Gedenktag für verstorbene Kinder Wenn plötzlich alles anders ist

Von Sophie Ludewig

Rituale wie das Anzünden einer Kerze können in der Trauerzeit Halt geben, wissen Pastorin Anke Leisner (l.) und Deike Schünemann.

Foto: Sophie Ludewig

11.12.2016 · Neubrandenburg. Ein Kind zu verlieren, ist unbeschreiblich schwer. Kraft und Trost wollen Krankenhausseelsorger betroffenen Eltern und Angehörigen am weltweiten Gedenktag für verstorbene Kinder geben.

Ein Tag, der das Leben in ein Davor und ein Danach teilt. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, dann ist für die Angehörigen vieles nicht mehr so, wie es vorher war. Umso mehr, wenn es sich dabei um das eigene Kind handelt. Weltweit wird jährlich am zweiten Sonntag im Dezember an verstorbene Kinder erinnert. Die Krankenhausseelsorge in Neubrandenburg lädt am 11. Dezember um 17 Uhr zu einem besonderen Gedenkgottesdienst in die Johanniskirche ein.

An diesem Tag, dem zweiten Sonntag im Dezember, geht es für Deike Schünemann vor allem um ihren Sohn. „Natürlich denke ich jeden Tag an ihn, aber dieser Tag ist ganz für die Erinnerung an ihn reserviert. Das ist ein festes Ritual für mich geworden.“ Vor fast sechs Jahren hat sich ihr jüngster Sohn Emanuel das Leben genommen. Nichts habe für die Eltern darauf hingedeutet. „Es schien alles perfekt zu sein: Er war kerngesund, hatte sein Abitur in der Tasche und in Berlin gerade sein Wunsch-Studium angefangen“, erzählt die Neubrandenburgerin.

In seinen Abschiedsbriefen berichtete Emanuel von einer Nahtod-Erfahrung, die er als Sechzehnjähriger bei einem Unfall erlebt hatte. „In jenem Moment hat mein Sohn offenbar so eine unendliche Liebe, Wärme und Glückseligkeit gespürt, dass er sich seitdem immer wieder danach zurücksehnte und deshalb seinem irdischen Leben ein Ende setzen wollte“, erklärt Deike Schünemann.

Die Familie fiel nach der Todesnachricht in ein tiefes Loch. „Für mich war es, als würde die Welt um mich herum gar nicht mehr existieren. Die Trauer war allgegenwärtig und ich fühlte mich meinem toten Sohn näher als den Menschen um mich herum“, erinnert sich Deike Schünemann. Durch die Briefe ihres Sohnes beschäftigte sie sich mehr und mehr mit dem Thema Nahtod-Erfahrung. Eine Psychologin aus Saarbrücken, die sich mit diesem Nahtod- Phänomen auseinandersetzt, und der Austausch mit anderen betroffenen Eltern haben ihr dann dabei geholfen, wieder in ihr eigenes Leben zurückzufinden.

Kerzen leuchten weltweit um 19 Uhr

Eine besondere Form des Austausches bietet die Neubrandenburger Krankenhausseelsorge seit einigen Jahren mit einem Gottesdienst zum Weltgedenktag für verstorbene Kinder an. „In den USA ist vor zwanzig Jahren die Bewegung Worldwide candle lighting (weltweites Kerzenleuchten) entstanden, bei der Angehörige von verstorbenen Kindern am zweiten Sonntag im Dezember auf der ganzen Welt um 19 Uhr eine brennende Kerze ins Fenster stellen. Diese Tradition möchten wir mit dem Gedenkgottesdienst aufnehmen“, erklärt Pastorin Anke Leisner vom Dietrich- Bonhoeffer-Krankenhaus in Neubrandenburg. So ende die Veranstaltung in der St. Johanniskirche immer rechtzeitig, sodass die Teilnehmer bis spätestens 19 Uhr zu Hause sein können, um ihre Kerze anzuzünden.

Aber auch während des Gottesdienstes gibt es die Gelegenheit, ein Licht anzuzünden und durch Stille, Musik, Gebet und biblische Texte den Erinnerungen und der Trauer um den Verstorbenen Raum zu geben. „Mit dieser Veranstaltung wird natürlich an Wunden gerührt und da muss man aufpassen, dass man diese Wunden auch wieder gut verbindet, indem man versucht, den Teilnehmern viel Kraft und Trost zu spenden“, sagt Anke Leisner.

Der Krankenhausseelsorgerin sei es deshalb immer besonders wichtig, dass die Gottesdienstbesucher die Kerzen für ihre Angehörigen oder Freunde an der Osterkerze entzünden können. „Die Osterkerze verweist ja auf Jesus Christus, der den Tod überwunden hat, der uns das ewige Leben schenkt und für uns das Licht der Welt ist.“

Für Deike Schünemann ist dieser Gedenkgottesdienst im Laufe der Jahre zu einer wichtigen Kraftquelle geworden: „Diese Veranstaltung ist einfach etwas ganz Besonderes: Man guckt sich an, und auch wenn man sich nicht kennt, umarmt man sich gegenseitig, weil man genau weiß, was der andere gerade durchmacht. Diese Gemeinschaft trägt einen in diesem Moment ganz stark.“

Solche Rückmeldungen helfen auch Pastorin Anke Leisner bei ihrer täglichen Arbeit, die oft vom Umgang mit Leid und Trauer geprägt ist. „Wenn ich sehe, dass die Menschen durch solche Angebote Stärkung erfahren, tut das auch mir selbst gut“, sagt die 50-jährige Krankenhausseelsorgerin und fügt hinzu: „Am wichtigsten ist aber die Kraft, die ich aus meinem Glauben schöpfe, denn ich kann letztlich nur das weitergeben, was Gott mir schenkt.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 50/2016