Zahl der Kirchenaustritte steigt deutlich EKD bedauert Irritationen bei Neuregelung der Kapitalertragsteuer

09.08.2014 · Hamburg. Immer mehr Menschen verlassen gegenwärtig die Kirchen. Die Austrittszahlen haben sich teils kräftig erhöht auch im Norden. Als Hauptgrund gilt eine Änderung im Steuerrecht: Die Kirchensteuer auf Kapitalerträge wird ab 2015 direkt eingezogen.

Wegen einer Änderung im Steuerrecht kehren offenbar immer mehr evangelische Christen ihrer Kirche den Rücken. Die Zahl der Austritte ist in den vergangenen Monaten teils um mehr als 50 Prozent gestiegen, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) ergab. Betroffen ist davon auch die Nordkirche. Ab 2015 wird die Kirchensteuer auf Kapitalerträge automatisch von den Banken an den Fiskus weitergeleitet. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bedauerte die Austritte und die entstandenen Irritationen.

Aus der bayerischen Landeskirche traten von Januar bis Juni 14.800 Menschen aus, 52,6 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. In Württemberg lag die Steigerung im ersten Quartal bei 57,1 Prozent, von 3.500 auf 5.500. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz berichtete von 10.010 Austritten im ersten Halbjahr, das sind mehr als in den Gesamtjahren 2011 und 2012. In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) stieg die Zahl um ein Drittel auf 8.000. In Bremen verließen im ersten Quartal 780 Menschen die evangelische Kirche, 31 Prozent mehr als von Januar bis Juni 2013. In Westfalen traten von Januar bis Juni 7.000 Menschen aus; im ganzen Jahr 2013 waren es 12.000.

Auch die Nordkirche hat nach den Worten von Kirchensprecher Frank Zabel in den ersten Monaten erhöhte Austrittszahlen registriert. "Über die Gründe kann nur spekuliert werden." Die Daten seien allerdings unvollständig. Das Finanzdezernat habe bereits Ende Januar Spitzenverbände der Banken und Sparkassen angeschrieben und um eine verständliche, sachliche Information ihrer Kunden gebeten. Einige Infoschreiben hätten offenbar für erhebliche Irritationen bei den Kunden gesorgt und nicht nur Kirchenmitglieder verunsichert. Die Nordkirche hat mittlerweile eine kostenlose Kirchensteuer-Hotline (0800/1181204) und eine Mailadresse (steuern@lka.nordkirche.de) eingerichtet.

Die Kirchensteuer auf Kapitalerträge war bisher bei der Steuererklärung fällig. Künftig wird sie direkt von den Banken abgezogen. Die Steuersätze bleiben gleich. Anlass für die Umstellung sei nicht die "Erwartung etwaiger Mehreinnahmen" gewesen, sondern der "Wunsch nach einem gerechten und einfachen Besteuerungsverfahren", sagte der Leiter der Finanzabteilung im EKD-Kirchenamt, Thomas Begrich. Die Regelungen zu den Freibeträgen schützten die kleinen Sparer. Kirchensteuer wird erst ab einem Ertrag von jährlich 801 Euro für Ledige und 1.602 Euro für Verheiratete erhoben.

Bankinformationen verunsichern

Nach übereinstimmenden Informationen aus den Landeskirchen gilt die bevorstehende Änderung im Steuerrecht als Hauptgrund für die Austrittswelle. In der EKHN war von einem "Sparbuch-Schock" die Rede. Besonders bedauerlich sei, "dass die Bankinformationen zu großer Verunsicherung bei den Mitgliedern geführt haben und etliche fälschlicherweise eine neue Steuer befürchten", sagte ein Sprecher. Zuvor hatte der Finanzchef der rheinischen Landeskirche, Bernd Baucks, deutschen Banken vorgeworfen, Kunden in einzelnen Fällen zum Kirchenaustritt geraten zu haben.

Der theologische Vizepräsident der westfälischen Landeskirche, Albert Henz, betonte, die Menschen sorgten sich aufgrund mangelnder Informationen um den Datenschutz und ihre Ersparnisse. Diese Sorge sei jedoch unbegründet. Niemand zahle mehr Steuern als bisher, zudem sei ein Großteil der Bevölkerung nicht von der Kapitalertragsteuer betroffen. Ein Sprecher der bayerischen Kirche nannte es auffällig, dass immer mehr Menschen über 65 Jahren austräten. Er könne sich vorstellen, dass diese Altersgruppe besorgt um ihr Erspartes für den Ruhestand sei.

Begrich bedauerte die aufgetretenen Missverständnisse. Die kirchlichen Kommunikationsstukturen hätten die Menschen "nicht deutlich genug erreicht". So sei nicht klargeworden, dass es nicht um eine neue Kirchensteuer gehe. Die EKD habe ein Servicetelefon geschaltet. Der Finanzchef sagte, durch die Kirchensteuer ermöglichten die Mitglieder die Finanzierung der kirchlichen Arbeit und trügen damit auch zur Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben bei. Jeder Austritt sei eine "Schwächung der Solidargemeinschaft, aber eine zu respektierende Entscheidung".

Auch die katholische Kirche ist offenbar von dem Trend betroffen. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart traten nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von Januar bis Juni rund 10.000 Menschen aus der Kirche aus. Im gesamten Jahr 2013 waren es 14.617. In Deutschland leben gegenwärtig rund 24,2 Millionen Katholiken und 23,4 Millionen evangelische Christen. Ihr Anteil an der Bevölkerung liegt bei rund 60 Prozent.

Quelle: epd