Tausenden Schiffbauern in MV droht die Arbeitslosigkeit Gebete für die Werftarbeiter

Von Sybille Marx

Riesige Kreuzfahrtschiffe wie die „Crystal Endeavor“ werden seit 2017 am Stralsunder Standort der MVWerften gebaut. Eine Entwicklung, die vielen in der Kirche nicht gefällt. Der Stralsunder Pastor Christoph Lehnert etwa hofft, dass die jetzige Werftenkrise zu einer Kursänderung führt.

Johannes Pilgrim

28.02.2021 · Stralsund/Wismar. Weil die Kreuzfahrtbranche coronabedingt ausgebremst ist, leidet auch der Schiffbau in MV. Von den rund 3000 Werftarbeitern soll über ein Drittel entlassen werden, heißt es. Die Kirche bietet Beistand an – trotz Zweifeln am Werftenkurs.

Wie es den Tausenden Werftarbeitern geht, die in MV seit Monaten um ihre Stellen bangen? „Schlecht“, sagt Pastor Christoph Lehnert. „Die Unsicherheit ist für sie schwer auszuhalten.“ Jeden ersten Montag im Monat laden Lehnert und Kollegen in der Stralsunder Marienkirche zum Friedensgebet ein, seit Jahren; vor zehn Tagen wurde die Andacht in die Nikolaikirche verlegt, weil rund 200 Werft-Mitarbeiter auf dem Markt in Autos demonstrierten, erzählt Thomas Nitz vom Kreisdiakonischen Werk Stralsund. St. Nikolai läutete für sie die Glocken. „Das kam gut an“, sagt er.

 

Auch in Wismar in den Gottesdiensten werden derzeit Fürbittengebete für die Werftmitarbeiter gesprochen, erzählt Thorsten Markert, Pastor an St. Marien und St. Georgen. „Wir gedenken der Situation der Werften, besonders der Mitarbeiter und ihrer ungewissen Zukunft.“

 

Seit November wird immer deutlicher, dass die MV-Werften, die in Stralsund, Rostock-Warnemünde und Wismar Schiffe bauen, erneut in der Krise stecken. Der Mutterkonzern Genting sei wegen coronabedingter Einbußen in der Kreuzschifffahrt ins Schlingern geraten, heißt es in einem NDR-Bericht. Von den rund 3000 Schiffsbauern in MV könnten 1200 entlassen werden, davon 400 in Stralsund, fürchtet die IG Metall Küste. Lokalpolitiker und Gewerkschafter fordern Finanzhilfe vom Bund, der Verband für Schiffbau und Meerestechnik eine Neuausrichtung der Werften. Wie es ausgeht, ist offen.


Natürlich, mal eben Arbeitsplätze schaffen kann die Kirche nicht, sagt Lehnert. „Aber seelsorgerliche Begleitung anbieten – das können und das wollen wir.“ Der Schiffbau sei in Mecklenburg-Vorpommern tief verwurzelt und die existenzielle Unsicherheit für jeden Werftmitarbeiter hart. „Niemand weiß, wen die Entlassungswelle treffen wird“, sagt Lehnert. „Auch für die Kinder und Ehepartner ist das belastend.“ Zumal die Werften schon mehrmals vor dem Aus standen, an neue Eigentümer verkauft wurden, zuletzt im Jahr 2016 an Genting Hongkong.

 

„Ketten am Himmel brauchen wir“

 

Was seitdem auf der Werft in Stralsund passiert, sehen Lehnert und viele andere kritisch. Kreuzfahrtschiffe, die zu den größten der Welt gehören, gehen dort vom Stapel, Kolosse wie die „Endeavor“, die mit 3000, 4000 Passagieren über die Weltmeere schippern. Ähnlich die Aida-Schiffe, die in Rostock entstehen. Abgesehen von der Umweltverschmutzung, die sie anrichten, seien sie „ein Riesenproblem für die Infrastruktur an den kleinen Urlaubsorten“, sagt Lehnert. „Die Passagiere gehen durch die Stadt und lassen ihren Müll da, aber nicht ihr Geld.“ Verköstigt, versorgt und unterhalten werden sie in ihren schwimmenden Hotels. Schon lange sei das nicht mehr zu verantworten, meint Lehnert. Er hofft, dass die Werften in Stralsund, Rostock und Wismar erhalten bleiben, künftig aber wieder „vernünftige“ Schiffe bauen. „Wir beten im Friedensgebet immer dafür, dass die Verantwortlichen weise Entscheidungen treffen mögen.“


Auch Thomas Nitz wünscht sich, dass die Werften in sicheres Fahrwasser kommen, und erinnert an das, was Wallenstein 1624 bei der Belagerung Stralsunds gesagt haben soll: „Und wenn die Stadt mit Ketten am Himmel befestigt ist, so werde ich sie dort herunterholen!“ Die Belagerung blieb erfolglos. Nitz meint: „Solche Ketten am Himmel brauchen wir für die Werften auch.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 09/2021