Partner der Nordkirche geben Auskunft Kirche sein in Europa
04.05.2015 · Hamburg. Anlässlich der Europawoche in der Nordkirche kurz vor der Europawahl hat das Zentrum für Mission und Ökumene in Hamburg Vertreter der europäischen Partnerkirchen gefragt, was es für sie heißt, Kirche in Europa zu sein. Hier sind einige der Antworten:
Estland: Kirche in einem entkirchlichten Land
Wenn man am Rande Europas lebt, dann bestimmt das auch die Perspektive auf diesen Kontinent. „Nach Europa“ geht man, um zu arbeiten und dafür normal bezahlt zu werden. „Aus Europa“ kommt Gutes und Schlechtes. Positiv sind zum Beispiel die Projektgelder für Straßenbau, Bildung und für gute Investitionsideen, sowie manche Normen.
Es ist gut, dass manche von uns mit frischen Ideen und positiven Einstellungen aus Europa zurückkommen. Wir genießen Freiheiten, die noch vor Jahrzehnten unvorstellbar waren. Schlecht sind massenweise Vorschriften und andere Normen, die erfüllt werden müssen. Schwierig ist, dass der Euro uns zwingt, für Griechenland, Italien und andere Schulden aufzunehmen, obwohl laut unserer Verfassung der Staat keine Schulden machen darf und bisher auch keine gemacht hat.
Kirche in Europa sein heißt, die Frohe Botschaft von Jesus Christus in die positiven und negativen Bedingungen des europäischen Lebens hineinzusagen und zu leben. Es bedeutet einladen und sich abgrenzen, vor allem aber verstehen, was die Menschen in Europa denken und fühlen. In unserer säkularen Gesellschaft bedeutet das die zusätzliche Erschwernis, das alles ohne kulturellen und politischen Rückenwind zu tun.
Nach jahrzehntelanger antichristlicher Propaganda sitzt das Misstrauen, aber auch das Unwissen tief bei vielen Menschen. Wir müssen unseren Platz in der Gesellschaft erst wieder finden, zwischen frommer Nische und Selbstauflösung im Surfen auf der Welle des Zeitgeistes. Das ist es, auch innerhalb der Kirche, ein Tasten, Suchen und Streiten um den richtigen Weg, und dieses Streiten ist mitunter heftiger, weil wir ein kleines Land sind, wo jede Meinung etwas bewirkt.
Matthias Burghardt, Pastor der deutschsprachigen Gemeinde der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche
Kaliningrad: Evangelisch im orthodoxen Umfeld
Die Kaliningrader Propstei liegt geografisch in Europa. Zwei Länder umfangen unser Gebiet – Litauen und Polen. Jeder Einwohner des Kaliningrader Gebiets muss die Grenze überwinden, um weiter zu reisen. Das heißt konkret: Visum, Kontrolle, Fragen usw.
In unserem Gebiet, das fast 1 Million Einwohner hat, ist unsere Kirche in der Minderheit. Wir sind in einer Diaspora- Situation. Wir sind aber nicht unsichtbar in unserer Gegend. Über unseren Dienst in verschiedenen Bereichen - Gottesdienste in 36 Kirchengemeinden, Kinder- und Jugendarbeit, Frauenarbeit, Diakonie – wollen wir offen und attraktiv für die Einwohner dieses Gebiets sein.
Hier verstehen wir uns als Kirche, wo sich Menschen sammeln mit verschiedener Kultur, Nationalität, Vergangenheit und Vorstellungen, wo aber jeder für sich Freiheit erfährt. Das heißt: wir können uns frei sammeln, das Wort Gottes hören, frei Fragen stellen und auf diese Antworten suchen. Hier können wir die Grenze öffnen und uns als einen kleinen, aber wichtigen Teil der großen Kirche bekennen. Wir freuen uns, dass wir frei sind und dass wir frei unseren Gott loben dürfen.
Trotz ihres jungen Alters von etwa 25 Jahren hat die Propstei eine reiche Geschichte. Meine Aufgabe als Pröpstin sehe ich nicht nur darin, dass ich das „Erbe“ meiner Vorgänger bewahren sollte, das auch klug benutzt werden kann. Das sind Kirchengebäude, Gemeindehäuser, andere Immobilien und auch der Dienst, der dort getan wird.
Ich bete, dass in diesem kleinen Gebiet in einem orthodoxen Umfeld als Evangelische Kirche unseren festen Platz halten und mit unseren Gaben Gott und Menschen dienen können.“ Maria Goloshchopowa, Pröpstin der Evangelisch- Lutherischen Propstei Kaliningrad
England (Diözese Lichfield): Staatskirche ohne Apanage
Die Diözese Lichfield, Teil der Kirche von England, dient fast zwei Millionen Menschen und umfasst 427 Gemeinden in den nördlichen West Midlands. Die Kirche von England ist eine Staatskirche. Daher genießt sie gewisse rechtliche Privilegien und Verantwortungen. Doch sie erhält keine staatlichen Zuwendungen für ihren Auftrag.
Jeder Mensch hat in England das Recht, in seiner Gemeindekirche zu heiraten und die Kinder taufen zu lassen. Auch Trauerfeiern sind für jeden Menschen verfügbar. So haben Pastorinnen und Pastoren der Kirche von England zahlreiche Möglichkeiten, das Evangelium mit denen zu teilen, die nicht eingetragene Mitglieder sind. Obwohl die Kirche von England eine Staatskirche ist, wird sie demokratisch durch eine unabhängige synodale Struktur geleitet.
Berichte in den Nachrichten über politische Angelegenheiten veranschaulichen die unterschiedlichen Meinungen innerhalb des Vereinigten Königreichs über ein angemessenes Maß an Beteiligung in der Europäischen Union. Diese politische Realität sollte aber nicht das Selbstverständnis der Kirche von England als Teil der weltweiten Kirche beeinflussen, noch ihre Verpflichtung gegenüber ihren europäischen Brüdern und Schwestern.
Auf nationaler Ebene zeigt die Kirche von England ihren Wunsch, gemeinsam und mit dem Ziel sichtbarer Einheit mit der Kirche in Europa zusammenzuarbeiten. Das wird vor allem deutlich in ihrem Engagement in der Gemeinschaft von Porvoo, die Anglikanische und Evangelisch-Lutherische Kirchen im Norden Europas umfasst, sowie in der Arbeit im Geist der Meißener Erklärung, die sie mit der EKD verbindet.
Die Diözese Lichfield legt viel Wert auf ihre Partnerschaften im Rahmen von Ökumene und Mission. Sie unterhält offizielle Partnerbeziehungen mit den Anglikanischen Diözesen Kuching von Singapur und West-Malaysia, Qu’Appelle in Kanada und Matlosane in Südafrika sowie mit der Evangelisch- Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, die jetzt Teil der Nordkirche ist.
Terry Bloor, Pastor in der Diözese Lichfield
Polen: Lutherisch in katholischer Mehrheit
Die Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen ist eine lutherische Kirche, die in einem stark katholisch geprägten Land mit etwa 70 000 Mitgliedern eine Minderheit bildet. Ein Lutheraner in Polen zu sein, bedeutet, sich mit einem Prozentsatz von 0,2 % der polnischen Bevölkerung evangelischer Konfession zu identifizieren. Die meisten evangelischen Christinnen und Christen wohnen im Süden Polens im Teschener Schlesien. Dadurch ist auch das gesellschaftliche Engagement der dort wohnenden Lutheraner wesentlich größer als in anderen Teilen des Landes, wo man von einer tiefen Diaspora sprechen muss.
Nichtsdestotrotz versuchen sich auch die ganz kleinen Gemeinden, die in fast allen großen Städten, in kleinen Orten und auf dem Lande präsent sind, in das gesellschaftlich-politische Leben einzubringen. Es geschieht vor allem durch diakonische Arbeit, Bildung und Kultur. Die seit über 20 Jahren auf dem sozialen Markt wirkende Diakonie Polen ist neben der katholischen Caritas und anderen Wohlfahrtsverbänden eine immer stärker erkennbare Marke und ein ganz wichtiger Partner in vielen internationalen Kontakten unserer Kirche.
Seit der Reformation hat die Kirche einen großen Wert auf das Schulwesen gelegt. Nach der Wende entstanden in einigen Städten Polens evangelische Schulen verschiedenen Grades und werden hoch geschätzt. Kirche ist auch ein Bestandteil der allgemein verstandenen Kultur. Die zwei einzigen Holzkirchen Polens, die auf die Liste des Welterbes eingetragen wurden, sind die evangelischen Friedenskirchen in Świdnica und Jawor. Viele evangelische Gemeinden sind auch wegen ihrer Orgel und ihrer Orgelkonzerte berühmt.
Diese und viele andere Aktivitäten machen die Kirche in Polen lebendig und in der Gesellschaft präsent und erkennbar. Das Präsentsein ist auch ein Mittel zur Erfüllung unserer grundsätzlichen Aufgabe, der wir uns als Zeugen Jesu Christi verbunden wissen, nämlich der Verkündigung der Guten Nachricht über Grenzen hinaus.
Eine Partnerschaft mit Pommern und nun der Nordkirche pflegen seit mehr als 15 Jahren zwei von sechs Diözesen der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen – die Breslauer Diözese und die Pommern-Großpolnische Diözese.
Wojciech Froehlich, Pastor in Słupsk (Stolp)
Schweden: Nationalkirche erweitert ihren Horizont
Die Perspektive der Schwedischen Kirche war über lange Zeit genau das: schwedisch. Schweden war in Sprache, Kultur und sogar Religion ein zum großen Teil homogenes Land - nicht früher als 1873 war es möglich, aus der schwedischen Kirche auszutreten, und dann auch nur, wenn man einer anderen anerkannten Glaubensgemeinschaft beitrat.
Durch stetig wachsende Migration, aber auch durch vermehrte Urlaubsreisen ins Ausland wurde diese Perspektive erweitert. Dadurch können wir uns mehr dem annähern, wozu wir berufen sind: Zu verstehen, dass wir keine eigene Kirche sind, sondern ein Teil der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche.
Durch Kontakte, vor allem mit anderen Kirchen in Nordeuropa, hat die schwedische Kirche mehr darüber gelernt, was es heißt, Kirche zu sein. In der Liturgie, in Psalmen und Gebeten verwenden wir Worte und Töne von anderen Schauplätzen und Zeiten als der unseren. Das macht deutlich, dass wir als Kirche immer Teil einer größeren Gemeinschaft sind. Das hilft uns, mehr Betonung auf das Kirchliche zu legen und weniger auf das Schwedische. Gleichzeitig ist es unser Auftrag, Kirche in Schweden zu sein, hier den Ruf Gottes zu deuten. Zusammen mit Schwesterkirchen in Europa müssen wir einen Weg nach vorne finden.
Europa verändert sich, und wir dürfen niemals vergessen, dass Europa größer ist als die EU. Kirchen in Europa stehen vor unterschiedlichen Herausforderungen und haben unterschiedliche Voraussetzungen. Lasst uns einander helfen! Lasst uns einander daran erinnern, dass wir jeder ein Teil von Gottes einer Kirche sind!
Jens Linder, Pastor in der Diözese Växjö
Rumänien: Kirche der nationalen Minderheiten
Rumänien ist wie viele andere Länder durch die Wirtschaftskrise sehr betroffen, was Konsequenzen hat: Armut, Orientierungslosigkeit und Korruption. Rumänien ist eines der am meisten unterentwickelten Länder der Europäischen Union. Sehr viele Bürger wandern nach Italien, Spanien, Portugal, Deutschland, England und Ungarn aus.
In unserer Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rumänien leben drei ethnische Minderheiten: ungarisch, slowakisch und deutsch. Eine wichtige Herausforderung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rumänien ist das Bewahren der ethnischen und religiösen Identität. Offiziell werden die Minderheiten vom Staat anerkannt, ihre Rechte werden trotzdem erheblich verletzt.
In Europa zu sein ist eine gute Möglichkeit um die moderne Sprache, neue Gottesdienstformen, neue Arbeitsformen zu lernen und einzusetzen, damit die Predigten, die Gottesdienste, die Jugendarbeit, Konfirmandenunterricht und Kinderarbeit im 21. Jahrhundert interessant werden. All dies ist für unsere Kirche sehr wichtig.
Die Entstehung der neuen Nordkirche ist für uns eine große Freude, da sie uns dadurch neue Perspektiven ermöglicht. Der ständige Dialog mit den europäischen Partnerkirchen bedeutet für uns, Antworten auf die wichtigsten Fragen zu suchen und zu finden. Durch die Gründung neuer und die Verstärkung bestehender Gemeindepartnerschaften und durch die intensive Kontaktpflege werden unsere Gemeinden kreativer, lebendiger und offener.
Olivér Fejér, Ev.-Luth. Kirche in Rumänien
Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 18/2014