagiert sich mit einem Zeitungsprojekt und einem Podcast:

 

Wie engagieren Sie sich?

 

Wenn ich Leute frage, aus wie vielen Ländern die Menschen in Schwerin stammen, kommt als Standardantwort immer eine Zahl zwischen 25 und 30. Die Statistik sagt 102, und es sind natürlich bedeutend mehr Menschen. Ich bin dann eines Tages zur SVZ gegangen und habe gesagt, wenn Sie die Vielfalt in Schwerin darstellen wollen, dann stellen Sie diese Personen über einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren vor. Der Chefredakteur meinte, dann schreiben Sie die Texte doch. Das war 2019. Inzwischen haben wir 97 Personen aus 97 Ländern jeweils auf einer ganzen Seite porträtiert. Die 100 will ich noch schaffen.

 

Wie kam es zu Ihrem Engagement?

 

Ich habe 2015 spontan angefangen, Flüchtlingen aus Syrien zu helfen. Und es hat mich unheimlich gestört, dass viele Leute sehr abwertend über Flüchtlinge gesprochen haben oder glaubten, Schwerin sei eine besonders deutsche Stadt. Dabei ist die Realität eine andere. In Köln würde die Müllabfuhr zusammenbrechen, wenn sie keine Ausländer mehr hätten und in Schwerin die medizinische Versorgung. Wenn die Leute ins Theater gehen, dann tanzen dort Leute aus der ganzen Welt. Die Musiker kommen aus fünf Nationen.

 

In dem Zuge ist auch die Idee zum Podcast entstanden. Der heißt „Man müsste mal…“ und Andreas Lußky und ich laden immer Gäste ein, die nicht nur sagen, oh, man müsste jetzt echt mal, sondern die was tun. In einer der letzten Folgen habe ich mit jemandem gesprochen, der sich engagiert für einen Skatepark für junge Leute.

 

Was bekommen Sie zurück?

 

Was man zurückkriegt, ist Wahnsinn! Ich habe ein Netzwerk von Leuten aus über 100 Ländern. Wenn ich was brauche, eine Adresse, eine Idee, kriege ich das im Nu. Wir organisieren gerade eine Leseveranstaltung in Schwerin. Da lesen Menschen in unterschiedlichen Sprachen aus unterschiedlichen Werken, auch eigenen, vor. Das mache ich nicht mit links, aber dafür habe ich ein Netzwerk. Wir hatten jetzt Gäste aus Kuba, dann schreibe ich in meine kleine Gruppe, da sind Leute aus Nicaragua, aus Kuba aus Honduras, die sprechen alle Spanisch, die übersetzen dann. Das ist ein unglaubliches Geschenk.

"Ich profitiere davon, weil ich so viele unterschiedliche Perspektiven kennenlerne"

Theresia Michael (19), engagiert sich beim Verein Tutmonde in Stralsund:

 

Wie engagieren Sie sich?

 

Ich engagiere mich, seit ich 14 bin, bei Tutmonde in Stralsund, einem Verein mit Schwerpunkt Migration, Feminismus und Kinderschutz.

 

Die meisten Mitarbeiterinnen bei uns sind geflüchtete Frauen, wir haben direkt die migrantische Perspektive aus dem Iran, Syrien, Kurdinnen aus der Türkei, aus der Ukraine, Kolumbien.

 

Dieses Jahr bin ich in den Vorstand eingetreten. Im Moment arbeite ich mit einer Berliner Journalistin zusammen an einem Projekt namens „Iwoman“. Da porträtieren wir Frauen aus Ostdeutschland in ihrem Alltag und stellen ihre Arbeit vor. Frauen aus aller Welt, die in Ostdeutschland leben. Es haben sich schon ganz viele Frauen bei uns gemeldet, die ihre Geschichte erzählen wollen, auch eine Zahnarzthelferin oder eine Fotografin aus Afghanistan. Deutschland hat die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN unterschrieben und wir prüfen das im Alltag der Frauen. Das geht von Armut über Hunger und Partnerschaft bis Frieden.

 

Als ich mit 14 angefangen habe, stand der Verein ganz am Anfang, meine Mutter ist dann später Geschäftsführerin geworden. Damals habe ich zusammen mit anderen eine Broschüre gemacht, die heißt „Nachhaltigkeit nur mit uns“.

 

Was bekommen Sie zurück?

 

Sehr viel Dankbarkeit. Und ich profitiere davon, dass ich so viele verschiedene Perspektiven auf die Welt kennenlerne, mein interkulturelles Verständnis ist gewachsen. Ich gehe nächstes Jahr für ein Jahr nach Brasilien und arbeite in einer NGO. Dann studiere ich und ich glaube auf jeden Fall, dass ich etwas Idealistisches machen werde.

 

Ich glaube, dass es so etwas wie uns geben muss, sonst endet die Welt nicht gut. Allerdings merke ich auch, dass immer müder werde, mit Menschen zu diskutieren, die keine Geflüchteten hier haben wollen. Es ist zwar ein Kampf und wir werden nie so weit kommen, dass alles super wird. Aber man muss trotzdem daran arbeiten. Sobald man aufhört, daran zu arbeiten, wird es nicht gut enden.

 

Der Verein hat 2020 den Förderpreis Eine Welt MV gewonnen. Weitere Infos


Weitere Impressionen vom Empfang am 13. Mai aus der Rostocker Nikolaikirche (Fotos: A. Klinkhardt):