Geistliche Impulse

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Predigt Jesaja, 63. & 64. Kapitel

2. Advent 2021 | Jesaja 63/64. Kapitel | Pastor Paul Glüer


Mansours starrt auf den Fußboden. Sein Kopf hängt leicht schräg nach vorne, ganz so, als könnte sein Hals die Kraft nicht mehr aufbringen, ihn erhoben zu halten. Die Sorgenfalten haben sich in den letzten Wochen verdoppelt.

Schon vorher sein das Leben bestimmt von Angst und Ungewissheit. Eine Perspektive hatte es ja auch im Irak nicht gegeben. Und um keinen Preis der Welt würde er zurückgehen. Er war seine Heimat, aber ein Zuhause war der Irak nicht mehr.

Alles was er wollte, war doch nur ein ruhiges Leben in Sicherheit. Mit einem Job, genug zu essen, einer Wohnung und – wenn es sich ergeben sollte – einer Familie.

„Kein Problem“, hatte ihn der Mann in dem Reisebüro versprochen. Für 3000 Dollar würden sie ihn nach Belarus bringen, ganz bequem im Flugzeug. Ab da würden Schlepper den Rest übernehmen. In Nullkommanichts sei er dann in der EU – Deutschland oder wohin er auch wolle.

3000 Dollar! Was hatte er nicht alles verkaufen, verpfänden und auf was in den Monaten zuvor nicht auch verzichten müssen, um das Geld zusammenzubekommen. Zumindest schien dann alles so zu laufen, wie versprochen. Eines Morgens saß er im Flugzeug nach Belarus. Nur mit dem Nötigsten, einem kleinen Rucksack und den wichtigsten Habseligkeiten, aber mit umso mehr Hoffnung im Gepäck.

Rund einen Monat ist das her. Seitdem ist ihm beides abhanden gekommen: Sein Rucksack nahmen ihm die belarussischen Soldaten ab. Seine Hoffnung verlor er in den polnischen Wäldern.

Nur sein Smartphone, einen Schlafsack und etwas Geld hatte er am Ende noch besessen. Bis ihm die polnischen Grenzpolizisten zwangen, sein Geld runterzuschlucken.

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„Wie bitte?!“, schnaubt sie ins Telefon. „Das ist doch jetzt echt nicht dein Ernst!“.

„Das ist mein letztes Wort, Franzi.“, versucht ihre Mutter das Gespräch zu beenden. Aber so schnell gibt sie nicht klein bei. Weihnachten ohne ihre Mutter feiern – so weit kommt‘s noch. Was soll sie denn ihren zwei Jungs erzählen, wenn Oma nicht dabei ist. Sie war doch bisher immer dabei. Sie versucht es auf die einfühlsame Art:
„Mama, denk doch mal nach!“ Wie einsam du dich fühlen wirst, so ganz allein am Heilig Abend.“ – „Ich werde nicht alleine sein“, erwidert diese. „Ich werde bei Frau und Herrn Schwienhorst sein, die haben ja keine Kinder und sie haben mir schon gesagt, dass ich gerne vorbeikommen kann.“

„Aber das sind doch nur deine Nachbarn. Weihnachten feiert man mit der Familie. Du kannst doch nicht allen Ernstes zuhause bleiben, nur weil Uwe und ich noch nicht geimpft sind.“

„Doch, Franzi, das kann ich. Ich finde es falsch, das sage ich dir so wie es ist. Und deshalb meide ich den Kontakt mit euch.“ – „Aber du bist doch geimpft. Unser Immunsystem ist stark genug. Uns passiert nichts!“

„Franzi, das kannst du nicht wissen. In den Krankenhäusern sind so viele jüngere Menschen, auch ohne Vorerkrankun-gen.“ – „Mama, es ist unsere Entscheidung! Was wir mit unseren Körper machen oder nicht, das geht nur uns was an. Und sonst keinen.“

„Das stimmt doch nicht. Schau dir bloß mal an, wo das Virus besonders stark wütet. Und wo die Intensivstationen voll sind. Da, wo die Zahl der Geimpften am niedrigsten ist! Eure Entscheidung hat Konsequenzen – auch für andere. Und für mich ziehe ich die Konsequenz, dass ich keine Treffen mit euch möchte, bis ihr geimpft seid.“
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Als Mansour auf dem Minsker Flughafen landete, dachte er noch, dass alles glatt laufen würde. Zusammen mit duzenden anderen geflüchteten Menschen wurden sie zu Bussen gebracht, die sie an die Grenze fuhren. Dort empfingen sie Soldaten. Sie hatten Schlagstöcke, trieben sie zur Grenze. Und dann über die Grenze. Sie sollten sich nicht erwischen lassen, so rieten sie ihnen. Und wenn sie zurückkämen – ob freiwillig oder von den polnischen Grenzbeamten erzwungen – würde man sie töten.

In kleinen Gruppen zogen sie Richtung Westen.

Was würden sie zu essen haben? Was zu trinken? Wo sollten sie wohnen?
Nur wenige Stunden später wurde es Mansour klar: Nichts würden sie zu essen und zu trinken haben. Und nirgendwo würden sie wohnen. Sie würden unter freiem Himmel schlafen, wie die Tiere des Waldes. Bei Wind und Regen und auch bei Minusgraden. Wer etwas Glück hatte, hatte sein Zelt dabei.
Warum nur hatte er so wenig in den Facebook-Gruppen darüber erfahren, dachte er sich noch. Und dann wusste er, warum. Zum einen, weil es viele Falschmeldungen gab – an dem Leid verdienten viele mit, und gerade Lukaschenko wollte daraus Profit schlagen. Doch das andere betraf ihn unmittelbar: Es gab ja keinen Strom. Niemand hier konnte das Handy laden. Sie waren auf sich gestellt. Ohne Strom, ohne Wasser, ohne Toiletten, ohne Plan., ohne Verbindung zur Außenwelt. Kleine Feuer wärmten sie in der Nacht. Und manchmal kamen zwei polnische Anwohnerinnen vorbei und brachten Decken und Verpflegung. Sie schenkten ihnen etwas Wärme und Zuwendung. Doch den vielen Tränen, die nachts flossen, konnten sie keinen Einhalt gebieten.

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„Wie bitte?! Kein Treffen, bis wir geimpft sind“, schnaubt Franzi ins Telefon. Sie könnte ausrasten. Als ob es nicht genügte, dass sie von vielen Bereichen des Lebens ausgeschlossen ist. Nun schließt selbst ihre Mutter sie aus dem Leben aus. „Das ist genau das Problem, Mama“, sprudelt es aus ihr heraus, „Die Einteilung in Geimpfte und Ungeimpfte spaltet die Gesellschaft. – Und nun sogar unsere Familie.“, fügt sie resigniert hinzu.

„Franzi, versteh mich nicht falsch. Ich will ja so gerne mit euch feiern. Gerade mit den Jungs. Doch ich sehe es genau andersrum. Die Spaltung entsteht dadurch, dass wir nun schon wieder in so einer dramatischen Lage sind. Wie vor einem Jahr. Sogar schlimmer. Inzwischen werden Patienten quer durch Deutschland geflogen, weil es keine Betten mehr gibt. Schau doch nach Spanien oder Portugal: Da sind fast alle geimpft und die können jetzt alle sorglos in den Familien Weihnachten feiern. Ich sage es ungern – und auch nur, weil du meine Tochter bist: Aber eure Verweigerung spaltet die Gesellschaft. Wir haben alle genug! Ehrlich. Aber hättet ihr und die vielen anderen Millionen sich solidarisch gezeigt und hättet ihr euch im Sommer impfen lassen, dann wäre die Lage nicht so wie sie ist.“ – „Und deshalb willst du uns jetzt Weihnachten versauen?“, fragt Franz fassungslos. „Du bist ja schlimmer als der Dorsten und der Lauterbach zusammen.“

„Nein. Ich ziehe für mich die Konsequenz. Nicht mehr Risiko als nötig. Und deswegen vermeide ich den Kontakt zu Ungeimpften. Tut mir Leid, Schätzchen.“

Wütend stiert Franzi auf ihre Hausschuhe. Dass ihre Mutter ihr so etwas antut – und den eigenen Enkeln dazu – das hätte sie sich nicht träumen lassen.

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Eines Morgens fiel Mansour eine Böschung hinunter. Er brach sich seinen linken Knöchel. Stechender Schmerz durchströmte ihn. Und dann kam die Angst: Würde er nun sterben? War es das Ende?!

Die anderen in seiner Gruppe brachten ihn zu polnischen Polizisten. Diese ließen ihn in ein Krankenhaus einliefern. Er schein gerettet, wurde verarztet, lag seit einer gefühlten Ewigkeit mal wieder in einem richtigen Bett. Hatte saubere Kleidung an und ein warmes Essen bekommen. Doch er solle sich nichts vormachen, meinte ein Bettnachbar, der um einiges älter war als er. Sie behielten sie nicht lange hier. Bald würden sie ihn wieder in den Wald bringen, zurück zu den anderen. Um ihn dort krepieren zu lassen. Er  sei für sie nichts wert. Nur Munition seien sie alle. In einem Stimmungs-Krieg, in dem es nur darum ginge zu zeigen, wer der unmenschlichere sei.

Mansour nickt schweigend mit seinem leicht schräg nach vorne hängendem Kopf, mit seinen Blick weiter auf den Fußboden gerichtet. Er starrt auf den Boden und nickt.

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So schau doch vom Himmel herab,

    wo du in Heiligkeit und Pracht wohnst!

Wo sind deine brennende Liebe und deine Macht?

Dein großes Mitgefühl und deine Barmherzigkeit –

    wir merken nichts davon.

 

Liebe Gemeinde,

Wo bleibst Gott?!

So fragten damals die Israeliten.

Und so frage ich mich heute auch.

Ich schaue auf die Lage der Geflüchteten an der belarussischen-Polnischen Grenze,

und stelle mir diese Frage.

 

Ich nehme die Aggressionen in unserem Land wahr – den brodelnden Hass im Netz, die Beschimpfungen und sogar Mordrohnungen – aber auch Zerwürfnisse in Familien oder Freundeskreisen, unter Nachbarn oder in Kirchengemeinden.

Oder – und ich weiß nicht, ob das die bessere Alternative ist – verräterisches Schweigen, weil man den Konflikt scheut. Spaltungen wohin man blickt oder ein falscher, fragiler Friede, und ich stelle mir diese Frage.

Wo bleibst du, Gott.

 

Manche, die sich diese Frage stellen,

geben irgendwann auf.

Kehren sich ab, suchen ihre Erlösung woanders:

Hat ja doch keinen Zweck mit diesem Gott.
Entweder er thront oben in seinem Himmel und schert sich nicht um uns hier unten.
Oder es gibt ihn gar nicht.

 

Und andere machen es wie Israel damals.

Erinnern sich an Gottes Handeln:

Du, Herr, bist unser Vater,

»unser Befreier« – das ist von jeher dein Name.

Du hast Israel aus der Sklaverei geführt.

Du hast Menschen beigestanden,

als sie nicht mehr konnten.

Du bist doch schon vom Himmel herabgekommen,

hast deinen Himmelsthron verlassen,

und dich mitten in die menschliche Finsternis begeben.

Die Hirten auf dem Felde,

die hüteten des Nachts ihre Herde – die haben es doch selbst erlebt und breiteten das Wort aus.

 

Ich will diesen Gott nicht abschreiben.

Will nicht aufgeben.

Lieber schaue ich nach oben, rufe und bitte ich,
wie sie es schon damals getan haben:

 

Reiß doch den Himmel auf und komm herab,

sodass die Berge vor dir beben!

Komm wie ein Feuer, das trockene Zweige in Brand setzt und Wasser zum Kochen bringt!

Noch nie hat man so etwas vernommen,

noch nie hat jemand davon gehört.

Kein Auge hat jemals einen Gott wie dich gesehen:

Du allein tust denen Gutes, die auf dich hoffen.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

der Blick in unsere Welt,

und auch der Blick auf den bevorstehenden Winter

– er kann einen zweifeln und auch verzweifeln lassen.

Er kann dazu führen, dass unser Blick nur zu auf den Boden gerichtet ist.

 

Vor Angst, vor Scham, vor Wut oder Trauer.

So wie Mansours Blick. So wie Franzis Blick. So wie der Blick so vieler anderer.

 

Wer nur noch zu Boden schaut, v

erliert die anderen aus dem Blick. Und auch den Himmel.

Seht auf und erhebt eure Häupter. Schaut gen Himmel, klagt ihm euer Leid und schreit ihm eure Wut entgegen.

Aber Vorsicht: Es könnte passieren, dass der Himmel aufreißt.

Kurzpredigt 1. Mose, 11. Kapitel

Pfingstsonntag (23.05.21) | 1. Mose 11/Apg 2 | Pastor Paul Glüer

 

Der Turmbau zu Babel

1Damals hatten alle Menschen nur eine einzige Sprache –mit ein und denselben Wörtern.

 

2Sie brachen von Osten her aufund kamen zu einer Ebene im Land Schinar.Dort ließen sie sich nieder.3Sie sagten zueinander:»Kommt! Lasst uns Lehmziegel formen und brennen!«Die Lehmziegel wollten sie als Bausteine verwendenund Asphalt als Mörtel.4Dann sagten sie:»Los! Lasst uns eine Stadt mit einem Turm bauen!Seine Spitze soll in den Himmel ragen.Wir wollen uns einen Namen machen,damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.«

5Da kam der Herr vom Himmel herab.Er wollte sich die Stadt und den Turm ansehen,die die Menschen bauten.6Der Herr sagte: »Sie sind ein einziges Volkund sprechen alle dieselbe Sprache.Und das ist erst der Anfang!In Zukunft wird man sie nicht mehr aufhalten können.Sie werden tun, was sie wollen.7Auf! Lasst uns hinabsteigenund ihre Sprache durcheinanderbringen!Dann wird keiner mehr den anderen verstehen.«8Der Herr zerstreute sie von dort über die ganze Erde.Da mussten sie es aufgeben, die Stadt weiterzubauen.9Deswegen nennt man sie Babel, das heißt: Durcheinander.Denn dort hat der Herrdie Sprache der Menschen durcheinandergebracht.Und von dort hat sie der Herrüber die ganze Erde zerstreut.

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Ich heb ab, nichts hält mich am Boden.

Ja, der Mensch hebt ab. Schon seit vielen tausend Jahren.

Aus Jägern und Sammlern wurden Bäuerinnen und Bauern.

Seßhafter homo sapiens, der sich die Welt erschloss,

sie sich Untertan machte.
Der herausfand, wie man sich Eisen zunutze machen kann,

es zu Speerspitzen oder zum Pflug formte,

zu Schmuck oder Messern.

 

Der Mensch hebt ab,

aus den Landwirten und Nomaden wurden Händlerinnen und Stadtbewohner.

Aus den Höhlen Zelte, später Lehmhütten, und nach und nach auch Tempel und Statuen,

Pyramiden und Wallanlagen.

Der Mensch hebt ab, weiter und weiter,

nichts hält ihn am Boden.

Zunächst noch die Schwerkraft.

Doch irgendwann auch die nicht mehr.

Lasst uns einen Turm bauen, bis zum Himmel.

Wir machen uns selbst einen Namen,

nichts hält uns auf.

Wir schwingen uns auf in unbekannte Höhen,

niemand kann uns stoppen.

 

Doch.

Gott kann sie stoppen.

Gott kann den Riegel vorschieben,

ihrem Streben danach zu sein wie Gott, ein Ende bereiten.

 

Doch. Gott kann es.

Und er tut es.

Aber warum – das verstehe ich nicht.

 

Klar, mit anderen Texten der Bibel lässt sich manches erklären:

Seit fruchtbar, mehret euch, verteilt euch über die ganze Welt –

Das war der Schöpfungsauftrag

Und der wird mit Städte- und Turmbau untergraben.

Da bündeln sich alle auf engsten Raum. Nichts mit in-die-Weite-gehen.

Hier wird der Schöpfungsauftrag erneuert.

 

But I’m not convinced. Mich überzeugt das nicht.

Es wirkt hier doch eher wie die Angst Gottes vor den Menschen.

Oder vor dem eigenen Machtverlust.

Oder will Gott die Menschen vor sich selbst schützen? Vor dem tiefen Fall?!

Der Mensch hebt ab. Und klar: Er kann dabei auch ordentlich auf die Fresse fliegen.

Brutal.

Und immer und immer wieder ist das auch passiert.

Ich sag nur: Erderwärmung oder Viren, die von Wildtieren auf Menschen überspringen,

 

Aber das ist ja nicht alles.

Unser Menschliches Abheben,

unser Streben nach Weiter, Besser, Mehr

  • Unsere Hybris, könnte man sagen –

Genie und Wahnsinn des Homo sapiens,

immer wieder ist es doch auch zum Segen für viele geworden.

 

Noch nie wurden so viele Menschen satt wie in unseren Tagen.

Noch nie gingen so viele Kinder zur Schule.

Noch nie gab es so wenig Kriege – und Kriegstote (prozentual betrachtet).

Noch nie starben weniger Menschen durch Krankheiten – trotz Corona.

Pocken sind ausgerottet,

die Pest schon lange gebannt,

Polio fast besiegt,

 

Der Mensch hebt ab, strebt nach dem besseren Leben,

und wenn Menschen sich zusammentun – wie bei der Erforschung eines Coronaimpfstoffs – dann wird er zum Segen für sich selbst.

 

Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen

Für mich steckt dahinter etwas anderes:

 

Sich selbst an Gottes Stelle setzen

Das heißt auch: das eigene Urteil über das von allen anderen zu stellen.

Das letzte Wort haben.

Und der Turm ist dann auch so etwas wie eine Festung – eine mentale Festung,

eine Mauer, hinter der ich mich verbarrikadiere. Was schert mich der Rest.

Oder: Was schert uns der Rest.
Wir sind uns selbst die nächsten.

Überlegen,

abgehoben in unerreichbare Höhen,

auf andere herabguckend.

Gottgleich.

Babel.

 

Wer sich nur um sich dreht – sei es eine Einzelperson oder eine eingeschworene Gemeinschaft (Sekte, Querdenker, Untergrundzellen) – und aus dem eigenen Turm nicht mehr rauskommt,

versteht die anderen nicht mehr.

Der versteht Gott und die Welt nicht mehr.

Für die Insider ist das zunächst kein Problem. Hier versteht man sich ja. Hier sprechen alle eine Sprache. Bloß wenn eine anfängt Fragen zu stellen... dann kommt es schnell zur großen Verwirrung. Und wie in unserer Geschichte bilden sich Splittergruppen, weil jeder nur sich selbst versteht.  

 

In dieser Geschichte kann es für mich nicht um Sprachen gehen.

Nicht um Deutsch, Französisch, Mandarin oder Kisuaheli.

Verständigen können wir uns auch mit Händen und Füßen.

Und heutzutage auch mit Google.

 

Es geht darum, inwiefern ich offen bleibe für die Meinungen anderer.

Inwiefern ich mir einen Turm baue, überlegen und verständnislos.

Oder ob ich rausgehe, in die Weite der Unterschiedlichkeiten.

Und ich mitfühle, mitleide, mich mitfreue und verstehe.

Ob ich fähig bleibe zur Verständigung – da steckt auch Verstand drin, und etwas ver-stehen ist etwas anderes als fest-stehen. 

Die Frage ist für mich also, ob ich mit der Sprache des Herzens kommunizieren kann.

 

Das ist für mich Pfingsten. Das Wirken der Geistkraft.

Entflammte Herzen. Wie bei den Jünger*innen damals. Die Gott und die Welt nicht mehr verstanden. Und die sich unverstanden fühlten.

Und dann geschieht das Geistwunder, sie fassen neuen Mut. Sie erzählen das, was sie erlebt haben. Und dann …

 

Apostelgeschichte 2

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Allora apparvero come delle lingue di fuoco, che si separarono l'una dall'altra Elles se séparèrent et allèrent se poser sur la tête de chacun d'eux. Zij werden allemaal gevuld met de Heilige Geest en begonnen in vreemde talen te spreken, según el Espíritu les concedía expresarse. I Jerusalem boede der religiøse jøder, devout men from every nation under heaven. Als nun dieses rumore geschah, kam the multitude zusammen und wurde verwarring, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Denn …

Kurzpredigt Lukasevangelium, 19. Kap.

Sonntag Kantate (02.05.2021) | Lk 19 | Pastor Paul Glüer

 

Von singenden und schreienden Steinen

 

Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.

Das Meer brause und was darinnen ist,

der Erdkreis und die darauf wohnen.

Die Ströme sollen in die Hände klatschen,

und alle Berge seien fröhlich vor dem Herrn

(Aus Psalm 98)

 

Singet! Laut und Leise, auch mit kratziger Stimme und schiefen Tönen, mit Brummbass und Glockensopran. Singet Gott, sowie der ganze Erdkreis Gott lobsingt. Die Meere brausen, und was darinnen ist – Fische und Krabben, Muscheln und Kraken. Die Bäume rascheln es und der Wind pfeift es. Und so tun es auch viele der Anhängerinnen und Anhänger von Jesus, als dieser in Jerusalem einzieht. Sie schreien und jubeln. Doch einigen wird es zu viel. Sie ermahnen Jesus:

 

Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht! Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden,

so werden die Steine schreien.

(Lukasevengelium, 19. Kapitel)

 

Schreiende Steine?! Geht so was? Ich denke: ja, Steine können schreien. Und 40 Jahre später ist das auch eingetroffen. Die römische Besatzung zerstörte 70 n.Chr. den jüdischen Tempel in Jerusalem – die heiligste Städte des Volkes. Gerade da, wo es Menschen verboten wird, den Glauben frei auszuleben und Kultstätten zerstört werden, da schreien die Steine. Da klagen die Steine der Ruinen, der zerstörten Kirchen und Synagogen, der Moscheen und Tempel ihre Klage gen Himmel. Ja, Steine können eindringlich schreien – ganz ohne Töne.

 

Doch ich denke, Steine können nicht nur schreien – sondern auch loben und danken. Sie können – auf ihre Weise – singen. Schauen Sie sich nur mal unsere Klosterkirche an. Gehen Sie drum herum und sehen Sie mal, wie sie himmelwärts zeigt. Und auch im Inneren ist sie wie Stein gewordenes Gotteslob.

 

So können Steine klagen und schreien – und sie können genauso loben und singen. Somit stimmen Sie ein, in die Bitten und Klagen, die Menschen weltweit zu Gott richten; und auch die Sinfonie der Schöpfung, die auf der ganzen Welt zu hören ist. Die Bäume rascheln es, die Vögel zwitschern es, die Hunde bellen und die Pferde wiehern es, die Meere brausen und die Ströme klatschen in die Hände, die Herzen der Menschen schlagen ihren Takt dazu und selbst die Steine stimmen in dieses einzigartige Lied mit ein. Singet dem Herrn ein neues Lied. Denn er tut Wunder.  

 

Ich wünsche auch Ihnen, dass Sie immer wieder einen Grund zum Loben und Danken finden ­– auch und gerade in diesen oft schweren Zeiten!

 

Ihr Pastor Paul Glüer

Kurzpredigt | Apostelgesichte, 17. Kap.

Sonntag Jubilate (25.04.2021) | Apg 17 | Pastor Paul Glüer

 

Die letzten Monate haben ihre Spuren hinterlassen. Bei vielen Menschen lässt sich eine Corona-Müdigkeit erkennen. Und bei so manchem liegen auch die Nerven blank. Dünnhäutigkeit macht sich breit.

 

 

 

Ich beobachte, dass dadurch so manche Streitigkeiten eskalieren. Sowohl auf der großen Bühne der Politik, wo über das rechte Maß bestimmter Schutzmaßnahmen gerungen wird – doch manche Seiten sich dabei immer wieder im Ton vergreifen, beleidigend und hämisch werden. Aber auch in Familien oder Freundeskreisen, wenn es um heikle Themen geht – wie etwa um Umgang mit Geld, um Kindererziehung oder …

Manchmal geraten Auseinandersetzungen aus dem Ruder. Und nicht selten passiert es dann, dass man bestimmte Dinge gar nicht mehr anspricht. Sie werden totgeschwiegen – als ob sie damit nicht mehr in der Welt wären. Aus meiner Sicht führt dies zu einem falschen Frieden.

 

Eine Begebenheit, die uns in der sogenannten „Apostelgeschichte“ erzählt wird, können wir auch als eine Art Kommunikations-Lehrstunde lesen. Paulus ist in Athen, einer Metropole, schon damals. Und dann wird folgendes erzählt.

 

22Paulus trat in die Mitte des Areopags und sagte: »Ihr Bürger von Athen! Nach allem, was ich sehe, seid ihr sehr fromme Leute.23Ich bin durch die Stadt gegangen und habe mir eure heiligen Stätten angeschaut. Dabei habe ich auch einen Altar gefunden, auf dem stand: ›Für einen unbekannten Gott‹. Das, was ihr da verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch. (Apg 17)

 

Paulus sucht zunächst einmal die Gemeinsamkeiten! Klar, er hat eine andere Religion, eine andere Weltsicht. Doch zunächst einmal schafft er eine Verbindung. Das erzeugt Nähe und ermöglicht Verständigung.

Die Unterschiede bleiben natürlich da. Aber Paulus schweigt sie nicht tot. Er benennt sie klar und deutlich:

 

24Es ist der Gott, der die Welt geschaffen hat und alles, was in ihr ist. Er ist der Herr über Himmel und Erde. (...) Aber jetzt fordert er alle Menschen an allen Orten auf, ihr Leben zu ändern.31Denn Gott hat einen Tag festgesetzt, um über die ganze Welt zu richten. Dann wird er Gerechtigkeit walten lassen – durch den Mann, den er dazu bestimmt hat. Dass dieser Mann wirklich dafür bestimmt ist, hat Gott allen Menschendurch dessen Auferstehung von den Toten bewiesen.«

 

Paulus sucht Verbindendes. Und zugleich steht er zu seinen persönlichen Überzeugungen. Was dann passiert, ist vollkommen verständlich:

 

32Als Paulus von der Auferstehung der Toten sprach, lachten ihn einige seiner Zuhörer aus. Aber andere sagten: »Darüber wollen wir ein andermal mehr von dir hören!« 33So verließ Paulus die Versammlung.34Einige Leute schlossen sich ihm an und kamen zum Glauben.

 

Ja, unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Ansichten. Wir deuten die Welt und unser Leben verschieden. Dabei gibt es vieles, was uns verbindet. Dies sucht Paulus als erstes. Und auch wir tun gut daran, immer wieder das Gemeinsame zu suchen. Gleichzeitig gibt es auch Trennendes. Aber darüber hauen sich die Menschen in der Geschichte nicht die Köpfe ein. Manche lachen Paulus aus. Doch das scheint an ihm abzuperlen. Und mit anderen beginnt der Austausch. „Wir wollen mehr von dir hören“, sagen sie.

 

Bei allen Spuren, die die vergangenen Monate in Ihnen hinterlassen haben, bei aller Müdigkeit und Dünnhäutigkeit wünsche ich uns, dass wir in der Lage bleiben, uns gegenseitig zuzuhören. Dass wir offen bleiben für die Anliegen und Anschichten des/der anderen. So wie einige Athener damals, die meinten: „Wir wollen mehr von dir hören“.

 

Bleiben Sie behütet und kommen Sie zuversichtlich durch diese außergewöhnlichen Zeiten.

 

Ihr Pastor Paul Glüer

  • Den Impuls als Video gibt es auf Youtube (Kirchengemeinde Neukloster)

Predigt | Johannesevangelium 21

Sonntag Quasimodigeniti (11.04.21) | Joh 21 | Pastor Paul Glüer

 

„Herr Fischer, Herr Fischer, wie tief ist das Wasser?“

    „Ich weiß auch nicht. Es ist so trüb. Ich kann gar nicht auf den Grund schauen.“

 

„Frau Fischerin, Frau Fischerin, wie weit ist es noch zum Ufer?“

    „Ich weiß nicht! Die Sicht ist so schlecht. Alles liegt im Neben. Keine Ahnung, wann wir den sicheren Hafen erreichen.“

 

„Herr Fischer, Herr Fischer, wann gibt’s was zu Essen?!“

    „Tja ... schwer zu sagen. Die Netze sind leer. Wir werden wohl noch eine Weile aushalten müssen.“

 

„Frau Fischerin, Frau Fischerin, warum schaukelt das Boot so?!“

    „Nun, die Briese wird heftiger. So wie es aussieht, bricht da bald eine ziemlich große Welle über uns herein.“

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

so kommt es mir vor. Als säßen wir in einem Boot. Mitgehangen, mitgefangen – keiner kann aussteigen. Wir können motzen, wir können klagen (und dazu haben wir auch guten Grund) wir können schweigend erdulden – doch wir bleiben im Boot.

 

Die Sicht ist Trübe, das Wasser auch, der Kurs ungewiss. Mal hierhin, mal dorthin. Manchmal glauben wir, es sei Land in Sicht. Doch dann entpuppt es sich als Nebelschwade.

Manchmal rufen uns welche zu: „Beendet die Fahrt! Lasst das Fischen sein! Alles unnötig!“ Sie rufen uns zu sich, und so manches Boot zerschellte schon an ihren Klippen, wenn es Kurs nahm auf die Insel der falschen Heilsversprecher.

 

Ja, wir treiben auf hoher See, sind dabei zuweilen nah am Wasser gebaut, denn die Situation ist oft nur zum Heulen. Ein Auf und Ab der Wellen, uns wird schummrig, schlecht, Angst und Bange, wenn wir in den Neben starren und uns ausmalen, welche Flutwelle da wohl noch über uns hereinbricht. Und irgendwie versuchen wir uns vorzubereiten. Und gleichzeitig sind wir verwirrt, erschöpft, wollen nicht mehr, mögen nicht mehr, können manchmal auch einfach nicht mehr. Doch der Hafen ist noch nicht erreicht, das rettende Ufer noch nicht in Sicht.

 

Wenn nur die Netze voll wären. Wenn nur der Hunger nicht wäre. Der Magen knurrt. Wir werfen die Netze aus, fischen nach Zusammenhalt. Nach unbeschwertem Kaffeetrinken, mit Klatsch und Tratsch, Musik und Torte. Mit „Hast du schon gehört“ und „weißt du schon das Neuste?“. Mit den ganz normalen Aufregern der Woche, mit Lachen über manch dummen Witz, mit Leichtigkeit und Händedruck. Wir hungern danach. Doch die Netze bleiben leer.

 

Wir werfen die Netze aus. Fischen nach dem blöden, alten Schulbesuch. Schulpflicht – was gäben wir jetzt dafür, in einem Ram mit der alten Paukerin, genauso wie mit dem coolen Referendar. Vor allem aber mit den Freundinnen und Freunden zusammen auf dem Schulhof abhängen; Bus fahren; am Wochenende noch was unternehmen. Oder noch besser: Zu Konfi! Wir hungern danach. Doch die Netze bleiben leer.

 

Wir hungern nach Urlaub. Es muss ja nicht Mallorca sein. Doch ein Tapetenwechsel wäre schön. Eine Ferienwohnung auf dem Darß würde voll und ganz genügen. Vielleicht sogar mit Freunden, die wir lange nicht gesehen haben. Spieleabend – nicht am PC, sondern gemeinsam am Küchentisch. Wir hungern danach. Doch die Netze bleiben leer.

 

Wir hungern nach Schwimmen gehen, im Wonnemar zum Beispiel. Restaurantbesuche, oder zumindest ein Café. Irgendwo draußen einen Kaffee trinken mit Bekannten. Auszeit. Pause. Sorglosigkeit. Wir hungern danach. Doch die Netze bleiben leer.

 

Vereint in einem Boot sitzen wir, mit trübem Wasser, mit Nebel und rauer See. Und die Netze sind leer.


1Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so: 2Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und 3Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.

4Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber 5Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, 6Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.

7Da spricht der Jünger, 8Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.

9Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. 10Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! 11Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.

12Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. 13Da kommt Jesus und 

nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch den Fisch. 14Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war. (Johannesevangelium, 21. Kapitel)

 

Ja, wir fischen im Trüben und unsere Netze sind leer. Und ich freue mich auf den Tag, die Wochen und Monate, wo wir wieder Kaffeeklatsch, Schule, Urlaub und vieles andere, wonach uns hungert – wonach wir fischen – haben werden.

 

Und nun kommt Jesus und sagt: Werft die Netze auf der andere Seite aus! Schaut nicht nur auf das, was fehlt, sondern auch auf das, was da ist!

Ich bin da. Und eure Gemeinschaft kann euch auch keiner nehmen. Ihr sitzt in einem Boot. Und: Ihr sitzt in einem Boot. Mit Abstand und Mundschutz, ja. Aber in einem Kahn. Einem Schiff (auch einem Kirchenschiff).

 

Und ich sitze neben euch. Bei dir. Ich dreh mich um dich. Ich stell mich in den Sturm. Ich übernehme deinen Tränen, ich bring dich durch diese Fahrt. Und: Ich sättige dich. Bin das Brot und die lebendige Quelle.

Amen.

 

Liedvorschlag: H. Grönemeyer, „Ich dreh mich um dich“. Hör es dir an als Lied von Jesus an dich adressiert.