Andacht

Herbsttag


Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los…
(Rainer Maria Rilke)


Liebe Leserin, lieber Leser,

als ich beim Schreiben dieser Andacht saß, schaute ich auf einen Sonnenuntergang im Spätsommer. Sein warmes Orange-Rot deutete schon auf die Farben des bevor stehenden Herbste hin. Ein bisschen Wehmut machte sich in mir breit. So geht es mir jedes Jahr um diese Zeit, steht sie doch für Wandel, Veränderung und Loslassen – ja auch für mein Älterwerden und ich bin als im Oktober Geborene ein Herbstkind. Ich bin also in einer Zeit des Abschiednehmens geboren, wird mir gerade zum ersten Mal bewusst. Macht das etwas mit mir?  Hat die Jahreszeit unserer Geburt Einfluss auf uns Menschen?

Frühlingskinder-Sommerkinder-Herbstkinder-Winterkinder. Hat sich die EINE etwas dabei gedacht? (Das werde ich hier nicht weiter ausführen, aber später darüber genauer nachdenken.)

In Prediger 3,1-2,11 werden wir daran erinnert, dass es für alles eine Zeit gibt:

„Für alles gibt es eine Zeit-Zeit für jedes Vorhaben unter dem Himmel: Zeit zu gebären und Zeit zu sterben, Zeit zu pflanzen und Zeit, Gepflanztes auszureißen…Alles hat Gott schön gemacht zu seiner Zeit.“

So liegt in der Vergänglichkeit, die wir im Fallen des Herbstlaubes oder im Ernten reifer Früchte sehen auch eine tiefe Botschaft der Hoffnung: Unser Erkennen der Treue, der Beständigkeit Gottes im Wandel der Natur kann uns stärken in unserem eigenen Glauben an ihn. Die reife fallende Frucht trägt den Keim für ein neues Leben in sich. So ist der Frühling im Herbst erahnbar. Das ist unumstößlich. Jahr für Jahr haben wir diese Gewissheit der Schöpfung. Oft sagen wir in unserem Alltag: Wo eine Tür zugeht, öffnet sich eine neue; wo wir etwas loslassen können, gibt es Platz für etwas Anderes. Diese Gewissheit befreit uns, lässt uns tiefer durchatmen. Sicher kennt jede und jeder das befreiende Gefühl beim Ausmisten von Überflüssigem, also von dem, was wir im Überfluss haben.

Was überfließt gehört in die Tonne- nicht nur materieller Ballast, sondern auch Groll, Hass, Angst, Sorgen. So schaffen wir Platz für das Wesentliche, für Heilung, für Kraft und für ein mehr an Zeit - das Entstauben und das Empörtsein entfallen ja. Der Gewinn: Zeit zum Sinnieren, Zeit zum Nachdenken, zum Träumen, zum Tanzen, Zeit für Neues. Zeit, die uns heute so oft fehlt. Loslassen wird so zu eine Art Lebenskunst. Das Wort Kunst erinnert uns an die Farben des Herbstes.

Wenn die Blätter in leuchtenden Tönen wie bei einem Gemälde leuchten, erinnert uns das daran, dass Veränderung kein Zufall ist, sondern Teil von Gottes Ordnung. Die Natur zeigt uns, dass Alterung auch Schönheit in sich trägt. Dieser Gedanke beruhigt mich als ältere Herbstgeborene. Und: Wir sollten lernen, die Übergänge unseres Lebens als farbenfrohen Gedanken Gottes anzunehmen und dafür dankbar zu sein, denn auch das ist die herbstliche Jahreszeit:

EIN ERNTEDANKFEST – genießt es…

Ellen Kühl