Volksabstimmung Schottlands Kirchen – neutral zwischen Unionisten und Unabhängigkeitsbefürwortern
16.09.2014 · Edinburgh.In Schottland wird vor und nach der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Landes gebetet. Selbst am Tag der historischen Abstimmung am Donnerstag stehen die Kirchen offen. Für den Vorabend des Referendums, bei dem es um den Verbleib der Schotten beim Vereinigten Königreich geht, lädt eine breite Koalition von schottischen Kirchenleuten zum nationalen Gebet ein.
Während in den Debatten vor der Abstimmung die Themen Schulden, Währung, Banken, Öl, Wohlfahrtsstaat und EU-Mitgliedschaft dominieren, hätten sich Christen auch um das moralische und spirituelle Klima in Schottland zu sorgen, indem sie für "unsere Nation" und deren Führer in dieser entscheidenden Phase beten, heißt es in einem kirchlichen Aufruf. Darin wird daran erinnert, dass die Kirche in Schottland auch vor 300 Jahren bei der Vereinbarung der Union zwischen London und Edinburgh dafür gebetet hatte, dass alles zum Ruhm Gottes geschehen möge.
Neutralität ist die Devise
Eine konkrete Abstimmungsempfehlung der Kirchen gibt es nicht – Neutralität ist die Devise zwischen dem Yes-Lager der Abspaltungsbefürworter und den Unionisten, die unter dem Slogan "Better Together" für einen Verbleib Schottlands im Vereinigten Königreich werben. Ausgeschert ist lediglich eine überschaubare Gruppe von rund 30 Pfarrern aus der reformierten Kirche von Schottland, die für die Unabhängigkeit des Landesteils eintreten.
Moderator (Vorsitzender) John Chalmers von der reformierten Church of Scotland rief beide Lager zu wechselseitigem Respekt auf. Er sei überzeugt, dass ungeachtet unterschiedlicher Positionen ein höflicher Ton die Auseinandersetzung bestimme. Er warnte allerdings davor, dass es in der emotional aufgeladenen Debatte zu schärferen Tönen kommen könnte. Landesweit hatte die schottische Kirche in den vergangenen Wochen und Monaten zahlreiche Gesprächsveranstaltungen über die Zukunft des Landesteils organisiert.
Dass die kirchliche Bindung den Ausgang der Entscheidung beeinflussen könnte, zieht der Aberdeener Soziologieprofessor Steve Bruce in Zweifel. Von den Kirchenmitgliedern seien maximal zehn Prozent regelmäßige Gottesdienstbesucher. Selbst wenn alle Kirchgänger dieselbe Haltung zum Referendum hätten, wäre es nicht ausschlaggebend, argumentiert Bruce. Die Kirchen verhielten sich deshalb klug, eine neutrale Position einzunehmen.
54 Prozent der Schotten verstehen sich als Christen
Dem Trend der Säkularisierung und abnehmender Kirchenbindung konnte sich Bruce zufolge auch Schottland nicht entziehen: In einer im Sommer vorgelegten Studie kommt er zu dem Ergebnis, dass sich nur noch 54 Prozent der Schotten als Christen verstehen, elf Prozent weniger als zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Von den 5,2 Millionen Schotten sind 1,7 Millionen Mitglied der Church of Scotland - mit sinkender Tendenz. Mit 800.000 blieb die Zahl der Katholiken stabil, was auf die osteuropäische Zuwanderung, speziell aus Polen, zurückgeführt wird.
Auch Michael Mehl bescheinigt, die Kirche von Schottland habe sich während der Kampagne diplomatisch verhalten. Den Kirchen sei sehr daran gelegen, dass im Falle der Unabhängigkeit Schottlands die Queen weiter Staatsoberhaupt sei und die freie Religionsausübung der Glaubensgemeinschaften garantiert bleibe, sagt der Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Edinburgh, Glasgow und Newcastle. Er ist wie alle Bürger aus EU-Mitgliedsländern, die in Schottland leben, am 18. September stimmberechtigt.
Pastor Mehl: Nationalistische Töne spielten kaum eine Rolle
Wenig Anhaltspunkte sieht der Pfarrer für Besorgnisse auf dem Kontinent, der schottische Unabhängigkeitswunsch sei Ausdruck eines wachsenden Nationalismus in Europa. Nationalistische Töne spielten in den Debatten kaum eine Rolle, beobachtet Mehl, der nach zehn Jahren in Schottland im nächsten Jahr nach Deutschland zurückkehrt. Als Motiv sieht der Theologe neben dem Aspekt der schottischen Identität vor allem die Randlage des Landes, das sich von Westminster, dem Sitz des britischen Parlaments, benachteiligt fühle.
Am Sonntag nach dem Referendum feiert Moderator Chalmers in der St. Giles Kathedrale in Edinburgh, der Hauptkirche der schottischen Reformierten und Wirkungsstätte des Reformators John Knox (1514-1572), einen Gottesdienst zum Thema Versöhnung. Denn unabhängig vom Ausgang der Abstimmung müssten Befürworter und Gegner der Abspaltung Schottlands dann wieder zusammenarbeiten, sagt der Theologe.
Quelle: epd