Nächstenliebe braucht Klarheit Forum „Kirche und Rechtsextremismus" im Norden gegründet
Von Karl-Georg Ohse und Silke Ross
Foto: K.-G. Ohse
Dass die Kirchen sich für Demokratie engagieren ist relativ neu. Jahrhundertelang standen sie im engen Bündnis mit Autokraten und Fürsten und gingen oft unheilvolle Allianzen mit den Mächtigen ein. Doch auch Kirchen sind eine lebendige und lernfähige Organisation. Viele Kirchengemeinden und Initiativen stehen in erster Reihe, wenn es um die Verteidigung von Menschenrechten und demokratischen Grundwerten geht. Ihren Akteuren wurde am 5. und 6. September 2014 in Bäk bei Ratzeburg ein Forum geboten, um sich auszutauschen und gemeinsame Strategien zu entwickeln.
Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck verwies bei der Eröffnung des Treffens auf die Kraft des Kreuzes ohne Haken, das immer wieder zu menschlichem, solidarischem Handeln ermutige. Fehrs lobte die Arbeit der Engagierten und begrüßte die Neuausrichtung und Langfristigkeit der Förderprogramme des Bundes. Gleichzeitig stellte sie in Frage, ob die anvisierten 30 Millionen Euro ausreichten, um die Fülle der notwendigen Maßnahmen zu finanzieren.
Kirche braucht klare Positionen
Eine klare Positionierung der Kirchen gegenüber rechtsextremen, menschenfeindlichen Einstellungen, auch in den Gemeinden, forderte Dr. Christian Staffa aus Berlin. Gemeinden sollten sich stärker mit den antichristlichen und antisemitischen Aussagen rechtsextremer Parteien auseinandersetzen und selbstkritisch die eigene Geschichte aufarbeiten. Staffa, der auch im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft „Kirche und Rechtsextremismus“ aktiv ist, hob in seinem Vortrag die demokratischen und fremdenfreundlichen Aussagen der Bibel hervor, die stärker rezipiert werden sollten. Sie seien Fundament christlichen Handelns im Alltag und tradierten so Haltungen und Meinungen. Kritisch setzte sich Staffa mit eindimensionalen Identitätskonzepten auseinander. Ein starres Selbst-und Menschenbild führe zu Zuschreibungen und Sündenbockmentalitäten.
Nächstenliebe und Rechtsextremismus?
Zur Auseinandersetzung wurden auch Kirchengemeinden, Kirchengemeinderäte und kirchliche Institutionen aufgefordert. „Ich habe unglaublich viel gelernt, was ich über das Bestreben der Rechtsextremisten noch nicht wusste“, sagte eine Teilnehmerin, „aber ich brauche eine Strategie, wie ich unseren Kirchengemeinderat überzeugen kann, sich mit diesem Thema zu beschäftigen“.
Deutlich wurde auch, dass die eigene Haltung zu einigen von Rechtsextremen mittlerweile okkupierten Themen durchaus positiv sein kann, beispielsweise zu Fragen des Klimaschutzes, der ökologischen bzw. regionalen Landwirtschaft oder der für Kleidung verwendeten Materialien, und man trotzdem eine klare Haltung gegen rechtsextremes Gedankentut brauche, die nicht immer so einfach zu bekennen sei.
Tatsächlich sind viele Themen inzwischen zumindest auch von Rechtsextremen besetzt, die sich in vielen Fällen auch die Deutungshoheit anmaßen wollen. Dies dürfe Kirche nicht einfach hinnehmen, denn zum Beispiel der zwischenmenschliche Umgang mit Fremden sei nach der christlichen Werteskala nicht durch Ausgrenzung bestimmt. Allerdings führt das auch zu der Frage, wie ein Gut wie Nächstenliebe im Umgang mit Neonazis gelebt werden müsse und könne – Alltagstheologische Fragen wie diese sollten in Kirchengemeinden genau überdacht und diskutiert werden.
Zusammenhalten durch Teilhaben
Die Tagung, die durch Mittel des Projekts „Kirche stärkt Demokratie“ aus dem Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ ermöglicht und von verschiedenen Einrichtungen der Nordkirche vorbereitet wurde, diente vor allem dem gegenseitigen Kennenlernen und dem Erfahrungsaustausch.
Dafür waren die Beratungsangebote aus Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein wichtige Gesprächspartner. Sie konnten neben dem Journalisten Andreas Speit wichtige Informationen zur aktuellen Lage und strategischen Ausrichtungen der rechte Szene in Norddeutschland geben.
Deutlich wurde, dass Rechtsextremismus nicht vor Ländergrenzen halt macht und deshalb eine stärkere Vernetzung unterschiedlicher Akteure notwendig ist. Das trifft auch auf Religionsgrenzen zu: Verabschiedet wurde in Bäk auch eine Solidaritätsbotschaft an die von einer Schändung betroffene muslimische Gemeinde in Mölln. Und es gab das Versprechen, dem 1. Forum weitere folgen zu lassen.