SakralobjekteDie Kanzeluhr von St. Johannis, Ende 17. Jahrhundert

In vielen Kirchen wurden nach der Reformation zur zeitlichen Begrenzung der Predigt Sanduhren angeschafft. Anstoß dafür war die neue Form des evangelischen Gottesdienstes, der bisweilen mehrere Stunden andauern konnte. Aufgrund dieser Entwicklung stattete man die Kirchen für die Gemeinden großräumig mit Sitzbänken aus. Damit der Pfarrer bei kirchlichen Veranstaltungen die Uhr gut sah, wurde sie entweder an der Kanzel oder unweit von ihr an der Kirchenmauer befestigt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte die Kanzeluhr der St. Johanniskirche ausgedient. Das nunmehr historische Objekt wurde schließlich 1894 dem Neubrandenburger Museum übereignet.

 

Die Kanzeluhr besaß ursprünglich vier Gläser, die Laufzeiten von ¼, ½, ¾ und 1 Stunde anzeigten. Ausgelöst wurde der gleichzeitige Sandfluss durch das Drehen des Glasgehäuses. Das beweglich an dem Traggestell montierte Eisenbehältnis besteht aus einer Rückwand, an der oben und unten ein gleichförmiger Zierrahmen angebracht ist. An der Vorderfront wie auch an den beiden abgerundeten Seiten stabilisieren tordierte, senkrecht verbaute Eisenstäbe die Konstruktion. Die ursprünglichen Glaskolben sind leider nicht erhalten. Erst für die Nutzung als reformationszeitliches Schauobjekt in der stadtgeschichtlichen Ausstellung des Regionalmuseums Neubrandenburg wurden 2015 vier rekonstruierte Gläser eingesetzt.

 

Eine besondere Bedeutung besitzt das durchbrochene 68 cm hohe und 45 cm breite Eisengestell. Die geschmiedete Halterung ist entsprechend der Verwendung mit religiösen Motiven des neuen Testamentes verziert. In zentraler Position steht auf einem Band ein Kreuz mit akzentuiert gestaltetem Querbalken. Neben seiner hervorgehobenen Größe sind die beiden Enden halbrund bzw. gestuft ausgebildet. Vermutlich trug der Querbalken stellvertretend für den gerichteten Christus die Kreuzinschrift INRI. Am unteren Teil des Kreuzes sitzt das Sanduhrgehäuse. Von dieser Stelle aus wachsen beidseitig nach oben strebend, volutenartige Ranken. Auf den beiden Innenseiten des floralen Zierwerkes befinden sich vertikal angeordnet jeweils zwei Blumenrosetten, die an die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes erinnern. Über den Pflanzen schweben zwei zum Kreuz gewandte Engel mit ausgebreiteten Flügeln. Erfreulicherweise hat sich auf den Figuren die Bemalung erhalten. Die Engel besitzen im Stil des Frühbarocks Gesichtszüge, wie wir sie von Puttendarstellungen aus dem süddeutschen Raum her kennen. Beide Engel halten mit ihren Händen die Krone Gottes, die das Kreuz feierlich überstrahlt.

 

Wenngleich die künstlerische Ausführung des Eisengestells schlicht gehalten ist, zeugen die Zierelemente vom handwerklichen Können der Produzenten. Anhand der Formung und der Bemalung wird deutlich, dass die Kanzeluhr mit großer Wahrscheinlichkeit in Nürnberg gefertigt wurde. Von dort aus fanden die kirchlichen Zeitmessgeräte eine weite Verbreitung. Ein vergleichbares Objekt wird im Erfurter Museum für Thüringer Volkskunde aufbewahrt.

 

Bild: Die historische Aufnahme der Kanzeluhr von 1929 zeigt die für Süddeutschland typische Farbfassung. Zu dieser Zeit fehlte bereits ein Glaskolben.

 

Text: Rainer Szczesiak, Roga

zurück