170 Jahre Evangelische Stiftung Michaelshof Vom Rettungshaus zum Sozialdienstleister

Von Marion Wulf-Nixdorf

Auf der Festwiese stellten Bewohner, Schüler und Mitarbeiter das neue Logo nach und ließen 350 Luftballons in den Himmel steigen.

Foto: M.Wulf-Nixdorf

26.04.2015 · Rostock. Wer feiert die fröhlichsten Andachten weit und breit? Die Bewohner und Mitarbeiter des Michaelshofes in Rostock- Gehlsdorf. Zumindest das Fest zum 170-jährige Bestehen am 10. April war voller Schwung und Lachen, bunt, festlich und lebendig.

Zu einem ordentlichen Geburtstag gehört ein Geburtstagslied, meinte Diakonie-Landespastor Martin Scriba, zückte seine Gitarre und sang mit den Bewohnern, Menschen mit Behinderungen, Kindern aus der Grund- und der Förderschule, den Mitarbeitern und Gästen ein englisches Lied. Die vielen Menschen, die im Speisesaal der Werkstatt für behinderte Menschen zusammen gekommen waren, hielt es kaum auf den Stühlen, auch Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling und Gattin sowie die Geschäftsführer der anderen großen diakonischen Einrichtungen in Mecklenburg hatten vergnügte Gesichter. Auch wer kein Englisch kann, ein Halleluja kriegt jeder hin.

Seit dem Jubiläumsfest hat der Michealshof ein neues Logo: Grün steht für das Michaelwerk, den Werkstätten für behinderte Menschen; Orange für die Michaelschule mit Grundschule, Förderschule und Hort; Gelb für den Servicebereich und Rot für das Wohnheim, Pflegeheim und Ambulantes Wohnen. Das Feld des Trägers in der Mitte der Stiftung ist in Diakonieblau gehalten.

Vor 170 Jahren gründeten Christen in Gehlsdorf mit großer Unterstützung von Bürgermeister, Universitätsrektor und Großherzog ein „Rettungshaus für verwahrloste Knaben“. Der Einzug des ersten Jungen am 10. April 1845 war dann der Beginn diakonischer Abeit in Rostock.

In Zeiten der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre schaffte es der findige Rostocker Bürger Studemund, harte Dollars aus Amerika und Gulden aus Holland zu organisieren und rettete damit die Einrichtung.

1931 bekommt das Rettungshaus, in dem inzwischen über 200 Kinder leben, den Namen Michaelshof. Bis 1940 schaffte es der Einrichtungsleiter Pastor Karsten, Mitglied der Bekennenden Kirche, den Michaelshof vor dem Zugriff der Nazis zu schützen. 1945 wird die Einrichtung an die Kirche rückübertragen.

Kurz darauf steht der Michaelshof wieder vor dem Aus: Es gab staatliche Begehrlichkeiten auf das lukrative Stiftungsgelände und Repressionen, sagt Direktor und theologischer Vorstand, Pastor Jens-Uwe Goeritz. Es erfolgten keine Einweisungen mehr. Die letzten 75 Kinder wurden 1950 in staatliche Heime verlegt. Damit war eine über 100-jährige Arbeit mit Waisen, Obdachlosen, jugendlichen Straftätern und zuletzt auch Flüchtlingskindern zwangsweise beendet. Doch dies war zugleich der Anfang der Arbeit mit geistig Behinderten, die in der DDR als Menschen zweiter Klasse ohne Recht auf Bildung behandelt wurden. Zehn Jahre später sind schon 200 Plätze belegt und weitere 200 stehen auf der Warteliste.

Nach 1989 wurde die Gebäudesubstanz grundlegend erneuert und erweitert, die Wohn-, Lebensund Arbeitsbedingungen verbessert. Seit 2009 gibt es inklusiv orientierte Lernangebote in der Michaelschule.

Durch gute diagnostische Möglichkeiten und Förderangebote werden behinderte Bewohner älter, erreichen das Rentenalter und brauchen auch im Alter tagesstrukturierende Maßnahmen. Die Räume der Seniorentagesstätte, die heute von 25 Menschen besucht werden, werden nicht refinanziert, kritisiert Direktor Goeritz. „Zusätzliche Plätze können wir aus eigener Kraft nicht schaffen“, sagt er, „wir haben aber mehr Bedarf“. Der Landesrahmenvertrag auf kommunaler Ebene müsse dringend weiter entwickelt werden, fordert auch Landesdiakoniepastor Martin Scriba.

Seit 2013 mit Gründung der Grundschule und Hort kommt der Michaelshof zu seinen Wurzeln zurück: Zur Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gänzlich unabhängig von einer Behinderung. Am 31. August sollen die Schule als Förderschule und Grundschule f ü r Kinder mit und ohne Behinderung sowie das Institut für berufliche Qualifizierung am neuen Standort Dierkower Damm 39 eröffnet werden.

Einen Tag später soll der neue inklusive evangelische Kindergarten auf dem Gehlsdorfer Stiftungsgelände seine Arbeit aufnehmen. In Planung sind 75 Plätze. Vorerst entstehen in diesem Jahr die ersten 15 Kindergartenplätze, davon vier für Kinder mit Beeinträchtigung.

Heute gibt es im Wohn- und Pflegeheim 243 vollstationäre Plätze in Zweiund Ein-Bett-Zimmern und 48 Plätze im Trainingswohnen und ambulant betreuten Wohnen in verschiedenen Stadtteilen von Rostock und in Lieblingshof.

Mehr als 600 Menschen erhalten im Michaelwerk – den Werkstätten für behinderte Menschen an den Standorten Kröpelin, Rostock, Bad Doberan und Bentwisch – berufliche Qualifizierung und Unterstützung im Arbeitsleben wie Stempelfertigung, Kabelrecycling, , Wäscherei, Garten, Montage und an 67 Außenarbeitsplätzen in Firmen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Der Michaelshof hat 363 feste Mitarbeiter und 28 FSJler, Ehrenamtliche, Praktikanten und geringfügig Beschäftigte.

Von den rund 12 000 Mitarbeitern in der Diakonie in MV arbeiten 3000 im Bereich der Behindertenhilfe. Das komme nicht von ungefähr, so Landespastor Scriba, „die DDR hat dieses Feld der Kirche überlassen“.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 17/2015