Zwischen Höllenangst und Seelenfrieden Seit Jahrhunderten ungehörte Musik erklingt in St. Nikolai

Druckbild der „Traur-Cypressen“ von Johann Martin Rubert (1662)

Reproduktion: Matthias Pech

28.08.2021 · Stralsund.

Unter dem Titel „Angst der Hellen und Friede der Seelen“ findet am Samstag, 4. September, um 19.30 Uhr ein Konzert in der Nikolaikirche am Alten Markt in Stralsund statt. Zur Aufführung kommen selten sowie noch nie gehörte Werke des 17. Jahrhunderts. „Höllenangst und Seelenfrieden – in diesem Spannungsfeld müssen sich die Menschen zur Zeit des 30-jährigen Krieges 1618 bis 1648 befunden haben“, schreibt Kirchenmusikdirektor Matthias Pech, unter dessen Leitung die Aufführung steht, im Programmheft. „Angst vor Zerstörung, Folter und Tod durch das Kriegsgeschehen, vor dadurch bedingter völliger Verarmung und Hunger und noch dazu vor Seuchen. Vielleicht deshalb wurde in vielen Gedichten dieser Zeit eine große Sehnsucht nach einem besseren Leben im Jenseits zum Ausdruck gebracht. Wahrer Seelenfrieden konnte nach diesem Verständnis nur dort, im Leben nach dem Tod, erworben werden…“ Diese Musik stehe „durchweg im Spannungsfeld zwischen Todesangst und Friedenssehnsucht.“ Ein Stück handle von einem frühen Glaubenskämpfer, dem Saulus von Tarsus und seiner Bekehrung durch Christus, und stamme aus der Feder von Heinrich Schütz, der zwar nicht aus Pommern kam, der aber eine der prägendsten Komponistenpersönlichkeiten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch für Norddeutschland gewesen sei.

 

Musik in detektivischer Kleinarbeit zusammengetragen

 

Jahrelange Vorbereitungen waren für das Zusammentragen des Notenmaterials und dessen Erschließung nötig. Ursprünglich sollte die Musik im Gedenken an den „Stralsunder Frieden“ von 1370 schon im vergangenen Jahr erklingen. Das war wegen der Pandemie jedoch nicht möglich. Einige der Kompositionen stammen direkt aus der Hansestadt Stralsund und von Amtsvorgängern der heutigen Kantoren. Die Namen der Komponisten - Vierdanck, Rubert, Hoffmann, Fromm, Flitner, Rautenstein und andere - sind größtenteils vergessen und doch haben sie wunderbare Musik hinterlassen. „Die Mehrzahl der aufgeführten Werke ist nie gedruckt erschienen, sondern liegt nur in den originalen Handschriften oder in Drucken des 17. Jahrhunderts vor“, merkt Matthias Pech an, der in detektivischer Kleinarbeit die Musik zusammengetragen hat. Darunter befindet sich auch die Urfassung der Melodie des Kirchenliedes „Lobe den Herren, den mächtigen König“. In Millionen von Gesangbüchern für den kirchlichen und persönlichen Gebrauch steht an diesem Lied der Hinweis auf Stralsund um 1665 als Geburtsort. Die Melodie, die auf den auch in Stralsund tätigen Johann Martin Rubert (1614–1677) zurückgeht, gehört heute in Korea und Südafrika, in Australien und Amerika ebenso wie im katholischen und evangelischen Europa zum Liedgut der etwa zweieinhalb Milliarden Christen weltweit.

 

Ensemble mit historischen Instrumenten

 

„Wir singen am 4. September quasi die Urform dieses weltumspannenden Kirchenliedes, die in Stralsund entstanden ist“, so Matthias Pech weiter. Dafür hat er in den vergangenen Jahren in Bibliotheken bis hin zur Staatsbibliothek Berlin gesucht, geforscht und entdeckt. „Die Sachen liegen in Archiven in Greifswald, Stralsund, Gotha, Wolfenbüttel, Hannover und anderswo“. Allein dieser Tatbestand mache die Aufführung sehr besonders. Allerdings „verdanke ich wichtige Hinweise, auch auf Lebensläufe der Komponisten, den Veröffentlichungen von Prof. Peter Tenhaef und Prof. Burkhardt Köhler“, so der Kirchenmusiker. Dankbar sei er vor allem für die „wertvolle Hilfe bei der Notensuche durch Universitätsmusikdirektor i.R. Ekkehard Ochs sowie Dr. Beate Bugenhagen und Dr. Immanuel Musäus in Greifswald“. Auch wenn mit „der Hellen“ im Titel die Hölle gemeint sei und die Worte und Töne großenteils mit der Schreckenszeit des 30-jährigen Krieges verbunden seien, kann „uns, die wir mehr als 75 Jahre im Frieden leben dürfen, gerade diese Musik zu Demut und Dankbarkeit bringen“, sagt Matthias Pech. So lautet der Untertitel des Konzerts auch „Pommersche Musik des 17. Jahrhunderts zu Krieg und Frieden“. Die Aufführung wird von Gesangssolisten und -solistinnen, dem Bachchor und dem Kammerchor an St. Nikolai sowie einem Ensemble mit historischen Instrumenten gestaltet. Nähere Informationen zu den Verfassern und ihren Werken bietet ein umfangreiches Programmheft, das Konzertgäste am Eingang erhalten. Eintrittskarten sind ab sofort beim Stralsunder Schmuckhaus Stabenow am Rathaus und im Eingang der Nikolaikirche erhältlich.

Quelle: PEK (sk)