Wie Kirchenmitarbeiter Jugendliche ermutigen, in der Politik mitzumischen Von wegen machtlos
Von Sybille Marx
15.09.2013 · Greifswald. Alle paar Jahre die Stimme abgeben – bringt das was? Viele Jugendliche wollen von Politik scheinbar nichts wissen. Doch damit müssen wir uns nicht abfinden.
Ganz Deutschland geht wählen am 22. September. Ganz Deutschland? Wohl eher nicht. Seit Jahren sinkt die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen, zuletzt auf 70,8 Prozent. Besonders gering ist sie stets bei den Unter-25- Jährigen. „Unter Jugendlichen gibt es viele, die denken: Es bringt doch nichts, alle vier Jahre die Stimme für irgendeine Partei abzugeben“, sagt die pommersche Jugendpastorin Tabea Bartels. Mal abgesehen vom fehlenden Wahlrecht der unter 18-Jährigen. „Viele haben das Gefühl: Bis zur nächsten Wahl haben die Politiker einen Freibrief und machen, was sie wollen.“
Politikverdrossenheit und ein Gefühl der Machtlosigkeit – für Tabea Bartels ist das schon seit Jahren ein Thema in der kirchlichen Jugendarbeit. Oder eher umgekehrt: Sie und viele Kollegen wollen Jugendlichen klar machen, dass sie sich durchaus einmischen können – für einen besseren Umgang mit der Natur etwa, gegen Rechtsextremismus, für die Rechte von Flüchtlingen....
Genau das ist auch das Ziel des Jugendtags der Evangelischen Jugend Pommern am 21. und 22. September in Zinnowitz, den Tabea Bartels mit rund 20 Mitarbeitern organisiert. Bis zu 150 Jugendliche aus dem Pommerschen, aber auch dem Mecklenburgischen Kirchenkreis sollen hier über die Grenze zwischen rechts und rechtsradikal debattieren, andere Jugendliche treffen, die in politischen Gremien arbeiten, in Bibelarbeiten über den Zusammenhang von Glaube und gesellschaftlichem Engagement nachdenken und Live-Bands erleben, die gesellschaftskritische Texte schreiben. „KircheMachtPolitik“, heißt die zweitägige Veranstaltung – schon der Titel ein Statement.
Aber woher kommt es eigentlich, dass viele Jugendliche in MV sich für Politik nicht interessieren? Friedemann Müller, Jugendreferent im Zentrum kirchlicher Dienste in Rostock, sieht die Sache so: „Die Anforderungen an junge Menschen sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen. So ist z.B. bei vielen Schülern die Woche so vollgepackt, dass sie genau überlegen müssen, wofür sie sich in ihrer Freizeit engagieren.“ Das bestätige auch die aktuelle Studie des Deutschen Jugendinstituts „Keine Zeit für Jugendarbeit!?“
Aber auch der gesellschaftliche Rahmen, in dem sie leben, habe sich verändert. „Zu DDR-Zeiten war die evangelische Jugend immer in kritischer Auseinandersetzung mit dem Staat“, meint der 50-Jährige. „Da war man praktisch gezwungen, sich zu positionieren.“ Ähnlich beschreibt es Tabea Bartels. Sie wuchs zu DDR-Zeiten in einem Pfarrhaus auf, das von der Stasi bespitzelt wurde. „Ich war vielleicht zehn Jahre alt, als mir das bewusst wurde. Das war bei uns immer Thema.“ Doch viele Jugendliche heute hätten etwas ganz anderes erlebt: wie sich nach der Wende die Enttäuschung über die Demokratie breit machte, wie die Eltern den Job verloren und vielleicht auch das Gefühl, etwas wert zu sein in diesem Land.
Sollen Jugendliche Lust bekommen, sich in gesellschaftliche Entwicklungen einzumischen, müssten Erwachsene auch stärker als bisher bereit sein, sie mitbestimmen zu lassen, meinen Friedemann Müller und Tabea Bartels. „Die Jugendparlamente, die es in manchen Kommunen gibt, müssten echte Entscheidungsgewalt haben“, wünscht sich Müller. „Jugendliche wollen erleben, dass sie wirksam sind, etwas gestalten oder verändern können, dann engagieren sie sich auch.“ Auch manche Schulleitung empfinde es als störend, wenn Schulsprecher sich einmischen und Veränderungen fordern. „Das habe ich als Lehrerin selbst erlebt“, erzählt Tabea Bartels.
Umso beachtlicher finden beide das, was in Artikel 12 der Nordkirchenverfassung steht: dass Kinder und Jugendliche bei allen Fragen, die ihre Belange betreffen, einbezogen werden müssen. Kein reines Papierbekenntnis. Alle Kirchenkreise in der Nordkirche haben eine Jugendvertretung und entsenden auch Vertreter in die Landessynode. So können junge Leute ihre Themen unter den Nordkirchen-Parlamentariern zum Gespräch machen. Vor eineinhalb Jahren hat Tabea Bartels die Gründung der pommerschen Jugendvertretung begleitet. 15 Jugendliche gehören dazu. „Es ist beeindruckend zu sehen, was für einen Lernprozess die durchgemacht haben“, sagt die Pastorin. „Natürlich kommen sie auch mal frustriert von einer Sitzung zurück.“ Aber es dominiere ein anderes Gefühl: „Dass es sich lohnt, sich einzubringen, dass man gehört wird.“
Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 37/2013