Landesbischof Bedford-Strohm warb in Neubrandenburg für Zusammenhalt "Das Glück mit anderen teilen"

Von Nicole Kiesewetter

Heinrich Bedford-Strohm in der Konzertkirche Neubrandenburg. Die überstürzte Wiedervereinigung sei auf Kosten des Ostens gegangen, sagte er unter anderem.

Foto: C. Jonassen

17.09.2023 · Neubrandenburg. Beim Empfang der evangelischen und katholischen Kirche zum 775. Jubiläum der Stadt Neubrandenburg hat der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm auf Gefahrenquellen und Chancen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt hingewiesen.

„Es ist eine Gefahr für die Demokratie, wenn es en vogue ist, verächtlich von denen da oben zu sprechen“, sagte der Landesbischof der Evangelisch–Lutherischen Kirche in Bayern vor Kurzem in der Konzertkirche Neubrandenburg. Beim Empfang der evangelischen und katholischen Kirche zum 775. Stadtjubiläum hielt er einen Festvortrag vor fast 500 Gästen. Immer wieder habe er gespürt, wie gravierend die Veränderungen waren, die sich mit der deutsch-deutschen Vereinigung seit 1990 für die Menschen ergeben hätten „und wie sehr das alles zur Herausforderung für den sozialen Zusammenhalt geworden ist“, sagte er darin.

 

Es gebe heute „nicht einen Verlust von Gemeinschaft, sondern eine Liberalisierung von Gemeinschaft, die Konsequenzen für den sozialen Zusammenhalt hat“. Die heutigen Formen von Gemeinschaft seien Netzwerkstrukturen, „bei denen die Gemeinschaftsbeziehungen zwar schwächer sind, dafür aber umso vielfältiger“. Der Landesbischof äußerte die Vermutung, „dass die überstürzte deutsch-deutsche Vereinigung hier auf Kosten des ostdeutschen Teils Deutschlands gegangen ist“.

 

Während sich die für den sozialen Zusammenhalt von pluralistischen Gesellschaften so wichtige Zivilgesellschaft im Westen viele Jahrzehnte lang entwickeln konnte, seien im Osten die staatlichen Strukturen der Gemeinschaft mit einem Schlag weg gewesen. „Ich vermute, dass viele der FDJ nicht unbedingt nachgetrauert haben ... Aber was ist an ihre Stelle getreten? Wo waren, wo sind die Orte der Gemeinschaft, in denen junge Menschen einen festen gemeinschaftlichen Bezugspunkt jenseits der Familie haben, wo Menschen sich aus Freiheit engagieren und in denen sie Heimat finden?“

 

In die entstandene Lücke seien offensichtlich an nicht wenigen Orten rechte Gruppierungen getreten, „die alte homogene und an unbedingter Loyalität orientierte Formen von Gemeinschaft anbieten und moderne freiheitsorientierte Formen von Gemeinschaft verächtlich machen oder geradezu bekämpfen“.

 

Eine weitere Gefahrenquelle sei die sich verfestigende soziale Ungleichheit. Soziale Gerechtigkeit sei ein wichtiger Faktor auch für den sozialen Zusammenhalt. „Deswegen muss der Verfestigung der Ungleichheit zwischen Ost und West, die sich insbesondere bei den Erbschaften abzeichnet, entgegengesteuert werden. Dass die einen ohne Leistung den Wohlstand ihrer Eltern weitergegeben bekommen, während die anderen, ohne irgendetwas dafür zu können, davon ausgeschlossen werden, ist eine Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt“, sagte er. „Die Politik muss eine Antwort darauf finden und dem Verfassungsgrundsatz, dass Eigentum verpflichtet, Geltung verschaffen.“

 

Was also halte die Gesellschaft zusammen, fragte der Landesbischof: „Erstens: eine Haltung, die das Ich nicht gegen das Wir ausspielt, sondern das eigene Glück mit anderen teilt und dabei die Erfahrung macht, dass es nicht kleiner, sondern größer wird. Dazu gehört auch das Engagement für das Gemeinwesen, ob in den unterschiedlichen Formen von Vereinen oder in der Politik.“

 

„Die Herausforderung ist, präsent zu sein“

 

Zweitens brauche es staatliche und kommunale Rahmenbedingungen, „die sicherstellen, dass auch die Schwächeren einen Platz in der Gemeinschaft und die damit verbundene soziale Teilhabe erfahren, und die damit zum Ausdruck bringen, dass der Wohlstand eines Gemeinwesens sich immer am Schicksal seiner schwächsten Glieder misst.“

 

In der anschließenden Podiumsdiskussion beschrieb Oberbürgermeister Silvio Witt seine Beobachtung, dass Menschen, die sich negativ im Internet äußerten, im persönlichen Gespräch auf der Straße häufig viel zugänglicher seien: „Die Herausforderung ist, präsent zu sein.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 38/2023