Studie Uni Greifswald war "wertvolles Instrument" während der NS-Zeit

16.10.2015 · Greifswald.

Die Universität Greifswald war während der Zeit des Nationalsozialismus überdurchschnittlich in die Rüstungsforschung eingebunden. Das ist das Ergebnis einer Studie, die am Donnerstag in Greifswald vorgestellt wurde. Demnach war die Uni bereits 1937 zu einem "wertvollen Instrument" des Nationalsozialismus geworden, so der Leiter der Studie, der Historiker Henrik Ebele.

Die Hochschule sei bereit gewesen, sich für "Führer, Volk und Vaterland" in den Dienst nehmen zu lassen, so Historiker Ebele. Jüdische Dozenten wurden vertrieben und die Freiheit von Forschung und Lehre abgeschafft. Professoren beteiligten sich an der Ausformung der rassistischen Ideologie oder arbeiteten für die Rüstungsindustrie. So hatte die Universität einen eindeutigen Forschungsschwerpunkt in den Bereichen Medizin und Naturwissenschaften. Dabei motivierten sich die Wissenschaftler selbst für ihre Forschungen, nur selten gab es auch Anfragen von Behörden oder von der Schutzstaffel (SS).

Die Universität war seit 1933 durch den Druck nationalsozialistischer Studenten einerseits und durch das Wissenschaftsministerium andererseits umgestaltet worden. Mit 24 Professoren und Dozenten verloren rund ein Zehntel aller Lehrenden ihre Position. Durch Eintritt in die Partei oder Berufungen von NSDAP-Mitgliedern stieg deren Anteil im Lehrkörper bis zum Sommersemester 1939 auf über die Hälfte an (55,9 Prozent). 1945 waren etwa zwei Drittel der Professoren und Dozenten Angehörige der Partei (64,3 Prozent). Widerstand gegen das Regime ist von keinem Mitglied des Lehrkörpers geleistet worden.

Militärische Forschungen gab es im Physikalischen Institut, das 1942 eine Abteilung für Wehrphysik einrichtete. Dort sind im Auftrag der Luftwaffe Strombögen in Gasen untersucht worden, die zum Beispiel das Licht in Flakscheinwerfern erzeugten. Rassenhygienische Vorstellungen prägten die Lehre an der Medizinischen Fakultät, wo mehrere Studien zu angeblich minderwertigen Bevölkerungsteilen (Hilfsschülern und deren Familien) betreut wurden.

Das Chemische Institut beschäftigte sich mit chemischen Kampfstoffen, insbesondere Lost (Senfgas). Dabei wurden auch Menschen dem hautverätzenden Kampfstoff ausgesetzt, um sie dann zu therapieren. In den Universitätskliniken wurden 2.403 Männer und Frauen sterilisiert. Fast 200 Patienten wurden in die Heil- und Pflegeanstalt Ueckermünde verlegt, ein Krankenhaus, in dem während des Zweiten Weltkriegs Patienten vorsätzlich getötet wurden.

Bei der Wiedereröffnung im Februar 1946 war die Universität mit Ausnahme zweier Wissenschaftler, des Kampfstoffforschers Jander und des Internisten Katsch, frei von ehemaligen Nationalsozialisten. Drei Jahre später jedoch waren bereits wieder 18 ehemalige Nationalsozialisten im Dienst, was 17,2 Prozent des Lehrkörpers entsprach. In Greifswald hatte die Entnazifizierung damit ihren vorläufigen Abschluss gefunden. 48 ehemalige Nationalsozialisten aus dem Greifswalder Lehrkörper gelangten jedoch in Ost und West wieder in verantwortliche Positionen, zum Beispiel auf Lehrstühle an Universitäten oder als Chefärzte großer Krankenhäuser - davon 34 in der Bundesrepublik und 14 in der DDR.

Quelle: epd