Bundestagsanhörung zu Zwangsadoptionen in der DDR "Traumatisch und schmerzhaft bis heute"
Von Christine Xuân Müller
25.06.2018 · Berlin. Der Bundestag hat sich mit dem Thema Zwangsadoptionen in der DDR befasst. Im Petitionsausschuss wurden dazu am Montag Betroffene und Sachsverständige angehört. Die Aufarbeitung des schmerzhaften Themas steht allerdings noch ganz am Anfang.
Es sind gravierende Vorwürfe: In der DDR sollen Kinder von systemkritischen Eltern zur Zwangsadoption freigegeben worden sein. Andere Mütter zweifeln den Tod ihres Babys an und vermuten, dass der angebliche Säuglingstod von DDR-Behörden nur vorgetäuscht wurde, um ihr Kind in eine andere Familie zu geben. Am Montag befasste sich der Petitionsausschuss des Bundestages mit dem Thema Zwangsadoptionen und staatlichem Kindesentzug in der DDR. Bei der Anhörung kamen neben Betroffenen auch Historiker und Rechtsexperten zu Wort.
Klar wurde dabei, dass die Aktenlage zu diesem, für die Betroffenen schmerzvollen Thema dünn ist. Dennoch wolle der Bundestag alles tun, um dieses DDR-Unrecht weitestgehend aufzuklären, sagte der Ausschussvorsitzende Marian Wendt (CDU). Bereits am Dienstag soll das Thema in einer Aktuellen Stunde zur Sprache kommen. Erst Anfang April hatte die "Interessengemeinschaft gestohlene Kinder der DDR" eine Petition an den Bundestag eingereicht und darin die Aufarbeitung des bislang noch weitgehend im Dunkeln liegenden Themas gefordert.
Der Berliner Historiker und frühere Pfarrer, Christian Sachse, betonte, dass es bislang keine seriöse Zahl gebe, wie viele Menschen vom staatlichen Kindesentzug in der DDR betroffen waren. Politisch motivierte Zwangsadoptionen habe es zweifellos gegeben. Auch Fälle von vorgetäuschtem Säuglingstod seien denkbar. Allerdings sei er bislang auf keinen einzigen derartigen Fall gestoßen, sagte Sachse. Auch Brandenburgs Aufarbeitungsbeauftragte, Maria Nooke, bestätigte, dass bisher keine begründeten Verdachtsfälle für vorgetäuschten Säuglingstod in der DDR bekannt seien.
Hürde für die Aufarbeitung
Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, nannte die unterschiedliche Archivgesetzgebung der Bundesländer als Hürde für die Aufarbeitung. Eindringlich sprach er sich dafür aus, die Vernichtung von jeglichen Dokumenten aus der DDR bundesweit zu stoppen. Um staatlichen Kindesentzug in der DDR aufarbeiten zu können, müssten neben Stasi-Akten auch Dokumente aus der früheren DDR-Jugendhilfe, aus Standesämtern, Kreis- und Bezirksverwaltungen sowie aus Krankenhäusern, die heute oft privatrechtlich geführt werden, gesichtet und miteinander kombiniert werden.
Jahn forderte eine Vernetzung der zuständigen Archive in den verschiedenen Bundesländern. Das Stasi-Unterlagengesetz habe gezeigt, wie es möglich ist, "Transparenz und Datenschutz miteinander in Einklang zu bringen", so Jahn. Ähnliches müsse nun für den Umgang mit weiteren DDR-Dokumenten geschehen, die in zahlreichen, anderen Archiven lagern und teilweise der Vernichtung preisgegeben sind.
Nirgendwo werde deutlich zu lesen sein, dass einem DDR-Bürger wegen seiner staatskritischen Gesinnung das Kind entzogen wurde, sagte die Berliner Rechtswissenschaftlerin Marie-Luise Warnecke. Oft seien andere Gründe angegeben worden. Sie appellierte, finanzielle Mittel für die Erforschung des Themas bereitzustellen. Brandenburgs Aufarbeitungsbeauftragte Nooke hält unterdessen die psychosoziale Betreuung von Betroffenen und die Trauerbewältigung für dringend notwendig.
Anlaufstelle für Betroffene geplant
Der Vorsitzende der "Interessengemeinschaft gestohlene Kinder der DDR", Alexander Laake, kündigte die Einrichtung einer ersten Anlaufstelle für Betroffene an. Die Ungewissheit über das Schicksal der Kinder sei für die Eltern bis heute "traumatisch und schmerzhaft". Es gehe es vor allem darum, Antworten auf offene Fragen zu bekommen, sagte Laake.
Die vor zwei Jahren von Betroffenen gegründete Interessengemeinschaft zählt nach eigenen Angaben etwa 1.500 Mitglieder. Sie geht von 300 bis 400 Fällen aus, in denen Kinder ihren leiblichen Eltern gegen deren Willen entzogen wurden. Häufig habe es sich laut Interessengesellschaft um Eltern gehandelt, die nach Lesart des SED-Regimes als "asozial" galten oder die politisch unliebsam waren.
Quelle: epd