Predigten und Andachten zum Nachlesen und Mitreden

Auf dieser Seite finden Sie Predigten und Andachten, die in unseren Gottesdiensten gehalten wurden. Wir freuen uns über Ihr Interesse. Wenn Sie darauf reagieren möchten, senden Sie uns gerne eine Email mit Kritik und Anregungen an folgende Adresse: rostock-evershagen@elkm.de

Brich dem Hungigen dein BrotPredigt über Jesaja 58,7-12

Predigt am Erntedankfest 5. Oktober 2025 in der St.-Thomas-Morus-Kirche

Der Predigttext:  Jesaja 58,7-12

7 Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, 10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. 11 Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, deres nie an Wasser fehlt. 12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«. 

 

Die Predigt

Liebe Gemeinde,

am letzten Donnerstag war Jom Kippur. Das ist der höchstes jüdische Feiertag, vielleicht mit unserem Karfreitag vergleichbar. Es ist der Tag, an dem die Menschen in den Gemeinden fasten, ruhen und sich auf das besinnen, was sie besser machen können. Fünf Gebetszeiten sind in der Synagoge für diesen Tag vorgesehen. Die Arbeit, der Autoverkehr alles ruht. So hatte es an jenem Donnerstag auch in der englischen Stadt Manchester sein sollen. Doch dort kam es anders: Ein Auto raste in eine Menschenmenge vor der Synagoge. Zwei Menschen starben, etliche wurden verletzt. Es ist immer furchtbar, wenn Menschen einander töten. Es ist immer furchtbar, wenn Hass und Gewalt sich Bahn brechen. Mich lässt aber der Gedanke nicht los, dass dieser Gewaltakt ausgerechnet am Versöhnungstag geschah. Wir wissen nicht, ob das Absicht war. Der Täter wurde von der Polizei erschossen und kann keine Auskunft mehr geben. Die Klärung dieser Frage wird wohl noch viel Zeit in Anspruch nehmen und kann uns heute nicht gelingen. Wir sind ja heute auch zu ganz anderem hier versammelt: Wir sind hier um danke zu sagen für alles, was wir in diesem Jahr ernten durften. An Früchten, wie sie hier liegen. Aber auch an Gelungenem in unserem Leben, an Freude und Glück, an Schönem und Gelungenem. Wie sollen wir das zusammen denken? Die Gewalt und die Ohnmacht in unserer Welt und zugleich das heilsame Wirken Gottes?

Lesung des Predigttextes (s.o.)

Über den Propheten, der hier den Namen Jesaja trägt, wissen wir wenig. Vermutlich hat er lange Zeit nach seinem Namensgeber, dem alten Propheten Jesaja gelebt, wohl am ehesten rund 200 Jahre vor Christus. Dass wir darüber nichts Genaues wissen, zeigt, dass seine Worte zeitlos sind. Das gute Handeln, so wie es vor Gott gerecht ist, braucht keine bestimmte Umgebung oder keine bestimmte Zeit. Es gilt immer: Damals in der Gemeinde in Israel, heute in den Synagogen auf der Welt und heute bei uns in Evershagen. Ich stelle mir vor, dass auch damals die Gläubigen versuchten, diese Worte mit ihrem Alltag abzugleichen. Sie kommen vielleicht hungrig und schlecht gekleidet, sie kommen vielleicht schick und elegant von einem Festmahl. Und dann treffen sie zusammen beim Gottesdienst. Und hören die gleichen Worte. So als wollte Gott ihnen sagen: Wie immer ihr euch äußerlich unterscheidet: Vor mir seid ihr eine Gemeinde. Ich sehe euch als meine Geschöpfe an und vertraue euch einander an. Du, die du viel hast, darfst dankbar abgeben, was dir möglich ist. Und du, der du nichts hast, darfst dankbar annehmen, was andere dir geben. Bei den Gaben geht es nicht nur um Geld und Nahrung. Es geht auch um Achtung und Respekt. „Wenn du in deiner Mitte niemanden unterjochst und nicht mit den Fingern zeigst und nicht übel redest“. Ein kleiner Satz, der es aber wahrlich in sich hat. Was wäre das, wenn wir einander einfach so leben ließen, wie wir sind:

Mit unserem Aussehen, ob tätowiert oder nicht, ob elegant gekleidet oder nicht. Ob dick oder dünn.

Mit unseren Vorlieben, ob Frühaufsteher oder Langschläfer, ob Klassenclown oder stiller Mitschüler, ob sportlich oder gemütlich.

Mit unserem Musikgeschmack, ob laut oder leise, ob fromm oder weltlich, ob alt oder neu.

Nicht auf den anderen mit dem Finger zeigen, das ist schon mal ein guter Anfang. Wenn mir etwas auffällt am anderen, kann ich ja einfach hingehen und fragen: Was gefällt dir daran? Warum machst das so und nicht anders? Da werden sich so manche neue Einsichten ergeben.

Auf dem Altar liegt heute ein Brot, das nur auf den ersten Blick ein ganz normales Brot ist. Wenn man genau hinschaut, trägt dieses Brot eine Schärpe und auf dieser Schärpe steht „Solibrot“. Was es damit auf sich hat, lässt sich auf der Internetseite des Erzbistums Hamburg nachlesen.

„Einen Monat (16. September bis zum 14. Oktober 2025) gibt es das Solibrot in allen Filialen der Bäckerei Sparre in Rostock und Bad Doberan. Das Brot wurde extra für diese Aktion entwickelt. „Es ist ein rustikales Chia-Dinkel-Brot mit 24 Stunden Teigruhe, kräftiger Kruste und saftiger Krume“, beschreibt es Sabrina Rohrlapper von der Bäckerei Sparre. 50 Cent pro verkauften Laib gehen an das Projekt „Brasilien: Hilfe für Straßenkinder“.

Annett Müller vom Hort der Don-Bosco-Schule sagt: „Wir haben mit den Kindern überlegt, wie kann das Plakat aussehen, welches Brot wollen wir nehmen und vor allem, wem wollen wir helfen.“ Schnell sei klar gewesen, die Rostocker Schülerinnen und Schüler wollen dabei helfen, dass arme und benachteiligte Kinder in Brasilien eine Chance für die Zukunft bekommen. „So wird aus der Hilfsaktion für Menschen am anderen Ende der Welt auch ein Bildungsprojekt für unsere Kinder in Rostock“, erklärt die Horterzieherin.“ Also hier ist es ganz direkt sichtbar, was es heißt: Brich mit dem Hungrigen dein Brot. Wenn wir nachher unsere Kollekte sammeln, tun wir das auch als sichtbares Zeichen des Brotbrechens. Wir sammeln für Brot für die Welt. Diese Initiative der Diakonie in Deutschland hat den Zusatz: Dass alle Leben. Darum geht es: Alle wollen und sollen leben. Ein Projektbeispiel von den Fidschi-Inseln zeigt, wie die Hilfe eingesetzt wird: „Dort arbeitet der Fidschianische Rat für Soziales, ein Partner von Brot für die Welt, daran, dass Dörfer, die vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht sind, in höhere Lagen umgesiedelt werden. Die mit den Betroffenen gemeinsam gestaltete Umsiedlung sichert den Menschen ein neues Zuhause und bietet ihnen neue landwirtschaftlichen Flächen für ökologischen Landbau, um sich eine sichere Ernährung und eine neue Existenz aufbauen zu können.“ Es ist eigentlich furchtbar, dass die Menschen alles aufgeben müssen, wenn sie überleben wollen. Ich stelle mir vor, was das für uns hier heißen würde, wenn es eines Tages hieße: Ihr seid hier nicht mehr sicher, die Ostsee wird eure Häuser überfluten, ihr müsst weg und woanders neu anfangen.

Gut, dass wir die Menschen, bei denen das jetzt schon der Fall ist, mit unterstützen.

In der vergangenen Woche gab es in der Christus-Kirche ein großes Treffen aller Pastorinnen und Pastoren aus Mecklenburg und Vorpommern. Es war eine tolle Gelegenheit zu hören, was die Amtsgeschwister in nah und fern umtreibt. Was gleich ist und wo wir voneinander lernen können. Als Auftakt las der mecklenburgische Autor Daniel Schreiber aus seinem Buch „Zeit der Verluste“. Natürlich ging es in den Gesprächen danach auch um die Verluste, die wir in unseren Kirchen derzeit hinnehmen müssen. Aber nicht nur darum. Es ging auch darum, was man den Verlusten entgegenstellen kann. Daniel Schreiber forderte uns fast schon ungeduldig auf: Seid präsenter, seid sichtbarer, seid politischer. Die Zeit war am Ende nicht mehr da, um ihm zu sagen: Wir sind als Kirchen immer schon politisch. Nicht parteipolitisch, nicht für oder gegen eine bestimmte Farbe im Parlament. Aber wir sind politisch, indem wir über unseren Tellerrand hinausschauen. Wir sind politisch im Wortsinne: Politik regelt das Zusammenleben von Menschen an einem Ort mit staatlichen Mitteln. Als Kirchen tragen wir zu diesem geordneten Zusammenleben bei durch Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl. Nicht als Diener des Staates, sondern als Ergänzung und manchmal auch als kritisches Gegenüber. Als Christinnen und Christen leben wir das ganz selbstverständlich: Wir sorgen für Kindergärten und Pflegeheime, für Beratungsstellen und Frauenhäuser, für Laternenumzüge und Stadtteilfeste. All das ist selbstverständlich politisch. Weil wir als Kirchen zeigen: Wir wollen handfest im Alltag sichtbar sein. Das ist nichts anderes als das, was der Schreiber unseres Predigttextes fordert: Kümmert euch umeinander, auch da wo Not ist. So werdet ihr genau das tun, wofür Gott euch gemacht hat. Am Ende wird man euch „der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert“ nennen. Ein merkwürdiges Kompliment. Oder vielleicht doch nicht? Vielleicht ist das eine richtig gute Idee: So füreinander da zu sein, dass man ganz handfest was voneinander hat. Durch Essen und Trinken, wie z.B. unsere Gaben hier vorne, durch Kindergärten und Schulen, oder eben durch Wege ausbessern. Amen.

Pastorin Karin Ott

 

Wenn einer eine Reise tut: Predigt zum 5. Sonntag nach TrinitatisPredigt zum 5.Sonntag nach Trinitatis (20. Juli) 2025

Gottesdienst am 5. Sonntag nach Trinitatis (20. Juli) 2025

Wenn einer eine Reise tut: Predigt über Matthäus 9,35-38. 10,1.5-10

Liebe Gemeinde,

unser Predigttext passt heute in die beginnende Urlaubszeit: Es geht ums Kofferpacken. Allerdings: Die Packliste der Jünger Jesu ist kurz; und sie besteht hauptsächlich aus Dingen, die nicht gebraucht werden. Gold, Silber, Kupfer, Tasche, Hemd, Stecken. Also in der damaligen Welt zur Zeit Jesu alles, was man üblicherweise für eine Reise mitnimmt.

Lasst alles zu Hause, sagt Jesus, ihr braucht nur eure Worte und euren Willen zur Anteilnahme.

Heilt Krankheiten an Leib und Seele.

Konzentriert euch dabei auf die allernächste Umgebung.

Geht nicht zu denen, von denen ihr denkt, dass sie Hilfe am nötigsten hätten. Geht nicht zu den Fremden und Unwissenden.

Bleibt in eurem Land und geht zu denen, die euch am nächsten sind. Das überrascht.

Wer aufbricht, sucht doch in der Regel das Neue.

Wer ausgesandt wird, denkt doch an die Fremde. Es gibt vor Ort genug zu tun. Ich wäre ziemlich überrascht gewesen über diese Ortsbestimmung. Ich hätte etwas Großes erwartet: Auf Fremde zugehen, ihnen erklären, was ich glaube. Mit großen Worten und Gesten. So, wie wir es vorhin von Abraham gehört haben: Geh hinaus in ein Land, das ich dir zeigen werde.

Doch Jesus hat anderes vor. Er möchte, dass die Seinen zuerst vor ihrer eigenen Haustür nach dem Rechten sehen. Stellen wir uns das bei uns vor: Wir planen ein großes Missionsprojekt. Wir überlegen, welche Länder wir wohl als erstes aufsuchen sollen, in Asien, in Afrika, weit weg jedenfalls. Und dann kommt uns dieser Bibelabschnitt vor die Augen: Bleibt wo ihr seid. Das kann ganz schön ausbremsen. Statt in die Welt zu schauen, schaut vor eurer Tür. Da sind die, die euch am nächsten sind. Ich entsinne mich, dass wir in unserem Kirchengemeinderat immer mal wieder über das Thema Mission gesprochen haben. Es gab in einem Jahr sogar ausführliches Material von unserer Landeskirche dazu. Wir haben um den Begriff Mission gerungen. Hat er nicht zu viel Unheil angerichtet? Haben wir in der Vergangenheit nicht zu viel Schaden weltweit angerichtet mit unserer Vorstellung, dass alle um jeden Preis Christinnen und Christen werden müssen, notfalls mit Gewalt? Unser heutiger Bibelabschnitt zeichnet ein einladendes Bild davon, wie wir Gottes Liebe in die Welt bringen sollen: Mit heilsamen Worten und Taten, bescheiden, freundlich. Es geht nicht um Gewinn an Geld und Seelen. Es geht um Liebe. Der Bericht von der Aussendung der Jünger ist in unserer Bibel dreimal zu finden. Neben dem Matthäus-Evangelium, das wir eben gehört haben, berichten auch Markus und Lukas darüber. Das heißt, dass dies wirklich zu den wichtigen Texten von Jesus gehört. Alle drei Evangelien rücken diese Aufgaben an eine zentrale Stelle. Alle drei Evangelien schlagen mit der Aussendung der Jünger ein neues Kapitel auf: Jesus hat die Seinen bis dahin gestärkt, mit Liebe erfüllt, ermutigt. Er hat mit ihnen das Wort Gottes geteilt, hat Kranke geheilt an Leib und Seele. Die Jünger waren immer dabei, lernten von ihm, machten eigene Erfahrungen. Jetzt schlägt er das nächste Kapitel auf: „Jetzt seid ihr dran“ heißt es. Geht hinaus, ihr werdet erleben, dass die Leute euch euren Einsatz lohnen. Wir sind oft zögerlich. Sind uns nicht so sicher, ob die Leute wirklich hören wollen, was wir zu sagen haben. Es gibt doch so viele andere große Themen in der Welt. Da scheinen unsere alten Geschichten nicht wirklich ins Bild zu passen.

Die ersten Jünger waren da nicht anders. Mit Jesus mitziehen, ihm zuhören, ja, darauf haben sie sich eingelassen. Dafür haben sie sogar vieles aufgegeben: Ihre Heimat, ihren Beruf, ihre Familie. Jetzt wird es noch einmal ernst. Jetzt sollen sie selbst ans Werk. Sie gehen nicht mehr mit, sondern sie gehen voraus. Sie sollen heilen, ja sogar Tote aufwecken. Lassen wir uns von ihrem Mut anstecken. Es gibt bis heute viele zu berichten von Jesus Christus. Nicht mir Druck, nicht, weil das halt irgendwie dazu gehört. Sondern weil wir eine wichtige Melodie beitragen können zum Konzert der Meinungen und Stimmen in der Welt. Es fügt sich, dass heute der 20. Juli ist. An allen öffentlichen Gebäuden im Land, auch in unserer Stadt, wehen die Fahnen auf Halbmast. Sie weisen darauf hin, dass heute vor 81 Jahren eine mutige Gruppe von Männern versucht hat, Unrecht, Vernichtung und Gewalt in unserem Land zu beenden. Sie verübten ein Attentat auf Adolf Hitler. Dieses Attentat scheiterte um Haaresbreite. Die Männer des 20. Juli wurden umgehend hingerichtet.

Keiner dieser Männer war von Anfang an ein Held. Sie gehörten vielmehr zum inneren Kreis der Führung und unterstützten diese zunächst. Es war ein langer Weg zur Einsicht, dass ihre geglaubte Wahrheit ein Irrtum war. Es war eine langer Weg zur Einsicht, dass Widerstand und Gewalt sich nicht immer ausschließen. Der Tyrannenmord ist schon immer umstritten und gilt immer als allerletzte Lösung um noch Schlimmeres zu verhindern. Man mag die Verzweiflung und die Skrupel nur ahnen, die aus engsten Vertrauten der nationalsozialistischen Führung deren Gegner machten und die schließlich im Mord an der Führung ihre letzte verzweifelte Hoffnung sahen. Aus dem Kreis der Widerständler gab es enge Kontakte in die Widerstandsbewegung der Bekennenden Kirche, besonders zum Kreisauer Kreis. Der christliche Glaube stand vor einer großen Herausforderung. Konnte er, wie die meisten dachten, mit dem Nationalsozialismus verbunden werden oder musste er in die Opposition gehen? Die Bekennende Kirche um den Theologen Dietrich Bonhoeffer ging letzteren Weg. Auch ihn hat seine Haltung das Leben gekostet.

Heute ist eine besondere Gelegenheit, diesen Tag mit dem Gottesdienst zu verknüpfen. Die Männer und Frauen des Widerstandes haben sich ihrer Berufung, großenteils auch ihrer christlichen Berufung gestellt und über viele Zweifel und Skrupel den Entschluss gefasst, dass die Beendigung dieser Terrorherrschaft im Sinne Gottes ist. Ob sie auch diesen Bibeltext vor Augen hatten? Ob sie auch hörten: Treibt Dämonen aus?

Nach dem Kriegsende veröffentlichte die Evangelische Kirche in Deutschland bei der ersten Versammlung des ökumenischen Rates der Kirchen eine Schulderklärung: Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.

Solche Worte waren nicht in allen christlichen Kreisen willkommen. Selbstkritik war nicht unbedingt das Gebot der Stunde. Die Menschen waren zu sehr mit den Folgen des Krieges auf ihren Alltag befasst. Die Kirchengemeinden versuchten noch zu begreifen, wie all das geschehen konnte. Zur Reflexion ihrer Schuld waren die meisten noch nicht in der Lage. Umso wichtiger ist es, dass wir die Zeichen solcher Stärke im Herzen tragen und nicht vergessen.

Nicht immer sind wir so in unserer Existenz gefordert wie in jenen Zeiten. Und doch fordert uns Jesus auch heute noch direkt auf: Bleibt nicht im Verborgenen mit dem was ihr glaubt. Geht hinaus und bringt die Leute in Verbindung mit mir. Macht was aus der Liebe Gottes, die ihr selbst spüren dürft.

Gestern war in unserer Stadt der Christopher Street Day. Bunte Regenbogenfahnen bestimmten da noch das Stadtbild. Viele Menschen zogen durch die Stadt und machten sichtbar, wie vielfältig die Menschheit ist. Sie machten auch deutlich, wie viele Menschen das nicht sehen möchten und deshalb lieber zu Angriff und Beleidigung übergehen. Es gibt also durchaus auch heutzutage noch Gelegenheit, Stellung zu beziehen. Es gibt durchaus auch heute noch Gelegenheit, zu zeigen, das die bunte Vielfalt in Gottes Schöpfung nicht ohne Pflege zu haben ist.

Hinausgehen auf die Straßen. Den Menschen Heilung bringen und Gottes Liebe zeigen. Das wird nie altmodisch. Lassen wir uns dazu ermutigen am heutigen Sonntag. Schärfen wir immer wieder neu unseren Blick darauf, wo Unrecht geschieht und wo die Gefahr besteht, dass niemand es benennt. Amen.


 

Beitrag zum Gedenkkonzert The Armed Man in der Rostocker Marienkirche

Blitz am 06. Juli 2025

 

The Armed Man, L'homme armé, der bewaffnete Mann

 

Das hier erwähnte Konzert am 6. Juli in der Marienkirche ist ausverkauft. An der Abendkasse gibt es aber noch Restkarten. Am 5. Juli gibt es um 19:00 Uhr eine öffentliche Generalprobe

 

„L'homme armé, (der bewaffnete Mann, the armed man), sollte er nicht gefürchtet werden?“.

Rund 400 Sängerinnen und Sänger eröffnen am Sonntag mit diesen Worten aus einem französischen Chanson des 15. Jahrhunderts ein Konzert in der Rostocker Marienkirche. Dann geht es hinein in eine tiefe Auseinandersetzung mit Erfahrungen von Leid, Krieg und Gewalt. Die aufwühlenden Texte sind gehalten und getragen von der Form einer Messe. So findet man etwa aus dem verstörenden Stück „Torches, Fackeln“ mit der folgenden Bitte: „Lamm Gottes, erbarme dich unser“ wieder heraus. Die Worte von „Torches“ sind Teil des indischen Epos mahabarata aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert. Es führt das Leiden der ganzen Schöpfung drastisch vor Augen mündend in die Beschreibung: „Sie taten ihren letzten Atemzug als lebende Fackeln.“

Der gewaltige Entstehungszeitraum der vertonten Texte sowie ihre Herkunft aus verschiedenen Kulturen und Religionen führt die zeitlosen Folgen von Krieg und Zerstörung vor Augen.

In der Rostocker Marienkirche finden aus Anlass des Kriegsendes vor 80 Jahren für „The armed man: A mass for peace“ Chöre aus der ganzen Stadt, Kirchenchöre ebenso wie der Opernchor des Volkstheaters und die Norddeutsche Philharmonie unter der Gesamtleitung von Kirchenmusikdirektor Prof. Dr. h.c Markus Johannes Langer zu einem Klangkörper zusammen und werden so zu einem starken Friedenszeichen, das über den Abend der Aufführung hinausweist.

Pastorin Karin Ott, Rostock-Evershagen