Über die Situation der Flüchtlinge in Tribsees "Corona macht Defizite offenbar"

Von Christine Senkbeil

31.01.2021 · Tribsees. 75 Flüchtlinge leben in Tribsees, alle auf einem Gelände. Sie stammen aus 17 Nationen. Fast 30 von ihnen sind Kinder, die vor allem die Schule vermissen. Einfach mal raus! Die lange Last der Pandemie macht das Leben in der beengten Unterkunft immer schwerer. Der Arbeitskreis Asyl versucht, ihnen die Situation zu erleichtern.

„Ich mag lieber richtige Schule als Homeschooling. Das Fußballspielen in der Mannschaft fehlt mir am meisten. Ich möchte endlich wieder meine Freunde treffen“, sagt Omar (Name geändert) aus Syrien. Der Zehnjährige lebt mit seiner Familie seit vier Jahren in der Flüchtlingsunterkunft Tribsees, eines von derzeit 29 Kindern. Insgesamt leben 75 Geflüchtete in den fünf Baracken, die früher Ausbildungsstellen vom Berufsbildungswerk waren. Das Gelände liegt abseits und umzäunt, im Brachland am Rande der kleinen Stadt.

Wenig Grün, sagt Heiko Kauffmann vom Arbeitskreis (AK) Asyl, der sich mit einigen Mitstreitern seit ihrer Ankunft 2015 ehrenamtlich um das Wohl der Flüchtlinge kümmert. Beengt sind die Wohnverhältnisse. Karg und kalt ist es draußen, um drinnen zu spielen, fehlt es an Platz. Lang gab es nicht einmal einen Begegnungsraum, weder für Kinder noch für die Erwachsenen. Abstand halten? Fehlanzeige.

„Allgemein ist es in Gemeinschaftsunterkünften kaum möglich, die geltenden Hygieneregeln einzuhalten. Viele kochen in derselben Küche, es gibt nur Gemeinschaftsduschen“, sagt Kauffmann. Etwas entspannter sei es in Tribsees inzwischen: 200 Menschen statt der 75 lebten hier anfangs auf engstem Raum. Sie kamen aus Syrien, Afghanistan und der Ukraine. Für einige wurde das Asylverfahren bereits anerkannt, andere durften nach erfolgreichem Deutschkurs eine Ausbildung beginnen und sind umgezogen. „Auch Abschiebungen gab es“, so Kauffmann. Und die anderen warten. Jahr um Jahr.

Noch immer teilen sich mehrere junge Männer ein Zimmer, was leicht zu angespannten Situationen führen kann. Und es gibt kaum Möglichkeiten auszuweichen. Inzwischen sind Flüchtende aus Honduras dazugekommen, aus dem Irak, Tadschikistan, Eritrea – aus insgesamt 17 Nationen. Das Sprachgemisch ist also bunt. Der Alltag umso grauer.

Faisal aus Afghanistan ist einer dieser jungen Männer. Inzwischen ist er 23. Nach monatelanger Odyssee war er schließlich mit dem Schlauchboot über das Mittelmeer gekommen. Mit 19. Allein. Schnell lernte er Deutsch, schaffte es, einen Ausbildungsplatz im Restaurant zu bekommen. Aber dort kann er im Moment wegen des Lockdowns nicht arbeiten. „Jetzt findet auch keine Berufsschule statt“, sagt er. „Alles online – ist sehr schwer; ich hoffe, dass ich meine Prüfung machen kann und sie schaffe.“

Als es mit dem Lockdown losging, bot Faisal an, für die Ehrenamtlichen aus dem Arbeitskreis Asyl die Einkäufe zu erledigen. Hilfe einmal umgedreht. „Wir sind ja alle dem Alter nach aus Risikogruppen“, sagt Kauffmann. „Es freut uns natürlich, wenn auf diese Weise Dankbarkeit zurückkommt.“

Eine große Motivation zu helfen, zu lernen, zu arbeiten, überhaupt, irgendwie dabei zu sein, spüren er und seine Mitstreiter bei den Bewohnern immer wieder. Die Sprach- und Integrationskurse, die Silke Tiedemann und Hannelore Schulze anboten, waren sehr begehrt. Alles das ruht nun.

„Dabei hatte das Jahr 2020 so gut begonnnen.“ So wollte der Arbeitskreis neben dem bewährten Cafe-, Spiel- und Konversations-Treff im Alten Milchladen auch die Fortsetzung der Malwerkstatt im ehemaligen Schlecker-Markt anbieten (Kiz berichtete), die Kleider-Austausch-Börse und Hilfsangebote bei Behördengängen, Krankenfahrten sowie eine Hausaufgabenbetreuung. „Wir hatten Wanderungen und Ausflüge vor, eine Ausstellung, das Familienfest in der Interkulturellen Woche.

Gleich im Januar 2020 ging es los. Überregional – zwischen Tribsees, Grimmen und Greifswald – wurde das „Poetry-Project“ fortgesetzt, in dem Jugendliche unter Anleitung begannen, Gedichte und Episoden aus ihrem Leben und von ihrer Flucht zu verfassen. 80 Zuschauer kamen. Die einfühlsamen Texte Geflüchteter aus Syrien und der Ukraine über ihre Heimat, ihre Familien und ihr neues Leben hier hinterließen tiefen Eindruck.

Kein Zoobesuch, dafür Angst

Dann der Lockdown. Die Helfer durften die Unterkunft nicht mehr betreten. Keine Fahrt zu den Kranichen, kein Zoobesuch in Rostock. Dafür: Unverständnis, Angst. Die Pandemie verschärfte die nicht ganz einfachen Lebensumstände im Flüchtlingsheim total. „Die gravierenden Mängel und Defizite dieser Unterbringungsform wurden nun offenbar“, so Kauffmann. Der Arbeitskreis machte Landesregierung und Behörden immer wieder auf Schwierigkeiten aufmerksam, erklärte, wie groß die Ansteckungsgefahr in Gemeinschaftsunterkünften sei, wie schwer umsetzbar die Einhaltung der Hygieneregeln durch den Platzmangel. Eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen oder kleinen Wohneinheiten sei nötig.

Gemeinsam mit Leiterin Petra Kamke und Mitarbeiterinnen der Unterkunft sorgten sie für größtmöglichen Gesundheitsschutz. Zumal es anfangs noch nicht einmal genug Mund-Nasen-Schutzmasken gab. „Mit Unterstützung des Stralsunder Migrantinnen-Vereins Tutmonde beschafften wir ausreichend selbst genähte Masken und verteilten ausführliche Informationen in allen Sprachen“, so Kauffmann.

Doch in der Länge liegt die Last. Die Einschränkungen, die auch für ansässige Familien mehr und mehr zu Problemen führten, traten hier umso deutlicher hervor. Die Situation sei auch psychisch belastend und verstärke das Gefühl von Isolation und Einsamkeit, sagt Kauffmann: „Wie viel verletzlicher, trauriger, verlassener und verzweifelter mag die Gefühlslage vieler geflüchteter Menschen sein, auf die diese Faktoren infolge ihrer Fluchtgeschichte, ihres Status und ihrer aktuellen Lebensbedingungen noch viel stärker durchschlagen?

Die Infrastruktur mache es den Bewohnern außerdem schwer bis unmöglich, virtuelle Sprach- und Integrationsangebote zu nutzen. Es fehlen technische Voraussetzungen, Geräte. Homeschooling? „Oft fehlt einfach der Platz, an dem die Schulkinder ungestört dem Online-Unterricht folgen oder in Ruhe arbeiten und lernen können.“ Häufig fehle es auch an individuellen Ansprachen durch den Lehrer. Die Kinder können dem Online-Unterricht schwer folgen und werden (auch) in der Schule abgehängt.

„Das Lernen in der Unterkunft ist nicht so gut. In der Schule klappt es besser, und dort treffe ich auch meine Freundinnen“, berichtet die zwölfährige Louissa (Name geändert). Sie fühlt sich einsam.

Der Arbeitskreis Asyl versuchte dennoch, Freundschaften aufrechtzuerhalten. Er nahm Videos mit Erinnerungen an gemeinsame Aktivitäten auf und versendete sie, brachte Schoko-Osterhasen und Nikoläuse, stellte Infos und Tipps zusammen, erfand „Zaun-Geburtstage“ im Freien, verpackte Spiele, Bücher, Kuscheltiere und Praktisches in Geschenketüten, brachte vielsprachige Neujahrsgrüße. „Es ist uns wichtig, gerade in dieser dunklen Zeit Kontakt zu halten, Freude, Mut und Zuversicht zu verbreiten.“

Immerhin. In der kurzen Lockdown-Pause konnten 40 Teilnehmende eine spannende Greifvogelschau erleben und auf Riesen-Trampolinen toben. „Am schönsten hat mir die große Vogelschau mit dem großen Pelikan gefallen. Ich möchte im Frühjahr gern noch einmal in den Vogelpark“, sagt Valeria, 7 Jahre, aus der Ukraine. Und der fünfjährige Hansi aus Tribsees freut sich auf seinen Freund Jovan: „Wenn Corona vorbei ist, möchte ich jeden Tag wiederkommen und mit ihm Fußball spielen.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 0/2021