Bischof Jeremias hilft bei Essensausgabe der St. Petrusgemeinde "Armut mitten unter uns im Blick haben“

19.12.2020 · Schwerin. „Los, lasst uns Menschen glücklich machen!“ Mit diesem Ruf eröffnete Marcus Wergin die letzte Essensausgabe der Schweriner Kirchengemeinde St. Petrus für dieses Jahr. Rund 30 Helferinnen und Helfer hatten sich am Donnerstag (17. Dezember) unter dem Zeltdach im Garten der Kirche versammelt, als der Religionspädagoge einen Rückblick auf dieses besondere Jahr hielt und für jeden Helfenden ein persönliches Wort der Anerkennung und des Danks fand.

Mit dabei diesmal auch Tilman Jeremias, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Nordkirche. Tief beeindruckt von dem ehrenamtlichen Engagement, der fröhlichen Stimmung und den reibungslosen Abläufen, sagte er: „Im Namen der Nordkirche bedanke ich mich ganz herzlich! Viele können sich gar nicht vorstellen, wie dringend Menschen, die mitten unter uns leben, auf die Unterstützung durch Tafeln und Essensausgaben angewiesen sind. Was die Kirchengemeinde hier tut, ist ein unmittelbarer Ausdruck des christlichen Glaubens: Menschen in der Nachbarschaft im Blick zu haben.“ Kritisch fügt er hinzu: „Diese Arbeit machen sie Woche für Woche in dem Bewusstsein, dass es solch eine krasse Armut in unserem Land nicht geben dürfte.“

Seit 25 Jahren unterstützt die Kirchengemeinde auf dem Großen Dreesch Bedürftige mit Lebensmitteln, seit zwei Jahren ist Marcus Wergin für die sozialdiakonische Arbeit der Kirchengemeinde verantwortlich. „Viele unserer Helferinnen und Helfer sind selbst arm und gehören zur Risikogruppe“, erzählt er. So mussten 20 seiner rund 30 Unterstützer im vergangenen Jahr wegen Corona pausieren. Doch innerhalb kürzester Zeit hat er es geschafft, weitere Ehrenamtliche zu finden: Freiberufler, Menschen aus dem Gastgewerbe, die derzeit nicht arbeiten dürfen, und andere, die sogar Urlaub dafür nehmen. Seit dem ersten Lockdown im Frühjahr ist auch die Schweriner Landtagsabgeordnete Jacqueline Bernhardt (Die Linke) mit dabei. Wie die anderen packt sie jeden Donnerstag vier Stunden lang Tüten, sortiert, schleppt und begrüßt. „Ich freue mich,  dass wir durch Spenden diesmal viel Kinderspielzeug in die Tüten packen können. Das ist für die Familien so wichtig, dass es zu Weihnachten wenigstens ein bisschen besonders ist“. Sie hat sichtlich Spaß daran, mitzuhelfen. „Alle hier haben das Herz am rechten Fleck“, meint sie „das ist eine schöne, freudige Stimmung. Was ich hier erlebe, ist das, was ich als Kind in der Christenlehre gelernt habe: Christlicher Glaube bedeutet nicht nur Worte, sondern auch Taten.“

"Das Tütengeschäft gibt’s dann eher nebenbei“

Im Gemeinderaum stapeln sich Säcke voller Kartoffeln, Karotten, Kohlrabi. Rettiche liegen auf dem Tisch. „Zu den Lebensmitteln der Tafel kaufen wir immer frische Waren dazu“, erzählt Marcus Wergin. Das habe für ihn etwas mit Menschenwürde zu tun. „Die Waren, die die Tafel von den Supermärkten erhält, sind Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können. Da ist häufig etwas dabei, was einfach nicht mehr schön ist. Ich finde es beschämend, jemandem einen faulen Salat einzupacken“. In „normalen“ Zeiten bekommen die Tafelgäste in der Kirche einen Kaffee oder Tee und Kuchen und finden offene Ohren für ihre Sorgen: „Das Tütengeschäft gibt’s dann eher nebenbei“, so Wergin.

Doch in Coronazeiten ist alles anders: Die Fenster und Türen müssen beim Packen offen bleiben, und so sind die Freiwilligen in dicke Jacken gehüllt. Zu Weihnachtsmusik aus dem CD-Player sortieren sie Gemüse, Konserven, Nudelpackungen, Brot und Brötchen. An diesem Tag packen sie 300 Tüten: Ein Kilogramm Kartoffeln, Möhren, ein Vollkornbrot, ein Glas Rotkohl, Popcorn, Brotaufstrich, ein Stofftier, ein Büchlein. Es wird viel gelacht, die Handgriffe sitzen. Ab 11 Uhr kommen die Bedürftigen zum sogenannten „Welcome-Tisch“ und ziehen ein Los mit einer Art Wartenummer. Es sind viele Ältere, die mühsam heranschlurfen, auf Rollatoren gestützt, aber auch Familienmütter mit Kinderwägen, Männer, die sich auf Russisch unterhalten, und Geflüchtete. „Gäste“ werden sie genannt, und das drückt die große Wertschätzung aus, mit der die Menschen hier behandelt werden. So erhält jeder bei der Ausgabe neben seinen Tüten einen Blumenstrauß, frisches Obst, ein Lächeln und ein freundliches Wort.

"Das tut schon weh"

Pastor Tom Ogilvie aus der benachbarten Gemeinde Pinnow packt seit einem halben Jahr ehrenamtlich mit an: „Das erste Mal konnte ich nach sechs Stunden kaum ins Auto steigen“, sagt er lachend in Anspielung auf die harte körperliche Tätigkeit, bis zu 300 Tüten zu schleppen. Manchmal, so der Pastor, kämen ihm die Tränen: „Wenn ich sehe, wie die alten Menschen an kalten Tagen oder wie heute im Regen so lange und geduldig draußen stehen für eine Tüte mit Gemüse und Brot, tut das schon weh. Das sind Leute, die ein Leben lang gearbeitet haben und die hier mitten unter uns leben.“

Auch Jenö war für ein halbes Jahr einer von ihnen. Aufgrund seiner sozialen Situation hatte er solche Ängste entwickelt, dass er nicht mit den anderen draußen warten konnte, sondern alleine im Flur des Kirchengebäudes hockte. Heute, nachdem er seit sechs Jahren im Team dabei ist, ist er mit seiner humorvollen, anpackenden Art treibende Kraft der Essensausgabe: Morgens ist er vor halb sieben mit dem LKW in den Supermärkten unterwegs, auf Facebook treibt er Dinge auf, die als persönliche Gabe zu den Nahrungsmitteln in die Tüten kommen: dieses Mal ist es ein Büchlein mit Weihnachtsgeschichten, das wegen des Lockdowns nicht wie vorgesehen in Gaststätten verteilt werden konnten.

Marcus Wergin sagt dazu: „Das haben wir ganz oft, dass Menschen aus dem Tafelmilieu sagen: Hier sehe ich meine Verantwortung, mitzuhelfen. Hier habe ich auch endlich mal wieder eine Aufgabe.“ Heute jedenfalls, im Gemeinderaum mit den vielen fröhlichen Helferinnen und Helfern mit Weihnachtsmannmützen, zwischen den wohlgefüllten Tüten, aus denen vereinzelt die Schnauze eines Stofftieres herausragt und den friedlich wartenden Menschen ist es mitten in der Pandemie deutlich zu spüren – das Licht der Weihnachtshoffnung.

Quelle: Bischofskanzlei Greifswald (ak)