Bischof Jeremias berichtet Landessynode der Nordkirche "Eine Gesellschaft im rasenden Stillstand braucht eine hörende Kirche"

Bischof Jeremias beim seinem Bericht auf der Landessynode.

Foto: Nordkirche/S. Hübner

24.02.2023 · Lübeck-Travemünde. Kirche wirkt für unsere Gesellschaft dann segensbringend, wenn sie eine „hörende Kirche“ ist. Dagegen führen kirchlicher Aktionismus oder der Anspruch, Welterklärerin zu sein, die Kirche in die Bedeutungslosigkeit. Dies sagte Bischof Tilman Jeremias am heutigen Freitag bei der Tagung der Landessynode der Nordkirche.

„Allem kirchlichen Handeln, allen kontroversen Debatten, allen politischen Forderungen unsererseits soll ein Innehalten vorangehen, das von einem hörenden Herzen durchdrungen ist: einem schweigenden Warten auf Gottes Weisung und einem achtsamen Blick auf unseren Mitmenschen und Gottes Schöpfung. Wo unser Reden und Handeln aus dem Schweigen und Hören kommt, ist es tief, verbindend und nachhaltig“, so der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern. Umgekehrt verliere Kirche an Resonanz, wenn sie als Welterklärerin auftrete.

 

Ein hörendes Herz ist das Fundament weisen Handelns

 

Mit dem Begriff der „Resonanz“ bezog sich Jeremias in seinem Bericht aus dem Sprengel Mecklenburg und Pommern auf den Soziologen Hartmut Rosa. Dieser diagnostiziert einer vom Wachstum abhängigen Gesellschaft einen „rasenden Stillstand“. Mit ‚Resonanz‘ meint Rosa das Gegenmodell, nämlich die unverfügbare Gabe des Menschen, in Beziehung zu sein – etwa mit Musik, der Natur, anderen Menschen und mit Gott. Also ein „hörendes Herz“ zu haben, wie Bischof Jeremias den Begriff mit Rosa biblisch übersetzte. Dieses „hörende Herz“ kommt erstmals vor in der fast 3000 Jahre alten Geschichte um König Salomo und bildet das Fundament der sprichwörtlichen salomonischen Weisheit.

 

Bischof Jeremias: „Das Erste und Wesentliche, das von diesem besonderen Herrscher zu sagen ist, hat nichts mit einer entschlossenen Tat oder mit einem zukunftsweisenden Regierungsprogramm zu tun. Salomo wünscht sich von Gott ein hörendes Herz und damit die Gabe, erst einmal geduldig den Weisungen Gottes und den Anliegen seines Volkes zuzuhören.“ Nach Jeremias birgt diese biblische Erzählung erhebliches Potenzial für das Selbstverständnis von Kirche: „Wir sind als Kirche glaubwürdig und überzeugend, wenn wir in diesem Sinn hörende Kirche sind. Eine Gesellschaft im rasenden Stillstand braucht Orte und Zeiten des Innehaltens und der Unterbrechung. Wir sind ganz bei unserer ureigensten Sache, wo wir Orte der Einkehr fördern, geistliche Angebote, Pilgerwanderungen, Gebet und Einüben ins Schweigen.“

 

Ohne Glaubenskern wird Kirche Teil des ökonomisierten Zweckhandelns

 

Als hervorragende Beispiele dafür nannte er das Europäische Jugendtreffen von Taizé in Rostock über den Jahreswechsel oder das Haus der Stille in Weitenhagen bei Greifswald, in dem bereits zu DDR-Zeiten Menschen die Praxis des „hörenden Herzens“ einüben konnten. Jeremias betonte: „Wenn wir unseren Glaubenskern vernachlässigen, stehen die übrigen kirchlichen Handlungsfelder selbst in Gefahr, Teil des ökonomisierten Zweckhandelns zu werden, mithin selbst Teil der destruktiven Beschleunigungskultur.“

 

Ein „hörendes Herz“ sei die Basis für eine Seelsorge, die nicht nur tröste, sondern auch die Seelsorgenden selbst verändern könne: „Seelsorge erfordert von uns die Bereitschaft zur Resonanz. Uns einzulassen auf ein Gegenüber, es bewusst zu ertragen, dass es diesem Menschen an Vielem fehlt, er verzweifelt, einsam oder voller Schmerzen ist. Die Heilige Schrift versichert uns, dass wir in notgeplagten Mitmenschen Christus selbst begegnen. Das empathische Hören ist mehr wert als viele gut gemeinte Ratschläge und kann uns wie das Hören auf Gott von Grund auf verändern.“

 

Kirche verbindet, wo Gruppen sich unversöhnlich gegenüberstehen

 

Eine hörende Kirche sei gerade da nötig, wo sich die Gesellschaft immer mehr in unversöhnlich erscheinende Gruppen aufspalte und die Debatten zunehmend aggressiv geführt würden. Allerdings bedeute es durchaus einen „Spagat“ für Kirchenleute, „eigene Überzeugungen zur Sprache zu bringen und gleichzeitig moderierend tätig zu sein.“ Als Beispiel dafür nannte Jeremias die aktuellen Auseinandersetzungen um die Unterbringung von Geflüchteten in Mecklenburg-Vorpommern. Dort engagierten sich viele Kirchengemeinden seit Jahren vorbildlich: „Speziell in unserem Sprengel ist es jedoch ebenso kirchliche Aufgabe, mit Menschen jenseits des Rechtsextremismus ins Gespräch zu kommen, die Ängste artikulieren angesichts geplanter Flüchtlingsunterkünfte. Als Kirche und Diakonie des hörenden Herzens ergreifen wir Partei für sozial schwache Menschen, für Ausgegrenzte und Diskriminierte. Jenseits eines einfachen Täter-Opfer-Denkens sind wir zugleich bereit, Leuten mit Einstellungen aus dem gesamten demokratischen Spektrum unser Ohr zu schenken.“

Quelle: Bischofskanzlei Greifswald (ak)