Flüchtlingsbeauftragte Christine Deutscher im Gespräch "Die Angst überwinden“

Christine Deutscher ist seit 2015 Flüchtlingsbeauftragte des pommerschen Kirchenkreises

Foto: PEK/S. Kühl

21.09.2020 · Greifswald. Während Tausende Flüchtlinge in Moria in Not sind, wirbt in ganz Deutschland die Interkulturelle Woche (IKW) wieder für kulturelle Offenheit und Verständnis für Flüchtlinge. Anja Goritzka sprach mit der Flüchtlingsbeauftragten des pommerschen Kirchenkreises über die Veranstaltungsreihe, über Moria und die Frage, was Kirchengemeinden jetzt tun könnten.

Wie wichtig sind die Interkulturelle Woche und das Netzwerk Migration, zu dem Sie gehören, gerade jetzt?

Christine Deutscher: Das A und O ist Begegnung. Wer Menschen kennt, die in Not sind, wird eher für Mitmenschlichkeit eintreten. Das gilt für Corona ebenso wie für Menschen, die auf der Flucht sind. Die IkW ist für Begegnungen wie geschaffen: Die Veranstaltungen laden ein, über den Tellerrand zu schauen. Wir können Geschichten von Menschen hören, die uns die Vielfalt des Lebens deutlich machen. Im Netzwerk sind alle, die beruflich oder ehrenamtlich mit dem Thema Migration verbunden sind, miteinander regelmäßig im Austausch. Auch hier gilt: Wer sich kennt, kann gemeinsam nach Lösungen suchen.

Die Veranstaltungen der IKW werden vor allem von Menschen besucht, die schon interessiert sind.

Ja, ein interessiertes Publikum erreichen wir eher. Auch durch spezielle Veranstaltungsorte erreichen wir Menschen. Und auch die Art der Aktion spielt eine Rolle. Wir bieten nicht nur Vorträge an, sondern auch ein Puppentheater mit einer weltoffenen Geschichte und einen Aktionstag für Jugendliche.

Wie kann man Menschen erreichen, die „kritisch“ sind oder verunsichert?

Da dürfen wir nicht nur auf offizielle Veranstaltungen setzen. Wir alle sind jederzeit aufgefordert, mit Leuten Gespräche zu führen. Dazu einzuladen, sich auf neue Begegnungen einzulassen, zum Beispiel beim Internationalen Café mittwochs im Greifswalder St. Spiritus.

Moria ist abgebrannt. Was können wir hier vor Ort jetzt konkret tun?

Moria ist nur eins der Flüchtlingslager in Griechenland, wo Menschen unter schrecklichen Bedingungen ausharren. Wir können Geld spenden, damit NGOs Hilfe leisten können, wenn die staatliche Hilfe nicht ausreicht.

Was ist außer Geldspenden möglich?

Eine andere Möglichkeit ist, von unseren regionalen Abgeordneten einzufordern, dass sie sich für eine menschliche Aufnahmepolitik einsetzen. Lassen Sie uns – jede Person einzeln – an unsere Abgeordneten schreiben! Der Bundestag muss die Aufnahmen beschließen. Ein Landesaufnahmeprogramm in Mecklenburg-Vorpommern würde ermöglichen, dass über die Bereitschaft des Bundes hinaus noch weitere Flüchtlinge kommen könnten. Das wurde kürzlich im Landtag abgelehnt. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass es wieder auf den Tisch kommt und nicht abgelehnt wird!

Viele Menschen haben vor einem politischen Alleingang Angst. Sie sagen: Wenn wir jetzt alle evakuieren und in Deutschland aufnehmen, folgen ganz viele nach. Wie dem begegnen?

Dass Deutschland alle aufnimmt, steht überhaupt nicht zur Debatte. Das haben wir auch 2015 nicht gemacht. Ich möchte Mut machen, sich aus dieser Angst vor „allen“ zu befreien! 2015 war ein besonderes Jahr, in dem ich erleben durfte, wie Leute in unseren pommerschen Dörfern ihre Angst überwunden und sich getraut haben. Und das, obwohl manche Alteingesessene noch niemals einen Menschen mit dunkler Hautfarbe gesehen hatten. Solchen Mut, die eigene Angst zu überwinden, wünsche ich mir auch heute für unsere Gesellschaft.

Quelle: Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 36/2020