Warum Frauen immer noch in Leitungsfunktionen unterrepräsentiert sind „Das Patriarchat ist ein bequemer Raum“

08.12.2013 · Schwerin. Obwohl die Frauen einen größeren Anteil bei der Zahl der Kirchenmitglieder haben, sind sie allem Gerede von der „Verweiblichung der Pastorenschaft“ zum Trotz doch seltener als Männer im Pfarrberuf und bei Leitungsgremien zu finden. Welche Gründe es hierfür gibt und wie Frauen in der Kirche mehr mitbestimmen können, hat Annegret Böhmer im Gespräch mit Annika Lukas erklärt.

Frau Professorin Böhmer, Sie engagieren sich in der Fortbildung „Führen und Leiten im Pfarramt“. Welche Unterschiede zwischen Frauen und Männern nehmen Sie wahr?

Im kirchlichen Bereich nehme ich keine Unterschiede im Führungsstil von Männern und Frauen wahr. Das liegt daran, dass die Männer, die als Pfarrer arbeiten, normalerweise keine klassischen Machos, sondern beziehungsorientiert sind. Insofern haben sie die gleichen Probleme wie ihre Kolleginnen. Hauptsächlich kämpfen sie damit, dass sie Beruf und Privatleben schwer oder gar nicht trennen können. Es fehlt noch immer das Bewusstsein dafür, dass man lernen kann, zu leiten. Da haben Männer und Frauen im kirchlichen Bereich dringend Nachholbedarf.

Sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in anderen Bereichen größer?

Ja, besonders in der Wirtschaft. Da sitzen in den Aufsichtsräten fast ausschließlich Männer und demonstrieren ihre männliche Stärke. Es geht darum, den Konkurrenten zu besiegen. Das sind ganz klare patriarchale Strukturen.

Wie zeigt sich das Patriachat im Bereich der Kirche?
 
Dort gibt es eine ganz eigene Art von Patriachat. Durch die Christliche Ethik gibt es ganz andere Rollenbilder. Hier wird das Patriachat nicht durch körperliche, sondern durch geistige Macht ausgeübt. Und der Bereich dieser geistigen und geistlichen Schätze gehörte traditionell den Männern. Und noch immer hüten die Männer diese Schätze in vielen christlichen Kirchen allein. Da sind wir in der Evangelischen Kirche vergleichsweise weit, aber noch lange nicht am Ziel einer Gleichberechtigung.

Woran liegt das?

In Berlin sind die Frauen beispielsweise erst seit 1974 den Männern im Pfarramt gleichgestellt. In den übrigen Landeskirchen war es ebenfalls etwa zu dieser Zeit. Nur etwa ein Drittel der Pfarrer in Deutschland sind weiblich. Aber von allen Teilzeitstellen haben Pfarrerinnen 60 %. Frauen arbeiten in Teilzeit, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Zunächst freuen sie sich natürlich über diese familienfreundlichen Modelle, allerdings wird es schwieriger, wenn die Kinder aus dem Haus sind, die Stelle aufzustocken.

Was können Frauen tun, um sich gegen diese Strukturen zu wehren?

Ich bin täglich erschüttert, wie passiv viele meiner Studentinnen sind. Wenn in einem Seminar 20 Frauen und 10 Männer sitzen, dann reden dennoch häufig nur die männlichen Studenten. Die jungen Frauen sitzen daneben, hören zu und lächeln. Ich werde darüber richtig wütend. Das sind zum Teil richtig kluge junge Frauen, die die besten Noten schreiben und 1-er Abschlüsse machen. Sie müssen lernen, sich anders zu verhalten und in neue Rollenbilder hereingehen.

Warum tun die jungen Frauen das nicht?

Das Patriachat ist für Frauen teilweise auch ein geschützter und bequemer Raum. Wenn ich anfange, Forderungen zu formulieren, muss ich aktiv werden und Verantwortung übernehmen. Das bedeutet natürlich viel Arbeit. Die Rolle der Nummer zwei hinzunehmen ist der bequemere Weg. Zudem gibt es die sogenannte „Pinkifizierung“ der Mädchen. Die Wirtschaft hat für Mädchen alles Erdenkliche in rosa zu bieten und die Mädchen werden schon früh in die Rolle der „Prinzessin“ gedrängt. Und diese Mädchen sagen sich dann: „Ich bin zwar die Nummer zwei, aber dafür hübsch“.

Die EKD hat auf der vergangenen Synode das sogenannte Reißverschlußverfahren beschlossen. Demnach müssen bei Gremienbesetzungen abwechselnd Männer und Frauen vorgeschlagen bzw. entsendet werden. Wie sinnvoll und praktikabel ist ein solches Modell?

Das ist eine großartige Lösung. Ich gehe davon aus, dass es funktionieren wird. Oft müssen die Frauen geschubst werden, damit die Gleichberechtigung klappt. Und genau das wird diese einfache Lösung bewirken. Die Muster müssen aufgeweicht werden.

Halten Sie so ein Modell auch möglich für die Stellenbesetzung im Pfarramt?
 
Bei den Pfarrstellen ist das Vergabeverfahren ja komplizierter. Aber grundsätzlich wäre es auch da wünschenswert.

Annegret Böhmer ist Professorin für Psychologie an der Evangelischen Hochschule Berlin.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 49/2013