Greifswalder Bachwoche feiert 75. Geburtstag "Ein Segensstrom aus Klang und Gebet“

Greifswalder Bachwoche: Solisten singen zwischen Plexiglasscheiben

Fotos: A. Klinkhardt

11.06.2021 · Greifswald. In einem Strandkorb auf Hiddensee entstand die Idee für die erste Bachwoche – in diesem Jahr feiert sie unter dem Motto „Paradiesisch 2.0.“ ihren 75. Geburtstag. Zum Jubiläum fand am Freitagabend (10. Juni) eine Geistliche Abendmusik statt.

Dabei führten der Schönberger Organist Christoph D. Minke und das Bachwochenorchester Kompositionen von zwei früheren langjährigen Bachwochenleitern auf: ein Orgelstück des 95-jährigen Manfred Schlenker, Leiter der Bachwoche von 1975 bis 1986, und die eigens für den Abend komponierte Collage B-A-C-H-wo-C-H-E-75 von Professor Jochen A. Modeß. Beide waren bei der Feier im Greifswalder Dom St. Nikolai anwesend.

 

Bischof Tilman Jeremias führte durch den Gottesdienst und sagte in einem Gebet an Gott gerichtet: „Mit der Musik hast du uns Wunderbares geschenkt, mit Herzen, Mund und Händen können und sollen wir dich loben, mit Stimme und Instrumenten. Unsere Abendmusik ist Teilhabe und Vorgeschmack des Gesangs deiner Engel.“

 

"Musik als Gottesdienst"

 

Im letzten Jahr noch fand die Bachwoche wegen der Pandemie ausschließlich digital statt. Der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Nordkirche bedauerte, dass in diesem Jahr auf große Konzerte, Chormusik und viele Besucher verzichtet werden müsste. Er fügte aber hinzu: „Wir lernen: Es tut gut, dass uns das Virus diktiert, die Bachwochenmusik ausschließlich gottesdienstlich zu hören. Bachwoche war ja immer Musik als Gottesdienst. Ein Segensstrom aus Klang und Gebet.“ Damit das Festival trotz Hygienevorgaben stattfinden kann, finden Aufführungen im Dom mit bis zu 200 Besucherinnen und Besuchern statt und werden auf die Domwiese übertragen sowie ins Internet auf dem YouTube-Bachwochenkanal.

 

Die Bachwochenleitung teilen sich in dieser Woche wie auch schon in den vergangenen zwei Jahren der Greifswalder Professor für Kirchenmusik Matthias Schneider, der künftige Bachwochenleiter Frank Dittmer und Hans-Jürgen Wulf, Hamburger Landeskirchenmusikdirektor der Nordkirche.

 

Wulf sagt: „Die Bachwoche ist eines unserer herausragenden geistlichen Festivals und wir können stolz darauf sein, dass diese Tradition mit der Nordkirche fortgeschrieben wurde. Das Besondere ist die Verzahnung von Liturgie und Konzert, regionaler Verankerung und überregionaler Ausstrahlung, von langer Tradition und der treuen Fangemeinde, die sich mit großer Begeisterung einlässt auf neue Programme und Ideen.“ Ein Musikfestival unter strengen Hygienevorschriften zu veranstalten, das sei schon eine Herausforderung gewesen: „Wir haben uns entschlossen, in sehr reduzierten Besetzungen aufzutreten mit einem Solistenquartett und einzelner Streicherbesetzung. Außerdem arbeiten wir mit Plexiglastrennwänden. So musiziert man auf relativ große Entfernung miteinander und mit ganz neuen Balanceverhältnissen. Aber wir verstummen nicht. Die Tatsache, dass wir überhaupt Musik machen können, macht uns einfach glücklich.“

 

"Wie ein Stück Schokolade"

 

Seit 20 Jahren besucht Claudia Lohse-Jarchow die Bachwoche. Als Rollstuhlfahrerin schätzt sie das „luftige“ Konzept dieser Bachwoche, das ihr mehr Raum bietet. Die Rückbindung an Gottesdienste tue der Bachwoche gut, sagt sie: „Ich finde sie sehr geistlich, sehr auf den Punkt, ich mag auch die kleineren Ensemble lieber. Es geht ja nicht darum, möglichst viele Konzerte zu konsumieren. Durch den langen Verzicht wird das in diesem Jahr ganz deutlich: Die Bachwoche ist wie ein Stück Schokolade und nicht gleich eine ganze Tafel.“

 

Eine berührende Festrede hielt der 95-jährige Manfred Schlenker. In zahlreichen Anekdoten beschrieb er, was es bedeutete, in den 1970er Jahren unter den Bedingungen der DDR und in einem maroden Dom die Bachwoche zu leiten. So erinnert er sich  noch lebhaft daran, wie ihm bei der Probe am ersten Tag der Bachwoche eine Kelle feuchten Mörtels auf die Partitur klatschte. Ein anderes Mal erhielt er eine Vorladung zum Rat der Stadt. Der Anlass: Einer seiner Kirchenmusikstudenten hatte auf dem Weihnachtsmarkt einem nachgeahmten Panzer, der zum Kinderkarussell gehörte, das Kanonenrohr abmontiert. Ein Grußwort per Video kam von Bildungsministerin MV Bettina Martin und dem Vorsitzenden der Neuen Bachgesellschaft Leipzig, Professor Christfried Brödel.

 

Von 1994 bis 2018 hat er die Bachwoche geleitet, nun war er als Besucher dabei. Über den Zauber der Greifswalder Bachwoche sagt Jochen A. Modeß: „Das ist die ‚Bachwochenfamilie‘, also dass viele Menschen immer wieder kommen und eine Bachwochengemeinde bilden. Auch dass Johann Sebastian Bachs Musik so trägt und dass sie immer wieder Menschen begeistert, das ist toll zu erleben.“ Was als eine Art Familienbetrieb mit Anneliese am Klavichord, Hans am Dirigentenpult und dem ältesten Sohn beim Umblättern der Partituren begann, entwickelte sich durch die Jahrzehnte zum Festival geistlicher Musik mit jährlich an die 10 000 Besucherinnen und 40 Konzerten in einer Woche. Das kleine Greifswald und die große Bachwoche – dazu sagt Jochen Modeß: „Das ist der große Vorteil, dass hier so eine unglaubliche Tradition dahinter steht. Ich weiß nicht wie das gehen könnte, so ein Festival jetzt neu zu beginnen. Man sieht es ja gegen alle möglichen Widerstände auch pandemischer Natur klappt irgendetwas und die Leute halten zusammen und tragen es weiter, es ist schon großartig.“

 

Das Festival geistlicher Musik im Norden endet am Sonntag, 13. Juni, mit einem Festgottesdienst um 10 Uhr. Bischof Tilman Jeremias hält die Predigt.

 

Weitere Informationen unter www.greifswalder-bachwoche.de

Quelle: Bischofskanzlei Greifswald (ak)