Angetreten, um sich abzuschaffen Bundestag erinnert an die einzige freie Wahl der DDR-Volkskammer vor 25 Jahren

Von Jens Büttner.

19.03.2015 · Berlin. Gerade mal sechs Monate dauerte die Legislaturperiode der einzigen frei gewählten DDR-Volkskammer. Doch von ihr gingen entscheidende Impulse für die deutsche Geschichte aus. Der Bundestag erinnerte am Mittwoch an das historische Datum vor 25 Jahren.

Ein einziges Mal erntete Gregor Gysi frenetischen Applaus von der CDU: Die Volkskammer habe eben "nicht mehr und nicht weniger als den Untergang" der DDR beschlossen, sagte Gysi nach dem Vereinigungsbeschluss am frühen Morgen des 23. August 1990. Es sei bis heute die einzige Situation gewesen, in der er derartigen Beifall der CDU erhalten habe, erinnerte sich der heutige Linken-Fraktionschef am Mittwoch launig im Bundestag. Heitere Anekdoten wie diese, aber auch ernste Erinnerungen machten die Debatte zum 25. Jahrestag der einzigen freien Volkskammerwahl vom 18. März 1990 zu einer unterhaltsamen Geschichtsstunde.

Verfolgt wurde sie auf der Besuchertribüne von zahlreichen ehemaligen Volkskammer-Abgeordneten, darunter dem letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière und der letzten Volkskammer-Präsidentin Sabine Bergmann-Pohl (beide CDU). Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erinnerte daran, dass es bei der Wahl vor 25 Jahren die höchste Wahlbeteiligung bei freien Wahlen in Deutschland jemals gegeben habe - nämlich 93,4 Prozent. Es wäre wünschenswert, wenn dieser Wille über das eigene Schicksal selbst zu entscheiden, lebendig bliebe. Die frei gewählte Volkskammer habe in sehr kurzer Zeit unter bescheidenen Arbeitsbedingungen einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Entwicklung in Ostdeutschland geleistet. Dafür gebühre allen Beteiligten Respekt, sagte Lammert.

Am 18. März 1990 durften die DDR-Bürger erstmals mehr als nur "Zettel falten": Nach 44 Jahren endete damit die SED-Alleinherrschaft. Dem Parlament war gerade mal ein halbes Jahr Arbeitszeit vergönnt, ehe Ende August 1990 der Beitritt zur Bundesrepublik per 3. Oktober und damit die eigene Auflösung beschlossen wurde.

Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), sagte, die Volkskammer-Abgeordneten hätten "teilweise Tag und Nacht geschuftet", um ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Darin seien sie bis heute ein Vorbild. Das Parlament sei seinerzeit angetreten, um sich selbst in Freiheit abzuschaffen. Die Wahl von damals sei ein "Ereignis von historischer Tragweite" gewesen, unterstrich die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nannte die Abgeordneten von damals die "Helden eines Parlaments, das sich selbst abgeschafft hat". Sie erinnerte unter Hinweis auf den wegen rechtsextremer Drohungen zurückgetretenen Ortsbürgermeister Markus Nierth aber auch daran, dass Freiheit bis heute verteidigt werden müsse. Sie kenne aber "das Gefühl, wenn man am Ende gewinnt". Das sei "unbeschreiblich", sagte Göring-Eckardt mit Blick auf die politische Wende in der DDR.

Die CDU-Abgeordnete Maria Michalk blickte zurück, dass das Einüben demokratischer Vorgänge damals für die Volkskammer-Abgeordneten schwierig und ungewohnt gewesen sei. Aber man habe mit "aller Kraft versucht, die Bedeutung des Auftrages zu erfüllen". Dabei hätten die Abgeordneten selbst unter teils problematischen Bedingungen gearbeitet - kein Bett, kein Büro und kaum Infrastruktur.

Als einzige nicht-ostdeutsche Rednerin dankte die CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt den Volkskammer-Abgeordneten von 1990, die die richtigen Weichen zur Wiedervereinigung gestellt hätten. Das Parlament habe in wenigen Monaten mehr als 150 Gesetze und drei Staatsverträge verabschiedet.

Aus der Wahl ging das Bündnis "Allianz für Deutschland" aus CDU, DSU und Demokratischen Aufbruch als klarer Sieger der insgesamt angetretenen 24 Parteien und Gruppen hervor. Die Bürgerrechtler des "Bündnis 90" erhielten dagegen nur 2,9 Prozent der Stimmen. In der anschließenden Regierungsbildung gründete sich eine Koalition aus Allianz, SPD und FDP mit de Maizière als letztem DDR-Ministerpräsidenten.

Quelle: epd