Heinrich Schliemann Der Selfmademan und sein Kindheitstraum von Troja

Von Nicole Kiesewetter

06.01.2022 · Ankershagen. Den einen gilt er als Pionier archäologischer Forschung, anderen als geltungssüchtiger Schatzgräber. Heinrich Schliemann, zu Lebzeiten als Entdecker von Troja verehrt, ist bis heute umstritten.

Mit Handelsgeschäften in Russland und Investitionen in den kalifornischen Goldrausch wurde Heinrich Schliemann (1822-1890) zum Millionär. Dank seines Reichtums konnte er sich ab 1864 auf ausgedehnte Reisen begeben und dabei ausgiebig die Antike studieren. Berühmt wurde er, weil er dabei archäologische Überreste des antiken Troja mit dem „Schatz des Priamos“ entdeckt haben will.

 

Geboren wird Schliemann vor 200 Jahren am 6. Januar 1822 in Neubukow in der Nähe von Rostock als fünftes von neun Kindern des Pastors Ernst Schliemann und dessen Frau Luise. Der Vater übernimmt 1823 eine einträgliche Pfarrstelle im ostmecklenburgischen Ankershagen, und Heinrich verlebt dort bis zum Alter von zehn Jahren seine nicht sehr glückliche Kindheit. Schliemanns Mutter stirbt früh, sein Vater ist, wie der Sohn viele Jahre später über ihn schreibt, „ein liederlicher Mensch, ein Wüstling“.

 

Es ist nicht genügend Geld da, um den jungen Heinrich aufs Gymnasium zu schicken. Nach einer abgebrochenen Lehre als Handelsgehilfe arbeitet Schliemann zunächst als Bürobote in Amsterdam. Dort fängt er an, autodidaktisch mehrere Sprachen zu lernen, und wird bald ein international erfolgreicher Geschäftsmann. Er bringt es als Bankier, Eisenbahninvestor und Lieferant der zaristischen Armee im Krimkrieg zu einem stattlichen Vermögen. Dann verkauft er seine Firmen und studiert in Paris Altertumskunde, Literatur und Sprachen.

 

Mit Anfang 40 beginnt er, sich ausschließlich der Suche nach Troja zu widmen - seinem Kindheitstraum, wie er später der Weltöffentlichkeit erzählen wird: Als Siebenjähriger habe er zu Weihnachten Georg Ludwig Jerrers „Weltgeschichte für Kinder“ geschenkt bekommen und in dem Buch die Abbildung des brennenden Trojas entdeckt. Darauf habe er zu seinem Vater gesagt, dass er einst die Mauern der sagenumwobenen Stadt Homers ausgraben werde.

 

Tatsächlich verantwortet Schliemann als erster Forscher umfassende Ausgrabungen im westtürkischen Hisarlik. 1873 entdeckt er den „Schatz des Priamos“, des legendären Königs von Troja - so glaubt er jedenfalls. Heute ist sich die Wissenschaft sicher, dass er sich um gut 1.250 Jahre in der Datierung geirrt hat, der Goldschatz gehörte einer früheren Hochkultur. Am Ende des Zweiten Weltkriegs gelangte er als Kriegsbeute der Roten Armee nach Russland.

 

1876 meint Schliemann, in Mykene die Goldmaske von König Agamemnon gefunden zu haben. Auch hier geht die Forschung davon aus, dass es sich um das Grab eines mykenischen Fürsten einer vorangegangenen Dynastie handelt.

 

Schliemann sei ein Schwärmer, den nicht wissenschaftliche Hinweise dazu brachten, ausgerechnet dort am Hügel Hisarlik nach der sagenhaften Stadt zu graben, sondern die griechische Heldensage, schreibt der Althistoriker Theodor Kissel in einem Aufsatz. Dabei sei die „eigentliche Tragik dieses großen Amateurarchäologen“: Bei seiner „ungestümen Suche“ nach dem Troja, wie Homer es beschrieb, habe Schliemann zwar genau an der richtigen Stelle gegraben, aber viel zu tief.

 

Gut 1.000 Jahre zu weit sei Schliemann in die Vergangenheit vorgedrungen, zu einer Schicht, die man heute Troja II nennt. Dabei hat er die Reste der homerischen Stadt - nach heutiger Auffassung wohl Troja VI oder VIIa - zerstört. Die Wissenschaft wirft Schliemann vor, er habe alle Fundstücke, die nicht zu seinem Troja passten, einfach mit dem Schutt wegkippen lassen.

 

Als letztes großes Projekt setzt sich Hobby-Archäologe Schliemann Ende der 1880er Jahre in den Kopf, das Grab Alexanders des Großen zu finden. Doch dazu kommt es nicht mehr. Er stirbt am 26. Dezember 1890 im italienischen Neapel. Seine Leiche wird nach Athen überführt und dort in einem prächtigen neoklassizistischen Mausoleum auf dem Ersten Friedhof von Athen beigesetzt.

 

Schliemann sei einer der ersten Kosmopoliten seiner Zeit und gleichzeitig „Identifikationsfigur“ gewesen, sagt Undine Haase, Leiterin des Schliemann-Museums in Ankerhagen. Das Museum zeige mit seiner Dauerausstellung und drei Sonderausstellungen im Jahr 2022, wie Schliemann, „aus der mecklenburgischen Provinz kommend, es mit Fleiß und Glück und allen Widrigkeiten zum Trotz schaffte, sich seinen Kindheitstraum zu erfüllen und ganz nebenbei zu einem der reichsten Privatmänner seiner Zeit zu werden“.

 

Der Mainzer Historiker Kissel sieht das Erbe Schliemanns dagegen kritischer: Er habe „Imagebildung mit alternativen Fakten“ betrieben, indem er manche Begebenheit seines Lebens stark idealisiert und bisweilen Geschichten auch komplett erfunden habe. Doch: „Das von ihm selbst verbreitete Narrativ vom bürgerlichen Autodidakten, der es mit Fleiß und Willenskraft zum großen Entdecker bringt, wirkt über seinen Tod hinaus.“

Quelle: epd