"Schablonen machen Verständigung unmöglich" EKD-Ratsvorsitzende Kurschus warnt vor Schablonen im Denken

21.09.2022 · Stade. Krieg und Krisen belasten die Menschen, die Gesellschaft steht vor einer Zerreißprobe: Jetzt sind Deeskalation, Solidarität und Zusammenhalt gefragt, sagen die EKD-Ratsvorsitzende Kurschus und Regionalbischof Brandy bei einem Empfang in Stade.

In der Diskussion um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine warnt die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, vor einer Logik aus Gewinnern und Verlierern, Siegen und Niederlagen. „Schablonen machen Verständigung unmöglich“, sagte Kurschus beim Michaelis-Empfang der hannoverschen Landeskirche in der Stader St.-Wilhadi-Kirche bei Hamburg. Das einzige, was in diesem Konflikt gewonnen werden könne und müsse „ist der Frieden“. Der Stader Regionalbischof Hans Christian Brandy rief angesichts der Krisen in der Gesellschaft zu Solidarität und Zusammenhalt auf.

 

Die westfälische Präses sagte in einer „Zeitansage in Krieg und Krise“, das Kriegsende in der Ukraine komme nicht, weil keine Munition mehr da sei, sondern weil verhandelt werde. Deshalb sei es auch wichtig, dass die Gesprächsfäden nicht abrissen. Kurschus führte aus, sie befürworte eine Politik der Deeskalation und der Vorsicht. Sie warnte in diesem Zusammenhang vor Pathos etwa in der Formulierung, die Ukraine verteidige wesentliche westliche Werte: „Die Ukrainer verteidigen zuerst ihr Leben, ihre Freiheit und die Souveränität ihres Landes.“

 

„Ich weigere mich, die komplizierte Wirklichkeit simpel zu machen“, warb Kurschus in ihrem Vortrag vor mehreren hundert Gästen aus Politik, Kirchen und Gesellschaft für einen differenzierten Blick der Kirche auf den Krieg in der Ukraine. Die Kirche könne und müsse es sich leisten, von Zweifeln und Ambivalenzen zu sprechen „und von der Notwendigkeit der Versöhnung, gerade da, wo sie vermeintlich keine Chance hat“. Dabei gehe es nicht um Besserwisserei, sondern um Ermutigung und eine Schärfung des Gewissens.

 

Kurschus betonte das Selbstverteidigungsrecht der Ukrainer und sagte auch, Waffenlieferungen in diesem Zusammenhang seien aus christlicher Sicht „als das geringere Übel zu verantworten“. Sie seien aber an die Aufgabe gebunden, für Recht und Frieden zu sorgen. Mit Blick auf die besondere Verantwortung von Christinnen und Christen in Krieg und Krise bekräftigte die Ratsvorsitzende, sie hätten die Aufgabe, „der Hoffnung den Platz frei zu halten: Hoffnungslosigkeit können wir uns nicht leisten, dazu ist die Lage zu ernst.“

 

Regionalbischof Hans Christian Brandy sagte in seinen einführenden Worten: „Unsere Gesellschaft ist herausgefordert wie lange nicht und steht vor großen sozialen Spannungen.“ Die Krise reiche bis hinein in die Mittelschicht. Angesichts der totalen Unberechenbarkeit des Lebens machten sich immer mehr Menschen Sorgen. Jetzt seien praktische und politische Hilfe gefragt genauso wie die Seelsorge der Kirchen.

Quelle: epd