Drei Fragen an den Theologen Manuel Kiuntke zum Thema Leistung Jeder kann zu mehr Lebensqualität beitragen

03.11.2014 · Stuttgart.

Es war ein zentrales Thema der Reformation: Durch eigene Leistung, so meinte Martin Luther, schafft es kein Mensch, in Gottes Augen gerecht zu sein. Für ihn schafft das nur der Glauben daran, dass Christus für mich gestorben ist. In der geistlichen Welt, dem Reich Gottes, gilt also das Vertrauen auf die eigene „fromme“ Leistung nichts – im Gegenteil, sie ist Ausdruck einer grundfalschen, gottesfernen Haltung, bei der sich der Mensch selbst in den Mittelpunkt stellt. Andererseits ist für den Reformator die weltliche Sphäre der Bereich, in dem sich der Christ im Alltag bewähren muss – und eben, weil er Christ ist, auch „gute Früchte“ hervorbringt, also etwas leistet. Für die Reformatoren Zwingli und Calvin, auf die die reformierte Kirche zurückgeht, ist sogar die Leistung, zu der einer fähig ist, und der damit erarbeitete Wohlstand ein Ausweis für ein gottgefälliges Leben.

„Leistung muss sich wieder lohnen“, eigentlich Schlachtruf der Liberalen, hatte sich in den 90er Jahren ebenso die CDU auf die Wahlplakate geschrieben – und auch die von der SPD-Grünen-Regierung verantwortete Agenda zum Umbau der Sozialsysteme lief unter dem Motto „Fördern und fordern.“ Die Kirchen, vor allem ihre Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas, fragen dagegen an, was denn mit den Menschen ist, die unverschuldet durch Krankheit, Behinderung oder Alter nicht in der Lage sind, dem Leistungsanspruch und dem Konkurrenzdruck einer globalisierten Arbeitswelt zu entsprechen.

Dieses Thema hat sich der evangelische Pfarrer Manuel Kiuntke für seine theologische Doktorarbeit herausgesucht: Was ist Leistung heute, wie ist sie aus heutiger christlich-ethischer Sicht zu bewerten und zu gestalten? Im Gespräch mit Marcus Mockler vom epd erläutert der Württemberger Kiuntke, warum Leistung als Thema auch in die kirchliche Bildungsarbeit gehört und wie die Gesellschaft mit Leistungsschwachen umgehen sollte.

Herr Kiuntke, wir reden in Deutschland von einer Leistungsgesellschaft. Haben wir es mit dem Thema Leistung übertrieben?

Die Idee, die hinter der „Leistungsgesellschaft“ steckt, ist an sich gut nachvollziehbar: Wer etwas leistet, der bekommt seinen gerechten Lohn. Übertrieben haben wir, indem wir – vor allem in der Wirtschaft – zu sehr auf Gewinn und Wachstum geschaut haben.

Das schnelle Geld auf Kosten von anderen ist aber aus ethischer Sicht nicht in Ordnung. Außerdem ist der Druck, immer mehr Leistung bringen zu müssen, weil der Gewinn gesteigert werden soll, ein großes Problem. Menschen können manche Tätigkeiten schlicht nicht schneller oder besser ausführen, ohne dass die Qualität oder die Gesundheit darunter leidet. Ein weiteres Problem: Leistungen außerhalb des Bereichs Wirtschaft geraten schnell aus dem Blick – etwa in Politik, Wissenschaft und Religion, aber auch in der Familie, wie etwa Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen.

Wie geht unsere Gesellschaft mit Menschen um, die keine oder kaum mehr Leistung bringen können?

Das kommt auf den Maßstab an. Für manchen ist es schon eine Leistung, wenn er seinen Alltag auf die Reihe bekommt. Andere empfinden einen Zwölfstundentag im Büro als normal. Wer krank ist oder keine Arbeit mehr findet, muss nicht verhungern. Gott sei Dank!

Schlimm ist, dass wir es bisher nicht geschafft haben, all denjenigen, die noch arbeiten könnten, auch Arbeit zu geben. Wir müssen wegkommen von einer Bewertung der Leistung, die sich nur daran orientiert, wie viel Geld man dafür auf einem Markt bekommen kann.

Zum Beispiel können ältere Menschen vielleicht keine schweren Sachen mehr tragen, aber sie können mit anderen Menschen Zeit verbringen und dadurch für das Zusammenleben ihren Beitrag leisten. Wenn diese Menschen für ihre Leistung dann auch Anerkennung bekommen, das muss keine finanzielle Entlohnung sein, ist beiden Seiten geholfen.

In Kirche und Theologie scheint „Leistung“ oft ein Tabuwort zu sein. Müssen Christen Leistung als Tugend neu entdecken?

Die Kirchen setzen sich zu Recht für Solidarität mit den Schwachen ein, die nicht so „leistungsstark“ sind. Ich glaube, dass Kirche und Theologie aber auch eine Bildungsaufgabe haben: Sie besteht – neben Religionsunterricht, Predigt und so weiter – darin, deutlich zu machen, dass in allen Gesellschaftsbereichen Leistung erbracht wird.

Jeder Mensch muss jeden Tag Leistung erbringen und tut das auch – in Familie, Beruf und Ehrenamt. Dazu hat Gott ihn befähigt. Wir sollten uns darüber klarwerden, dass Leistung an sich nichts Schlechtes ist. Keiner ist überflüssig, auf niemanden können wir verzichten. Daher sollten wir auch niemanden einfach so „durchfüttern“, ohne zu fragen, was er tun kann. Jeder kann einen Beitrag zu einem Mehr an Lebensqualität für alle leisten – und davon kann eine Gesellschaft und die ganze Welt nie genug haben.

Quelle: epd