Kirche Vipperow: Riesiges Bild des Weltgerichtes aus winzigen Farbresten im Kleinformat rekonstruiert

Von Hans-Joachim Kohl

Historienmaler Detlev Glöde erläutert sein akribisches Vorgehen bei der Rekonstruktion des Wandgemäldes im Kleinformat.

Fotos: Hans-Joachim Kohl

19.06.2022 · Rechlin/Vipperow. Eine kleine Auferstehung erlebt gerade das 25 Quadratmeter große Gemälde des Weltengerichtes in der Kirche Vipperow bei Rechlin (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte). Das fast bis zur Unkenntlichkeit verschwundene Gemälde aus dem Ende des 15. Jahrhunderts wurde vom Historienmaler Detlev Glöde im Kleinformat rekonstruiert. Jetzt wurde es der Kirchengemeinde Vipperow vorgestellt.

Nach der erfolgten restauratorischen Bestandsaufnahme forderte der Denkmalschutz die Bildfragmente des Weltengerichtes so zu sichern. Eine Auffrischung oder sogar eine vollständige Wiederherstellung des Gemäldes ließ die Behörde nicht zu. So kam der Förderkreis Vipperow „Kirche im Dorf e.V.“ auf die Idee, ein kleines Gemälde in Auftrag zu geben, damit Besucher erkennen können, wie das Bild einst höchst wahrscheinlich ausgesehen hat.

 

Aus den bräunlichen, schwarzen und grauen Farbflächen an der Wand zauberte der Maler Detlef Glöde aus Blumenthal bei Wittstock ein farbenfrohes 1,2 Quadratmeter großes Bild. Es soll als Druck später neben dem Wandgemälde hängen samt einer Erklärung für die Besucher. Zu sehen ist in der Mitte Jesus als Weltenrichter sitzend auf Wolken. Die Füße stützt er auf die Weltenkugel und einen Regenbogen. Der zweite Regenbogen führt hinter seinem Rücken durch. Rechts und links von ihm die zwölf Jünger. Neben seinem Kopf ein waagerecht angeordnetes Schwert und eine Lilie. Das Schwert ist das Symbol für das Gericht, die Lilie für die Reinheit. Auf der rechten, unteren Bildseite ist die Hölle dargestellt mit dem Teufel oder Satan davor, der versucht Menschen in die Hölle zu ziehen. Auf der linken Bildseite steht Petrus mit dem Schlüssel vor dem himmlischen Jerusalem. Davor eine Menschenmenge, die dem Himmel zustrebt. In der Mitte zielen die Erzengel Zadkiel und Michael mit einer Lanze auf den Teufel oder Satan. Das ist eine seltene Darstellung des Erzengels Michael im ausgehenden 15. Jahrhundert, denn er wird damals meist als Seelenwäger mit einer Waage dargestellt.

 

Etwa vier Monate hat Detlef Glöde gebraucht, um die Reste des Gemäldes zu analysieren, den Bildaufbau zu rekonstruieren und die Farben von damals zu erkennen. Eine absolute Kleinarbeit. „Denn 80 Prozent sind zerstört, da kann man manches nur erahnen“, erklärt Detlef Glöde. In der linken, oberen Hälfte des Bildes war einst ein Mauerdurchbruch für ein Ofenrohr. Sicher unbeabsichtigt, weil das Gemälde lange überstrichen und nicht zu sehen war.

 

Mit professionellen Fotos und Zeichnungen, der noch vorhandenen Strukturen, tastete sich Detlef Glöde an den ehemaligen Bildaufbau heran. Der konnte mit einem Vergleich zeitgenössischer Darstellungen bestätigt und ergänzt werden. Um die Farben des ehemaligen Wandbildes herauszufinden, sind Farbreste in einem Labor auf ihren Mineralgehalt getestet worden. Der organische Teil der damals aufgebrachten Farben war unwiederbringlich verloren. Anhand von Mineral- und Farbtabellen konnten die Farben und ihre Positionierung im Bild wieder gewonnen werden. Besondere Hilfe boten die beiden Regenbögen: „Die Regenbögen vor 500 Jahren sahen ja nicht anders aus als heute“, sagt Detlef Glöde und ergänzt: „Vermutlich von wandernden Kunstmalern aus Norditalien wurde diese hochprofessionelle Arbeit an die Nordwand der Kirche in Vipperow gemalt“. Warum das geschah, liegt im Dunkeln. „Die Kosten müssen immens gewesen sein“, erklärt er. „Heute wären das mehrere Millionen Euro. Allein die Farben sind höchst kostbar und kamen u.a. aus China, Afghanistan und Spanien“.

 

Georg Dehio erwähnt in seinem „Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler“ die Malereifragmente an der Nordwand (Ausgabe 2000) der Kirche. Friedrich Schlie schreibt in seinem Band V der „Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin“ von 1902 nichts von ihnen. Allerdings lässt sich aus seinem Text über das Kirchdorf Vipperow erschließen, dass entweder die von Hahns oder der Landesherr persönlich das Werk in Auftrag gegeben und bezahlt hatten. Zur möglichen Absicht des Bildes sagt Pastorin Verena Häggberg von der Kirchengemeinde Rechlin-Vipperow: „Damals konnten die Menschen ja nicht lesen und im Grunde genommen ist das aktive Bibellektüre. Es diente sicherlich ebenso der Mission und der Kirchenzucht.“

 

Nach der jüngsten Präsentation seines Rekonstruktionsversuches und seinen faszinierenden Erzählungen von seinem Vorgehen erhielt Historienmaler Detlev Glöde langanhaltenden Applaus von den fast 50 Besuchern in der Kirche Vipperow. „Damit ist“, so die Vorsitzenden des Fördervereins, Viktoria Schubert , „nach 12 Jahren die Arbeit für die Wiederherstellung der Kirche Vipperow abgeschlossen“. Der Verein wird als Freundeskreis Kirche Vipperow seine Arbeit für die Belebung der Kirche mit Kunst- und Kulturveranstaltungen fortsetzen. 

Quelle: ELKM (hjk)