Zehnjähriges Jubiläum der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in MV Christlich-jüdischer Dialog als Zeichen der Hoffnung in Kriegszeiten

Landesrabbiner Yuriy Kadnykov, Vorsitzende Maria Schümann, Bischof Tilman Jeremias

Foto: A. Klinkhardt

23.03.2022 · Schwerin. Im Schatten des Kriegsgeschehens in der Ukraine und dennoch hoffnungsvoll feierte die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Mecklenburg-Vorpommern gestern Nachmittag (22. März) in Schwerin ihren zehnten Geburtstag.

Gegründet bereits im Jahr 2011 von Landesrabbiner William Wolff seligen Angedenkens, Weihbischof Horst Eberlein sowie dem damaligen Schweriner Propst Holger Marquardt war die Feier aufgrund von Corona um ein Jahr verschoben worden. Bischof Tilman Jeremias, selbst Mitglied des Vereins, sagte in seinem Festvortrag: „Ich kann hier nicht sprechen, ohne immer das unsagbare Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer in Kopf und Herz zu haben. Die meisten Menschen der jüdischen Gemeinden in unserem Bundesland haben Wurzeln in Russland oder der Ukraine, sorgen sich um Angehörige, Freunde und Bekannte. Jahrhunderte währendes jüdisches Leben wie in Odessa ist in existenzieller Gefahr. Und dennoch ist es gerade angesichts dieses barbarischen Krieges gut, dass wir heute hier zusammen sind und eine zehnjährige Geschichte der Verständigung feiern.“ Bei der Feier im Schweriner Wichernsaal stellte sich auch der Theologe Nikolaus Voss als neuer Beauftragter der Landesregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus vor.

 

Bischof Jeremias: Jüdischer Hintergrund von Jesus und den Evangelien

 

In seinem Festvortrag hob der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Nordkirche hervor, dass jeder christlich-jüdische Dialog asymmetrisch sei: „Man kann gut Jüdin oder Jude sein ohne den Austausch mit Christen. Man kann aber niemals Christin oder Christ sein, ohne sich der jüdischen Wurzeln des eigenen Glaubens bewusst zu sein und ohne sich den jüdischen Hintergrund Jesu, des Apostels Paulus oder der Evangelien klar zu machen.“ Neben gemeinsamen biblischen Glaubensgrundlagen wie dem an einen Schöpfergott oder die zehn Gebote gelte es, Differenzen klar zu benennen und auszuhalten: „Gott hat sich ein Volk erwählt aus allen Völkern, ein kleines Volk, das er liebt. ‚Ich bin dein Gott, du bist mein Volk‘– dieser Bund Gottes mit Israel gilt ewig. Wir als Kirche tun gut daran, zu akzeptieren, dass solch wesentliche Passagen der Hebräischen Bibel, also des Alten Testaments, nicht uns zugesprochen sind, sondern dem jüdischen Volk.“

 

Yuriy Kadnykov, der Landesrabbiner der jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, stammt selbst von der Krim. Er sagte: „Als Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit wollen wir zeigen: Wir sind da, in der Mitte der Gesellschaft und zwar in einem Land, in dem die meisten Menschen areligiös sind. Trotz der Differenzen, die Juden und Christen seit Tausenden Jahren haben, bauen wir auf Gemeinsamkeiten auf.“ Das ist ein ganz wichtiger Punkt gerade jetzt, wo jede Minute Bomben fallen und Menschen sterben. Es kann ein gutes Zeichen sein, wenn wir auch in diesen schwierigen Zeiten, in denen Abneigung und Hass herrschen, zusammenarbeiten und zusammen etwas aufbauen. Das ist eine Botschaft für die Zukunft und eine gewisse Hoffnung.“

 

Rabbiner Kadnykov: Menschen miteinander ins Gespräch bringen, statt Fahnen zu schwenken

 

Die derzeitigen Konflikte würden auch in die jüdischen Gemeinden getragen, erzählt er: „Die Konfliktlinien gehen zum Teil auch durch die Familien, weil fast alle Verwandte haben in Russland und der Ukraine. Wir versuchen, die Lage zu entspannen, indem wir ihnen erklären, dass sie mit jeder Berichtserstattung kritisch umgehen sollen, so wie wir kritisch umgehen mit unseren biblischen Texten. Wenn wir statt Nächstenliebe Nächstenhass ausüben, bringt das nichts. Die große Arbeit, die jetzt vor uns liegt, ist, Menschen zu einem Zwiegespräch zu bringen, anstatt Fahnen in egal welcher Farbe zu schwenken. Der erste Schritt ist, zuzugeben, wo man unrecht hat. Das ist nicht der erste Krieg in unserer 4000-jährigen Geschichte. Die Synagogen und Kirchen bleiben bestehen, und das sind die Orte, wo die Menschen sich sicher fühlen sollen, egal welchen Pass sie haben.“

 

Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit ist seit 2014 Maria Schümann. 1954 geboren habe sie in der katholischen Kirche noch gelernt, dass die Juden Gottesmörder seien. In der DDR sei das Verhältnis zum Judentum ambivalent gewesen: „Offiziell war die DDR nicht judenfeindlich: In der Schule wurden die Juden als Antifaschisten proklamiert. Auf der anderen Seite galt Israel als imperialistisch. Ich bin aufgewachsen mit dem Bild im Hinterkopf, dass Juden Ausländer in Deutschland sind.“

 

Vereinsvorsitzende Maria Schümann: Vielfältiges jüdisches Leben in MV entdecken

 

Sie freut sich über die gute Vernetzung der Gesellschaften im Norden: „Seit vier Jahren sind wir über eine Regionalkonferenz verbunden und haben besonders enge Kontakte zum Lehrhaus in Hamburg, nach Lübeck und nach Kiel.“ Gerade verschiebe sich der Schwerpunkt der Vereinsarbeit weg vom rein Theologischen: „Wir merken zunehmend, dass wir einen Dialog des Alltags brauchen. So passiert ganz viel, wenn Menschen aus unserer Region erstmals eine Synagoge besuchen und diese große Gastfreundschaft in den jüdischen Gemeinden erleben. Gerade jüngere Leute brauchen Angebote, bei denen sie anpacken und mitmachen können. Da passt es gut, dass unser Dachverband mit dem diesjährigen Jahresthema ‚Fair Play – jeder Mensch zählt‘ den Sport in den Mittelpunkt gestellt hat. Die vielleicht wichtigste Erfahrung aus dem Fest- und Gedenkjahr ‚1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland‘ ist, dass es ein ganz lebendiges vielfältiges jüdisches Leben in Deutschland gibt. Das gilt es auch in unserer Region zu entdecken.“

 

Weitere Informationen zur Gesellschaft unter: https://mecklenburg-vorpommern.deutscher-koordinierungsrat.de/

Quelle: Bischofskanzlei Greifswald (ak)