Dankempfang der Propstei Wismar Bachmann-Preisträgerin Helga Schubert las für Kirchenälteste

Helga Schubert

Foto: C. Meyer

04.11.2022 · Schwerin/Wismar. Eine Kindheit als Flüchtling, DDR-Alltag, Herbst 1989 - ein deutsches Jahrhundertleben und die Erzählung einer Mutter-Tochter-Beziehung. Die Autorin Helga Schubert erzählt Geschichte auch als Versöhnung – mit ihrer Mutter, ihrem eigenen Leben und sich selbst. Die bei Schwerin lebende Autorin las auf Einladung von Propst Marcus Antonioli dieser Tage auf dem Dankempfang für Kirchengemeinderäte aus der Propstei Wismar im Schweriner Wichernsaal – und begeisterte die gut 140 Zuhörer.

Doch zunächst begrüßte Propst Antonioli diejenigen, die im Mittelpunkt des Abends standen: Frauen und Männer, Junge und Ältere, die seit sechs Jahren als Mitglieder in Gemeinderäten die Geschicke der rund 50 Kirchengemeinden in der mecklenburgischen Propstei Wismar leiten.

 

Eine Wahlperiode, die jetzt zu Ende geht und in der es in der Propstei „Strukturveränderungen mit 20 Gemeindefusionen gab, zig Stellenwechsel von Mitarbeitenden und die herausfordernde Corona-Zeit“, blickte der Propst zurück und fügte hinzu: „Deshalb freue ich mich, Ihnen allen heute im Namen des Kirchenkreises Mecklenburg einmal herzlich Danke sagen zu können. Sie haben an all dem und noch mehr engagiert mitgewirkt.“

 

Der Titel des Schubert-Buches „Vom Aufstehen: Ein Leben in Geschichten“ – übrigens schon 200.000 verkauft – passt laut Propst Antonioli gut zu kirchlichen Situation. „Denn das Aufstehen üben wir in unseren Gemeinden. Zudem kommen wir als Kirche in den Büchern von Helga Schubert ziemlich gut vor und weg.“

 

Die gute Botschaft zu verkünden, sei die Hauptaufgabe der evangelischen Kirche. Dafür brauche es verantwortliches Handeln und Leiten sowie demokratisches Mitgestalten. Beim Blick auf die kommenden Kirchengemeinderäte, die am 1. Advent neu gewählt werden, bekannte der Propst: „Wir müssen die Komfortzonen in den kommenden Jahren verlassen. Wir müssen als Kirche bei den Menschen sein, Trost, Kraft und Lebensmut spenden, damit Menschen Aufstehen können – geistig und geistlich.“

 

Kleine Episoden aus dem täglichen Leben: witzig, tiefgründig und ironisch

 

Diese Worte waren eine Steilvorlage für die Lesung von Helga Schubert. Denn das Material für ihre literarischen Werke speist sich aus der eigenen Biografie: eine Flüchtlingskindheit, die durch Vaterlosigkeit und emotionale Kälte der Mutter bestimmt wird, doch auch Orte der Zuflucht wie den Sommergarten der Großmutter kennt, die Enge der DDR, die deutsch-deutsche Wendezeit, ihr Haus in Mecklenburg, ihr Ehemann und der Bauer auf dem Nachbarhof, Sohn und Enkelin und das Altwerden. Es ist die Fülle eines reichen Lebens, das gelingt, weil es das Aufstehen und Wieder-Aufstehen zum Prinzip hat.

 

Banales und Außergewöhnliches, Trauriges und Komisches liegen in ihren Geschichten dicht beieinander. Und es dreht sich irgendwie alles um Leben und Tod. Ausgangspunkt ist der tägliche Wahnsinn, aber schnell wenden sich ihre Geschichten der nahen und fernen Vergangenheit zu. Zwischen den roten Buchdeckeln fischt die Autorin im Schweriner Wichernsaal kleine Episoden raus, wie diese: Drei Heldentaten habe sie in ihrem Leben vollbracht, erklärt Helga Schuberts Mutter ihrer Tochter: Sie habe sie nicht abgetrieben, sie im Zweiten Weltkrieg auf die Flucht mitgenommen und sie vor dem Einmarsch der Russen nicht erschossen.

 

Schuberts Geschichte ist Fiktion und Wahrheit zugleich. Doch vor allem ist es die Geschichte einer Versöhnung: mit der Mutter, einem Leben voller Widerstände und sich selbst. Das Besondere an dem Text ist, dass es „keine Wutrede, keine Abrechnung ist, sondern eine Annäherung an die Mutter, ein Verzeihen. Es sei ein Text, aus dem man lernen könne, wie man Frieden macht“, hieß es zur Begründung für den Bachmann-Preis. abcd

Zur Person 

 

Helga Schubert, geboren 1940 in Berlin, studierte an der Humboldt-Universität Psychologie. Sie arbeitete als Psychotherapeutin. Seit den 1960er-Jahren schreibt sie Prosa, Theaterstücke, Hör- und Fernsehspiele. In der Zeit Friedlichen Revolution bereitete sie als Pressesprecherin des Zentralen Runden Tisches die ersten freien Wahlen mit vor. Nach zahlreichen Buchveröffentlichungen zog sie sich aus der literarischen Öffentlichkeit zurück, bis sie 2020 mit der Geschichte „Vom Aufstehen“ den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann. Schubert lebt mit ihren Mann, dem Maler Johannes Helm, in Neu Meteln bei Schwerin.

Quelle: ELKM (cme)