Menschen erlebten unglaubliche Umwälzungen Der Pastor aus dem Westen, der in den Osten ging

Von Silke Ross

Berlin im November 1989: Mit dem Mauerfall beginnt eine neue Zeitrechnung

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04.10.2014 · Dassow. Vor 25 Jahren fiel die Mauer - ein historisches Ereignis, auch für die Menschen in der heutigen Nordkirche. Als Beispiel ein Porträt über den Pastor aus dem Westen, der in den Osten ging.

Wo sie waren, als die Mauer fiel, das wissen die meisten Menschen ziemlich genau. Auch Ekkehard Maase, der heute als Pastor in Mecklenburg-Vorpommern arbeitet. Seine Mutter rief ihn damals an und berichtete ihm von dem historischen Ereignis. Doch er dachte, sie habe da wohl etwas falsch verstanden. Wirklich begriffen hat er die Lage dann zwei Tage später – als die ersten Trabis durch seine Heimatstadt Kiel rollten. Daran, später im Osten Deutschlands zu leben, verschwendete er noch keinen Gedanken. Doch er spürte, dass die Möglichkeiten sich erweitern würden. „Ein sehr schönes Gefühl“ sei das gewesen.

Menschen im Osten meisterten die Umwälzungen

Diese Umwälzungen, die für viele Ostdeutsche eine komplette Neustrukturierung des eigenen Lebens zur Folge hatten, sind im Westen kaum vorstellbar. Pastor Maase, der sich mit den Veränderungen durch den Mauerfall auseinandergesetzt hatte, ist oft beeindruckt, wie ganze Regionen ihren Umgang mit den Umwälzungen gefunden haben: „In Dassow und Umgebung wurden die LPGs aufgelöst, und so sind viele Menschen dort mit Mitte Fünfzig in den Ruhestand gegangen – das wirkt in einer Region auch nach.“ Viele Menschen hätten gern noch weiter gearbeitet.

Viele Senioren im Osten haben zwei Umbrüche erlebt

Diese Umbrüche, sagt Ekkehard Maase, seien nur mit den Veränderungen nach 1945 zu vergleichen: „Gerade, wenn wir in Dassow mit Senioren zu tun haben, sind viele dabei, die aus Ostpreußen stammen und so zweimal diese Brüche erlebt haben“ Viele Menschen seien von diesen Brüchen bewegt, darum seien sie für die Kirche immer wieder ein Thema. Ihm ist es wichtig, „diese Unterschiede ernst zu nehmen und nicht zu egalisieren und so zu tun, als sei das alles nach 25 Jahren vorbei.“ Allerdings mahnt Maase davor, diese Unterschiede zu kultivieren.

Aus dieser Vielfalt heraus ergäben sich Gesprächsansätze, und gerade in Regionen wie Dassow, das im Grenzbereich nach Schleswig-Holstein liegt, haben die Menschen gelernt, miteinander zu reden und bestimmte Sichtweisen notfalls zu erklären, wenn man merkt, dass das Gegenüber eine andere Biografie hat und darum an manchen Stellen nicht ganz folgen kann – das sei ähnlich wie in Dialogen von Städtern und Landbevölkerung oder Jugendlichen und Senioren, sagt Maase. Teile der eigenen Lebenswirklichkeit müssen für den anderen übersetzt werden.

Kein Religionsunterricht in der DDR - was das wirklich bedeutet

Ekkehard Maase erzählt ein Beispiel: „Interessant ist es, an welchen Stellen diese Unterschiede fühlbar werden –  zum Beispiel habe ich schon immer gewusst, dass es in der DDR keinen Religionsunterricht gab – was das aber wirklich heißt, wird mir erst jetzt richtig klar, weil ich jetzt auch als Religionslehrer an der Schule bin. Meine Kollegen und auch die Eltern der Schüler haben oft eine ganz andere Geschichte. So habe ich Schule eigentlich immer als Ort erlebt, wo ich, bisschen gestört von Lehrern und Unterricht, vorrangig meine Freunde treffen konnte und wo ich es eigentlich ganz lustig fand. Viele meiner Kollegen haben aber eine ganz andere Erinnerung an ihre Schulzeit, denn die Förderung und Unterstützung individueller Eigenarten oder assoziative Gedankenspiele gehörten nicht zum Unterricht – und darum gehen sie auch heute anders auf die Institution Schule zu, und es fällt ihnen oft nicht ganz leicht, sich ein Fach wie Religion im Unterricht vorzustellen“.

Kirchen sind in den Dörfern weithin sichtbar

Insgesamt gibt es auch nach wie vor Unterschiede in der kirchlichen Arbeit -  die kleineren Strukturen machen Verabredungen verbindlicher, sagt Maase. Deshalb kämen die Menschen schneller in Kontakt. Das war der wichtigste Grund für den Pastor, nach Mecklenburg zu wechseln. Ein Unterschied sei auch, dass in Mecklenburg die Kirche ganz optisch mitten im Dorf oder der Kleinstadt steht – das sei zum Beispiel in Hamburg nicht so, da könne man die Kirche häufig kaum sehen.

Die gute Sichtbarkeit eröffnet andere Möglichkeiten, zum Beispiel mit den Kommunen  anders ins Gespräch zu kommen, denn auch optisch komme man an der Kirche nicht vorbei. „Vielleicht geraten die Kirchen in Hamburg deshalb auch aus der Wahrnehmung der Menschen, sie passen sich einfach zu gut in die Umgebung ein und sind darum nicht so klar sichtbar.“

Muss die Versöhnung ein innerkirchliches Thema in der Nordkirche sein? Ekkehard Maase ist der Meinung, dass es natürlich sicher irgendwann dran sei, Themen wie die Mauertoten aufzuarbeiten. Trotzdem müsse man daran denken, dass „die Aufarbeitung der Zeit vor 1945 erst beginnen konnte, als die Menschen, die in den dreißiger Jahren Kinder und Jugendliche waren, das Rentenalter erreichten. Diese Zeit, die diese Vorgänge brauchen, kann man nicht künstlich verkürzen. Das muss man abwarten.“

Quelle: nordkirche.de