Wolfgang Thierse: Glaube ist keine Privatsache
15.11.2014 · Bonn.Christlicher Glaube kann nach Ansicht des früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) keine Privatsache sein. "Er kann nicht für sich bleiben. Er verlangt immer auch tätiges Zeugnis und damit Einsatz für die Gemeinschaft", sagte Thierse. Der christliche Glaube habe damit automatisch eine politische Dimension.
Thierse verwies auf die Rolle der Kirchen bei der friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR. In den Bürgerrechtsgruppen seien besonders viele Christen aktiv gewesen. "Das muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen, weil die Zeithistoriker diesen Aspekt geradezu systematisch und absichtsvoll vernachlässigen", betonte der bekennende Katholik.
Unter dem Dach der Kirchen hätten sich die Oppositionsgruppen gebildet, versammelt und haben miteinander diskutiert. "Das macht die Sache nicht zu einer christlichen oder protestantischen Revolution", sagte der ehemalige Bundestagspräsident. "Aber die Christen und die Kirchen haben eine herausragende Rolle in diesem Befreiungsprozess gespielt."
Die katholische Kirche der DDR sei dabei "die viel Kleinere" gewesen, nur fünf Prozent der DDR-Bürger rechneten sich nach Thierses Worten zu ihr. Zudem habe die katholische Kirche eine andere Strategie verfolgt als die evangelische, erklärte der SPD-Politiker: "Sie hat versucht zu überwintern, zu überstehen, sich auf keinen Fall auf dieses Regime einzulassen." Das sei bei der evangelischen Kirche anders und durchaus widersprüchlicher gewesen. "Dadurch war die evangelische Kirche in einem vernünftigen Sinne politischer."
Die DDR sei in jedem Fall ein Unrechtsstaat gewesen, betonte der 71-Jährige: "Sie war eine Diktatur." Wenn Linken-Fraktionschef Gregor Gysi dies bestreite und offensichtlich die Koalition in Thüringen nicht wolle, sei das eine überraschende Pointe. "Denn im dortigen Koalitionsvertrag steht in der Präambel, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Das unterschreibt also auch Herr Ramelow", sagte Thierse.
Quelle: epd