Wenn Begegnung zur spirituellen Erfahrung wird Verstanden und getröstet
© Michael Voß
15.12.2013 · Schwerin. Kurz und unspektakulär berichtet Lukas von einer Begegnung zwischen zwei schwangeren Frauen. Und doch gehört diese Geschichte, meist in vertonter Form, zur Adventszeit einfach dazu: Maria fast noch ein Mädchen, Elisabeth in vorgerücktem Alter. Eine erbauliche Geschichte, wenn man bedenkt, wie stärkend es ist, einem Menschen in Echtheit zu begegnen. Man geht anders von dannen, fühlt sich verstanden, genährt, getröstet.
Begegnung ereignete. Man darf annehmen, dass die beiden Frauen, wenn auch verschieden, doch wesensverwandt waren. Maria, ein einfaches Mädchen aus dem kleinen Dorf Nazareth, eilte nach ihrer Engels- Erfahrung in die Stadt im Bergland von Judäa zur Frau des Tempelpriesters Zacharias. Wie dieser war wohl auch Elisabeth gebotstreu und gottesfürchtig, sie kannte die kulturellen Gepflogenheiten und das priesterliche Denken. Wie nun die schlichte Maria auf sie zukommt und sie begrüsst, hüpft das Kind in Elisabeths Leib, Elisabeth erlebt sich vom Heiligen Geist erfüllt. Wie das erklären? Wie kommt es, dass ein Kind im Mutterleib ob dem Klang einer Stimme ins Hüpfen gerät? Mit Blick zu Maria frage ich: wie kommt ein junges Mädchen – fern aller Überheblichkeit – dazu, ob dieser Begrüssung ein Loblied auf den Herrn anzustimmen?
Mir helfen vorerst Symboldeutungen. Das Symbol Jungfrau kündigt das Ausserordentliche an. Es bedeutet (unabhängig von Geschlecht und Alter), nicht verheiratet zu sein mit den Werten dieser Welt und darum offen für das Göttliche. In diesem Symbol verbinden sich Autonomie und Demut. Etwas von dieser jungfräulichen Offenheit finde ich auch in der betagten Elisabeth. Auch sie ist autonom, hat die Gabe intuitiven Verstehens und weiss das Hüpfen des Kindes als Zeichen von Hoffnung zu deuten: „Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt!“
Hoffnung ist das Zentralwort in diesem Text, es kommt etymologisch (engl. hope) von hüpfen! Ich wage also das, was sich im Zwischen dieser Frauen ereignete, als hochgeistiges Geschehen zu betrachten.
Obgleich die Begegnung dieser Frauen einmalig bleibt, leuchtet doch auch in Begegnungen unserer Tage bisweilen etwas von einer solchen Erfahrung auf. Es gibt auch unter heutigen Menschen jenseits von Glanz und Glamour berührende Begegnungen, ein Zusammensein in dichter, vielleicht heiliger Atmosphäre. Es kann ein Fest sein, das wie zur Hymne an das Leben wird, ein gemeinsames Schweigen, Aushalten, Verbunden-Sein. Es sind Begegnungen in großer Ehrlichkeit, Erfahrung von Schmerz und Glück in einem, Gipfelerfahrungen. Diese – seltenen – Begegnungen wollen als eigentlich spirituelle Erfahrungen begriffen und entsprechend „gehütet“ werden.
Das Spirituelle ereignet sich nicht nur im stillen Kämmerlein zwischen Mensch und Gott oder auf dem Berg beim Sonnenaufgang, sondern auch im Zusammensein von Menschen, die je tief ankommen bei sich, ihrer Sehnsucht, ihrem Wesentlichen. Was die beiden Frauen äusserlich tun – beten oder kochen –, spielt keine Rolle, auch Lukas fand das nicht nennenswert. Die Essenz liegt in der Begegnung, im jungfräulich Offensein auf ein Grösseres hin. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für die Weihnachtszeit echte, begnadete Begegnungen.
Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 50/2013