Die Pfarrkirche St. Johannes in Rerik

Rerik, bis 1938 Alt-Gaarz, war wohl schon vor 800 Jahren ein Ort, wo es den Bewohnern – Slawen, aber auch Deutschen, die ab dem 11. Jahrhundert von Westen her eingewandert waren – recht gut ging. Der Wohlstand erlaubte es den Grundherren des (z. B. im Vergleich mit Neubukow) recht kleinen Ortes, im 13. Jahrhundert eine Kirche bauen zu lassen. Die Entscheidung fiel leichter durch den Beginn einer Friedenszeit: 1227 war der dänische König von den norddeutschen Fürsten im Verein mit den Truppen der Lübecker besiegt, seine Truppen aus dem deutschen Raum vertrieben worden. 1229 erhielt Wismar das Stadtrecht.

 

Aber über die frühe Zeit in Alt Gaarz können wir fast nur Vermutungen anstellen: Wir wissen nichts Genaues über den Bau der Kirche, über das Datum der Weihe, über spätere Anbauten und Umbauten denn alle Dokumente, in denen man darüber hätte nachlesen können, wurden 1567 bei einem Brand des Ortes vernichtet, als auch das Pfarrhaus mit den darin befindlichen Kirchenbüchern abbrannte und wohl nur die steinerne Kirche stehen blieb.

 

Fachleute der Kirchen-Architektur können aus dem Bau einiges ablesen und vermuten durch Vergleiche mit anderen Kirchen, dass wahrscheinlich Bauleute aus dem Westfälischen den Bau der Alt-Gaarzer Kirche im 13. Jahrhundert begannen. Seit 2015 kennen wir dank dendro- chronologischer Untersuchungen des Dachgebälks auch das Jahr, in dem der Altarraum der Kirche fertiggestellt wurde: Im Jahr 1242/43 wurde der Dachstuhl eingedeckt. Wenige Jahre später dürfte der Hauptraum mit den beiden Pfeilern und sechs spitzbogig gewölbten Jochen von fast gleicher Höhe (von etwa 10 Metern) fertiggestellt worden sein.

 

Wie viele Dorfkirchen jener Zeit wurde die Kirche ohne den Turm erbaut. Der Turm, auch das wissen wir aus dendro-chronologischen Gutachten, wurde erst um 1410 fertiggestellt.

 

Wir vermuten, dass er nicht von den Grundherren des Pfarrsprengels, sondern von Wismarer Kaufleuten bezahlt wurde, die für die Kapitäne ihrer Koggen eine Landmarke brauchten, mit deren Hilfe die Wismarbucht angesteuert werden konnte.

 

Wie hunderte andere Dorfkirchen, die ebenfalls schon im 13. Jahrhundert erbaut wurden, gehört unsere Kirche zur ersten Generation der norddeutschen Backsteingotik.

 

Die im Vergleich riesengroßen, prächtigen Kirchen der reichen Kaufleute und Handwerker in Wismar, Rostock, Stralsund und anderen Hansestädten, die mit dem Wachstum der Städte seit dem späten 13. Jahrhundert entstanden, repräsentieren die zweite und dritte Generation der Backsteingotik.

Zwischen 1526 und 1549 wurde Mecklenburg protestantisch. An der Gaarzer Gemeinde ging dieser Wechsel wohl recht spurlos vorüber - wie er auch für den Alltag der Menschen kaum Folgen hatte. Viel einschneidender waren hundert Jahre später die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf unsere Gegend: ln vielen Gebieten, so wahrscheinlich auch in Alt Gaarz, waren 1648 bis zu zwei Drittel der Bevölkerung ums Leben gekommen. Zwanzig Jahre brauchten die Menschen, bis sie an den Frieden, ein wiedergekehrtes normales Leben glauben konnten. Aus Freude darüber, so kann man vermuten, ließ die Gemeinde ihre Kirche 1668 vom Kirchenmaler Hinrich Greve aus Wismar so fröhlich-festlich gestalten, wie wir sie heute sehen.

Allerdings wurden diese barocke Wandmalereien im 19. Jahrhundert in großen Teilen weiß übertüncht und erst in den Jahren 1971 bis 1976 wieder freigelegt.

 

Während also der Bau, eine Kirche der norddeutschen Backsteingotik, fast 800 Jahre alt ist, stehen wir im Inneren vor einer Bemalung und Ausstattung, die 400 bis 500 Jahre später, zwischen 1668 und 1780, entstand, und die barocken Farben- und Formenreichtum zeigt.

Nur weniges erinnert noch an die mittelalterliche Zeit: an der Südwand des Kirchenraums der Mittelteil eines ursprünglich dreiflügeligen gotischen Altars aus der Mitte des 15. Jahrhunderts; an der gegenüberliegenden Wand ein Triumphkreuz aus der Zeit um 1500. Wohl schon aus der Bauzeit der Kirche stammt der Taufstein aus Kalkstein von Gotland. Er steht heute fast unbeachtet in einer Ecke des Kirchenraums, seit um die Mitte des 18. Jahrhunderts unser wunderschöner Taufengel seinen Platz im Altarraum fand.

 

Die Patronatslogen, von denen noch zwei den Innenraum bestimmen, fallen Besuchern besonders auf. Ursprünglich waren es vier Emporen, in denen die adligen Familien der Grundherren am Gottesdienst teilnahmen, getrennt vom gemeinen Volk ihrer Bauern. Zwei dieser Logen entstanden schon im 17. Jahrhundert von der Kägsdorf-Hohen Niendorfer Empore sind nur Reste in der Südwestecke des Hauptraumes erhalten. Prächtig erscheint dagegen die Mechelsdorfer Empore gegenüber in der Nordwestecke des Kirchenraums. Sie wurde 1682 für die adelige Familie der von Maltzahns eingebaut.

Die Wustrowsche Empore steht als einzige noch am Ort ihres Einbaus im Chorraum, der insgesamt von spätbarocker Ausstattung aus dem 18. Jahrhundert bestimmt ist.

Vor rund 260 Jahren, etwa ab 1750, entstanden hier außer der Empore der Altar mit reichem Figuren- und Bildschmuck, die Kanzel, der (evangelische!) Beichtstuhl und der Taufengel.

 

Das barocke Gegenstück an der westlichen Seite des Hauptraumes bildet der Orgelprospekt von 1780. In das Gehäuse baute Friedrich Winzer aus Wismar 1870 eine neue Orgel ein. 1973/74 wurde das Instrument von der Firma Schuke aus Potsdam grundlegend umgestaltet und klanglich neu aufgebaut. Erneut restauriert wurde die Orgel in den Jahren 2005/06.

 

(Konzerte finden im Sommer jeweils am Donnerstagabend um 20 Uhr statt.)

 

Einige weitere Besonderheiten verdienen es noch hervorgehoben zu werden:
Unter den barocken Wandmalereien sind bei der Restaurierung in den siebziger Jahren an einigen Stellen figürliche und omamentale Malereien aus dem 13. Jahrhundert, also aus der Bauzeit der Kirche, und auch aus dem 14, und 15. Jahrhundert freigelegt worden.

Der Beichtstuhl in der Ecke des Chorraumes ist wirklich ein evangelischer Beichtstuhl, als der er auch bis etwa 1900 verwendet wurde.

Der Taufengel erfüllt heute wieder seinen Dienst bei Taufen, nachdem er 100 Jahre lang vergessen auf dem Gewölbe im Dachraum der Kirche lag.

An der Kanzel hängt eine originale vierteilige Sanduhr aus dem 17. Jahrhundert, die dem Pastor ebenso wie der Gemeinde das Vergehen der Predigtzeit anzeigte.