„Kirche im Dialog“ stellt Untersuchung unter Konfessionslosen vor Nordkirche sollte einfacher, solidarischer und ‚evangelischer‘ sein

Pressegespräch mit Bischof Dr. von Maltzahn und den Mitarbeitern der Arbeitsstelle "Kirche im Dialog"

Foto: C. Meyer

01.07.2014 · Schwerin. Die Sicht konfessionsloser Menschen auf Kirche und Religion steht im Mittelpunkt einer empirischen Untersuchung der Arbeitsstelle „Kirche im Dialog“ der Nordkirche. Die interessanten und teils überraschenden Ergebnisse wurden heute in Schwerin vorgestellt. Zugleich zog Bischof Dr. Andreas von Maltzahn vorläufig erste Schlussfolgerungen für die kirchliche Arbeit.

„Für Konfessionslose wird die Nordkirche an Anziehungskraft und Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie einfacher, solidarischer und ‚evangelischer‘ wird.“ Dieses Fazit findet sich in acht Thesen, mit denen der Schweriner Bischof von Maltzahn seine Schlussfolgerungen aus den Umfrageergebnissen formulierte. Von Maltzahn unterstrich, dass wenn die Nordkirche auch lernende Kirche sein will, „sie bereit sein muss, sich zu verändern“. Es ginge folglich nicht darum, Sympathie von Konfessionslosen zu bekommen, „sondern Vorurteile abzubauen, damit mehr wachsen kann“.

Dr. Claudia Wustmann und Jan Wilkens, die die Untersuchung für die Arbeitsstelle „Kirche im Dialog“ vorstellten, betonten: „Gelingender Dialog mit konfessionslosen Menschen ermöglicht es der Kirche, ihre gesellschaftliche Verantwortung auch denjenigen gegenüber wahrzunehmen, die ihr nicht angehören.“

Die Verteilung der Fragebögen erfolgte im Mai bis September 2013 im Schneeballsystem, beispielsweise über Chöre, Diakonie und Kindergärten in Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Schleswig-Holstein. Außerdem bestand die Möglichkeit, den Fragebogen online auszufüllen. Durch den Verteilmodus ist die Umfrage nicht repräsentativ, aber aufgrund der Datenmenge dennoch aussagekräftig. Bei einer Rücklaufquote von 25% konnten 498 Fragebögen ausgewertet werden, 263 davon von Konfessionslosen, also Nichtmitgliedern.

Die Ergebnisse kurz zusammengefasst

Arbeitsstelle „Kirche im Dialog“: Welchen Stellenwert haben Religiosität bzw. Spiritualität im Leben der Norddeutschen?

Die meisten Ausgetretenen hatten als Kinder durchaus Kontakt zur Kirche: Religiöse Sozialisation verhindert nicht zwangsläufig Entkirchlichung.Religiöse Sozialisation befördert nicht zwingend die Nähe zur Institution Kirche, aber die Fähigkeit zu religiösem Erleben.Die Selbsteinschätzung als religiöser bzw. spiritueller Mensch ist stark an die Kirchenmitgliedschaft gebunden. Außerhalb der Kirche findet sich im Nordwesten eher Spiritualität denn Religiosität, im Nordosten von beidem gleich wenig.Aber: Es gibt unter den befragten Nordostdeutschen deutlich mehr Gläubige (an Gott, höhere Mächte, ein Leben nach dem Tod etc.) als Menschen, die sich religiös fühlen. Wahrscheinlich fühlt sich nur derjenige religiös, der auch eine Religion praktiziert.Die Wissenschaft ist für die, die nicht glauben, das Hauptargument gegen Religion, die Ostdeutschen treibt aber auch sehr stark die Theodizee-Frage um: Wenn es Gott gibt, wie kann er dann das Elend auf der Welt zulassen?

Wie wird Kirche wahrgenommen und eingeschätzt?

Die überwiegende Mehrheit der Konfessionslosen im Norden bescheinigt der Kirche eine wichtige gesellschaftliche, soziale und kulturelle Funktion. Dass ihre Hauptaufgabe die Weitergabe des Glaubens sei, meint immerhin etwa die Hälfte der befragten Konfessionslosen.Was finden Konfessionslose an Kirche gut? Besonders ihr Engagement für benachteiligte Menschen, die Kirchengebäude und „dass man (in der Kirche) nicht perfekt sein muss, um angenommen zu werden“.Viele wünschen sich noch mehr Angebote im Bereich Gemeinschaft und Geselligkeit und Kultur.Eine Mehrheit spricht sich hingegen für die Reduzierung politischer Aktivitäten der Kirche aus.Auch ein großer Anteil der Konfessionslosen wünscht sich: Kirche soll noch mehr als bisher auf Menschen zugehen, die nicht zu ihr gehören.Trotz der ihr zugeschriebenen Sozial- und Wertekompetenz nehmen Konfessionslose die Kirche für sich selbst kaum in Anspruch. Im Gegensatz zu den Konfessionslosen im Nordosten zeigen die überwiegend ausgetretenen Konfessionslosen im Nordwesten eine grundsätzlich kritischere Einstellung gegenüber der Kirche. Dennoch: Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, können sich eher vorstellen, (wieder) in die Kirche einzutreten als diejenigen, die schon immer konfessionslos waren.

Erste Schlussfolgerungen für die kirchliche Arbeit von Bischof Dr. Andreas v. Maltzahn

1.    Die gesellschaftliche Rolle der Nordkirche – insbesondere im Blick auf ihr soziales Engagement und die Vermittlung einer Werteorientierung – wird unter konfessionslosen Menschen erstaunlich positiv gesehen. Das bedeutet: Auch in der Beziehung zu Konfessionslosen ist es sinnvoll, kirchliche Gemeinwesenarbeit und Bildungsarbeit fortzuführen und zu verstärken.

2.    Benötigen Konfessionslose in ihrem eigenen Leben Hilfe, sehen nur wenige in der Nordkirche einen wichtigen Ansprechpartner. Das bedeutet: Es ist notwendig, erfahrungsorientierte Möglichkeiten zu eröffnen, in denen Konfessionslose die lebensweltliche Relevanz kirchlicher Angebote erleben können. Dies gilt insbesondere für die Felder Spiritualität, Lebenshilfe und Begleitung von Passage-Ritualen.

3.    Konfessionslose schätzen an der Kirche am meisten ihren Einsatz für Benachteiligte. Den zweithöchsten Sympathiewert erreichen die Kirchengebäude. Das bedeutet: Gemeinwesenorientierte Arbeit, aber auch das Engagement für die Erhaltung von Kirchen stärken die Akzeptanz der Nordkirche unter Konfessionslosen und bieten hervorragende Anknüpfungspunkte für gemeinsames Engagement.

4.    Erfreulicherweise schätzen knapp 50 % der Konfessionslosen an der Nordkirche, „dass man (in der Kirche) nicht perfekt sein muss, um angenommen zu werden.“ Das freut uns ganz besonders, denn dies ist eine Kernaussage unseres Glaubens. Sie erreicht also offenbar auch diese Menschen. Dies gilt umso mehr, wenn diese Botschaft in Gemeinde und Kirche nicht nur formuliert, sondern auch erlebbar ist. In diesem Sinne gilt auch in der Beziehung zu Konfessionslosen: Keine Scheu vor dem Glaubensthema!

5.    Für den inhaltlichen Dialog mit Konfessionslosen sind drei Themenfelder als besonders relevant identifiziert worden: Leben nach dem Tod, das Verhältnis von Naturwissenschaft und Glauben sowie – im Osten – die Theodizee-Frage. Das bedeutet: In der kirchlichen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, aber auch in der Verkündigung sind die Themen  ‚Leben nach dem Tod‘, ‚Vereinbarkeit und Komplementarität von Naturwissenschaft und Glauben‘ sowie ‚Gottesbilder und die Frage nach der Theodizee‘ mit besonderer Aufmerksamkeit zu behandeln.

6.    Auch der Nordkirche begegnen Vorurteile – sie sei altmodisch, unwissenschaftlich und unglaubwürdig. Das bedeutet: Es bleibt kirchliche Aufgabe, Vorurteile abzubauen. Dazu bedarf es nicht nur einer entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit, sondern vor allem direkter Begegnungen. Ein ‚forciertes Miteinander‘ im Sinne eines gemeinsamen Engagements für gemeinsame Interessen ist am ehesten geeignet, gegenseitige Vorbehalte oder Vorurteile zu minimieren.

7.    Auch unter Konfessionslosen mit Kontakten zu Kirche und Diakonie ist die Neigung begrenzt, in die Nordkirche (wieder) einzutreten. Das bedeutet: Wer den Dialog mit Konfessionslosen auf die Gewinnung von Mitgliedern ausrichtet, muss mit Frustrationen rechnen. Der Arbeitsstelle „Kirche im Dialog“ geht es um besseres Wahrnehmen und Verstehen. Wenn daraus mehr wächst, begrüßen wir das natürlich sehr. Zugleich hilft diese Haltung, das wahrzunehmen und zu schätzen, was schon jetzt möglich ist: Konfessionslose sind – unabhängig von Mitgliedschaftsfragen – ansprechbar und engagiert, wo es ihren persönlichen Bedürfnissen entspricht, insbesondere im Blick auf Kindertagesstätten und Schulen in kirchlicher Trägerschaft, die Arbeit in diakonischen Einrichtungen bzw. das Musizieren.

8.    Wenn die Nordkirche auch lernende Kirche sein will, muss sie bereit sein, sich zu verändern. Für Konfessionslose wird sie an Anziehungskraft und Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie einfacher, solidarischer und ‚evangelischer‘ wird. Das gilt sicher auch für uns und viele Mitglieder der Nordkirche.

Quelle: Bischofskanzlei Schwerin (cme)



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