Domprediger em. Volker MischokDie Fenster im Dom zu Schwerin

Die Dichterin Marie Luise Kaschnitz hat in ihrem Gedicht „ Auferstehung“ sehr treffend zum Ausdruck gebracht, was den Besucher eines gotischen Domes erwartet, so er ihn betritt. Ich, Mensch, bin hier: „Vorweggenommen in ein Haus aus Licht“

 

Es ist die Höhe, es ist die Weite dieses Hauses, die überrascht. Es sind die Maße, die über mein eigenes Maß hinausführen, die unsere begrenzten menschlichen Maße übersteigen. Und es ist das Licht, das den Raum flutet, das die steinerne Hülle leicht macht, sie an- und aufhebt. Wir können davon ausgehen, daß ursprünglich ein in Farben gebrochenes Licht den Dom füllte, das auf den hellen Wänden und Pfeilern „spielte“. Schauen Sie sich um! Nur noch wenige „bunte“ Fenster sind mit den Jahren erhalten. Sie sind dem Dom abhandengekommen. Und damit sind auch die Geschichten abhandengekommen, die diese Fenster erzählten. Im Mittelalter waren Altäre, Wandmalereien und Glasfenster biblia pauperum, Bücher für die Armen, die biblische und Geschichten aus der Glaubenstradition lesbar, ablesbar machten und zur Auseinandersetzung ermunterten.

 

Gehen wir ein Stück durch den Dom!

 

In der südöstlichen Chorumgangskapelle finden sich die ältesten Glasfenster des Hauses.In das Mittelalter werden sie datiert. Betrachten Sie sie in Ruhe! Welch´ Stille geht von ihnen aus! Dort oben, das älteste Fenster, der junge Mann mit Buch und Stift, sein Haupt ist geneigt…ein über das Wort Sinnender. Wir deuten ihn als den Evangelisten Johannes. Und in der unteren Reihe ist Petrus zu sehen: zwei blaue Schlüssel trägt er in den Händen: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben“, sagt Jesus zu Petrus. Wir hören die alten Worte, das Blau schließt uns das Verborgene auf…

 

Die östlichen Fenster des Chorumganges fassen Fensterbilder des 19.Jahrhunderts. Klar und lebendig wird hier biblische Geschichte erzählt, werden Menschen der Bibel erinnert: Mose, Propheten…Und dort!, im Scheitel des Chorumganges!, drei Fenster, die nach Vorlagen von Peter von Cornelius in der Schweriner Glaswerkstatt von Ernst Gillmeister gefertigt wurden. Unser Blick wird geweitet, oder geöffnet?, für das Geheimnis der Himmelfahrt: „…und eine Wolke nahm Jesus auf vor ihren Augen weg.“ Der Auffahrende wird gelichtet.

 

Wandern wir nun in den Westen des Domes. In der südwestlichen Turmkapelle erblicken Sie das „Weihnachtsfenster“, das nach Vorlagen des Schweriner Hofmalers Gaston Lenthe, ebenfalls in Gillmeisters Werkstatt 1845, in Glas übersetzt wurde. Wie häufig haben wir die alte Weihnachtsgeschichte schon gehört? Und wie neu und besonders wird sie hier erzählt? Dort oben, der Verkündigungsengel! Darunter der Alltag der Hirten, die durch Licht und Wort des Engels herausgerissen werden aus ihrer Alltäglichkeit: „Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus“. „Fürchtet euch nicht!“, spricht der Engel zu den Hirten, doch ehr-fürchtiges Staunen durchzieht diese Ebene des Fensterbildes, es wird auch dem Betrachter spürbar. Darunter: die Geburt! Der Neugeborene, eine Quelle des Lichtes. Die Hirten haben sich aufgemacht, sie sind zur Krippe gewandert, das Licht des Kindes macht ihre Gesichter hell. Wer sagt, er kennt die Geschichte? Lesen Sie sie neu aus diesem Fensterbuch.

 

Die nordwestliche Turmkapelle erzählt von Jesu Taufe. Da umspült das Wasser des Jordan die Füße Jesu, es ist zu hören. Johannes der Täufer hat dieses Wasser geschöpft und läßt es über das Haupt Jesu fließen…so wie es bis heute in den Taufen fließt: „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“

 

Neue Bücher – „Lichtbogen“ von Günther Uecker

 

Häufig haben wir bedauert, daß so viele Glasfenster dieses Domes nicht mehr vorhanden sind. Ein Gedanke kam auf: wir sollten dem Dom sein farbiges Licht, seine Geschichten an Fenstern und Wänden zurückgeben. Aber wie? Und auf welche Weise? 2009 setzte uns der in Mecklenburg geborene Künstler Prof. Günther Uecker eine Ausstellung in den Hohen Chor des Domes. Ein Ereignis. In aller Welt werden Werke Ueckers gezeigt und angesehen. „Dialog“ so nannte Uecker sein künstlerisches Nachdenken. Fragen wir Günther Uecker, ob er uns ein neues Fensterbuch schafft? Er, der wie kaum ein anderer sich von Religionen hat berühren lassen, er könnte doch einsprechen in diesen geprägten Dom? Von dem Erfahrenen könnten wir uns doch etwas sagen lassen?

 

Günther Uecker hat unserem Wunsch entsprochen. 2017 weilte er still und lange in diesem Gehäuse. Er schaute, was da ist…er skizzierte mit dem Bleistift…er hörte auf das, was wir ihm erzählten…und endlich!, 2020 sandte er uns seine Entwürfe. Als sie noch verschlossen vor uns lagen…was würden sie zum Ausdruck bringen? In scheuer Erwartung öffneten wir seine Vorschläge…Und unsere erste Reaktion? Ein Staunen! Staunen über das Einfache, mit dem Uecker unseren Wunsch beantwortete. Wir erkannten: die Demut des Künstlers vor dem alten Dom, dem mittlerweile über 850jährigem Gehäuse, das so viele Sehnsüchte, Sorgen und Freuden der Menschen birgt. Ganz und gar uneitel nimmt Uecker auf, was schon da ist und verstärkt und weitet es behutsam in Farbe und Form: das Blau, das Licht, die gotischen Bogenschwünge…

 

Hier wird keine Geschichte auserzählt, hier wird hinter das ins Bild gebrachte Wort vom Licht kein Punkt gesetzt…wir sind hineingenommen in das Ereignis des Lichtes: „Und Gott sprach: es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah an, daß das Licht gut war.“… „HERR, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast.“ … „Mache dich auf, werde licht!“ … „und die Klarheit des Herrn umleuchtete sie“ … Jesus sprach: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ …

 

DERIX GLASSTUDIOS aus Taunusstein haben die Vorlagen Ueckers mit hohem Einfühlungsvermögen und technischer Kunstfertigkeit auf Glas übertragen. Lassen Sie sich berühren von diesem Licht, stellen Sie Ihr Leben unter die „Lichtbogen“, die Günther Uecker uns an die Fenster geschrieben hat…lesen Sie in diesem Buch!

 

Dieses Haus gehört nicht allein uns, der christlichen Gemeinde, die hier wir uns sammeln und Gott, unserem HERRN, zu Lob und Dank Gottesdienste feiern. Viele Menschen suchen das alte Gehäuse auf, sie suchen die Stille und das in der Alltäglichkeit Verborgene, sie hoffen und sie klagen, sie danken. Sie ergründen und Sie erdeuten das Leben auf ihre Weise. Auch Sie haben sich unter die „Lichtbogen“ begeben. Das Licht leuchtet, es fällt oder es steigt auch in Ihr Leben. So möge es sein, das ist unser Wunsch.

 

Zu unterschiedlichen Tageszeiten, bei verschiedenen Lichtstimmungen leuchten die Fenster, sie breiten ihr Blau aus, über Pfeiler und Wandflächen. Das um den Tag wandernde Sonnenlicht wird immer neu gefaßt, und bei einbrechender Dunkelheit sammeln die Fenster das schwächer werdende Licht und geben es auf sanfte, stille Weise wieder. Farbresonanzen klingen auf: denken Sie an die blauen Schlüssel des Petrus, sehen sie den blauen Grund des Altares, den Mantel Mariens unter dem Triumphkreuz oder die blauen Randungen der hohen Fenster…

 

Viele Menschen und Einrichtungen haben beigetragen, diese „Lichtbogen“, die neuen Bücher, in unsere Dombibliothek zu stellen. Günther Uecker ist ihr Verfasser, ihm gilt unser Dank.

Uecker-Fenster in Dienst gestellt

Bilder: Förderkreis Schweriner Dom e.V., Udo Tanske

 

Mit einem Festgottesdienst im Dom wurden am 17. September 2023 die ersten beiden Kirchenfenster nach Entwürfen Günther Ueckers unter dem Titel „Lichtbogen“ liturgisch in Dienst gestellt. Die Kirchengemeinde feierte den Abschluss der ersten Etappe des Kunstprojektes anschließend mit einem Gemeindefest. Es gilt nun, die bereits weit fortgeschrittene Finanzierung der Kunstglasfenster drei und vier zu sichern und damit im kommenden Jahr das Fensterprojekt im Querhaus des Schweriner Domes abzuschließen.

 

Finanzieren konnten Kirchengemeinde und der Förderkreis des Schweriner Domes e.V. die Fertigstellung der ersten beiden Fenster durch die Förderung der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und der Stiftung der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin sowie der Kulturprojektförderung aus dem Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. Finanzielle Unterstützung kam auch von Schweriner Bürgerinnen und Bürgern sowie von der privaten Sammlung Lenz-Schönberg.

 

„Mit den wunderbaren Uecker-Fenstern bekommt Schwerin ein Kunstprojekt von internationalem Rang“, sagte Kulturministerin Bettina Martin. „Sie sind eine Bereicherung für die Kulturlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns. Und sie sind ein Beleg dafür, dass in den Denkmalen des Landes Raum für zeitgenössische Kunst ist. Ich freue mich, dass die herrlichen Fenster künftig für alle Besucherinnen und Besucher des Schweriner Doms sichtbar sein werden. Die Bedeutung Ueckers für Mecklenburg-Vorpommern ist herausragend. Er ist ein Kind des Landes und immer mit seiner mecklenburgischen Heimat verbunden. Ich freue mich, dass mit den Fenstern im Schweriner Dom ein Teil seines Schaffens in seiner Heimat dauerhaft zu bewundern sein wird.“

 

„Bereits seit 2016 sind wir in dieses großartige Vorhaben involviert, erinnert Kai Lorenzen, Vertreter der Stiftung der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin. „Wir mussten auch schnell erkennen, dass es für dieses aufwändige Kunstprojekt einen langen Atem braucht. Und gerade hier sind die Ostdeutsche Sparkassenstiftung und die Stiftung der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin ein zuverlässiger Partner der Kulturförderung in Mecklenburg-Vorpommern. Mit den von Günther Uecker gestalteten Fenstern wird die Bedeutung des Domes als eines der zentralen Gebäude Schwerins noch einmal unterstrichen“, so Kai Lorenzen.

 

Günther Uecker hat die vier blauen Fensterentwürfe unter den Titel „Lichtbogen“ gestellt. Die zwei jetzt in den Derix Glasstudios in Taunusstein fertig gestellten Fenster bestehen aus 65 Glasfeldern und haben eine Fläche von 31 Quadratmetern. Der 93jährige Künstler hat den Herstellungsprozess in den Derix Glasstudios in Taunusstein begleitet.

 

Der in heller Farbigkeit ausgemalte gotische Dom bedarf einer Gestaltung seiner Fenster, wie es in Kirchen dieser Epoche üblich war. Bis auf wenige Reste sind die originalen Buntglasfenster verschwunden. Im 19. Jahrhundert entstanden im Chor und am Turm neue Fensterverglasungen, die Begebenheiten aus dem neuen und alten Testament erzählen. Doch die Hauptfenster der Quer- und Seitenschiffe sind heute nur noch einfach verglast. „Sie lassen das Licht in die gotische Kathedrale fließen, aber sie formen es nicht“, sagt Pastor Volker Mischok. „Und so gibt es für uns geistliche Gründe, die Fenster neu zu gestalten“, ergänzt der Domprediger im Ruhestand, der das Projekt im Auftrag der Domgemeinde begleitet.

 

Günther Uecker wurde vor 93 Jahren im mecklenburgischen Wendorf geboren. Er wuchs auf der Halbinsel Wustrow bei Rerik auf, ehe er 1953 nach Westberlin ging und sich später in Düsseldorf niederließ. Der weltweit tätige Künstler hatte 2009 im Schweriner Dom seine Ausstellung „Dialog“ gezeigt. Mit den Friedensbotschaften aus dem Alten Testament und dem Koran auf Stoffbahnen im Hohen Chor des Domes und vielen weiteren Kunstprojekten, unter anderem der Gestaltung des Andachtsraumes des Deutschen Bundestages im Berliner Reichstagsgebäude 1999, wurde er zum Mittler zwischen den Kulturen und Religionen. Die Schweriner Domgemeinde und ihr Förderkreis sind dankbar für die fruchtbare Arbeitsbeziehung mit Günther Uecker und die finanzielle Unterstützung der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Stiftung der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin und des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

 

Die Domgemeinde und der Förderkreis Schweriner Dom e.V. wollen die Umsetzung der Fensterentwürfe drei und vier noch im Herbst 2023 bei den Derix Glasstudios in Auftrag geben. Für die Sanierung der Schutzverglasungen und die begleitenden Restaurierungsarbeiten an den beiden Fenstern wird weiter um Spenden gebeten.

 

Quelle: Pressemitteilung des Förderkreis Schweriner Dom e.V.

Am 17. September ist es soweit!Liturgische Indienststellung der Uecker-Fenster im Dom

Zum Abschluss der ersten Bauphase und liturgischen Indienststellung von zwei der vier Fenster im nördlichen Querhaus des Schweriner Doms laden wir Sie herzlich ein am Sonntag, 17. September 2023, 10:00 Uhr, zum Gottesdienst in den Dom. Wir freuen uns darauf, gemeinsam mit Ihnen die ersten Lichtbögen im Dom zu bestaunen.

 

Im Anschluss an den Gottesdienst gibt es um

11:00 Uhr Kirchen-Kaffee

11:30 Uhr Pressetermin vor den Ueckerfenstern

12:00 Uhr Etappenfest mit Gesprächen und Imbiss im Dom

Terminverschiebung der liturgischen Indienststellung

Uecker-Fenster im September
Terminverschiebung zur „liturgischen Indienststellung“ im Schweriner Dom


Die Freude auf die ersten beiden Uecker-Fenster im Schweriner Dom ist groß. Derzeit werden die neuen Schutzverglasungen eingebaut. Bedauerlicherweise musste der Termin zur liturgischen Indienststellung am 25. Juni 2023 im Gottesdienst um einige Wochen in den September 2023 verschoben werden. Das mit der Fensterherstellung nach den Entwürfen von Günther Uecker beauftragte Glasstudio Derix in Taunusstein hat mitgeteilt, dass der für das Projekt zuständige Kunstglasmaler erkrankt ist und die Durchführung der Arbeiten neu organisiert werden mussten.

Mit Ätz-Verfahren werden die blauen Gläser unter Schutzausrüstung in eigens dafür abgeschotteten Kabinen gestaltet. Das alles erfolgt in enger Abstimmung mit Günther Uecker. Domgemeinde-Vertreter und Förderkreis hatten sich in den Glasstudios Derix einen Eindruck von den Herstellungsprozessen verschafft. Die 1866 gegründete Firma Derix ist eines der wenigen Unternehmen in der Bundesrepublik, die Glaskunst für Kirchen herstellt. Die Professionalität der Werkstätten ist international gefragt.

Thomas Balzer, Vorsitzender Förderkreis Schweriner Dom e.V.