Friedrich Bartels erforscht die Geschichte der „Kückenmühler Anstalten“ „Ich wollte, dass die Geschichte endlich aufgedeckt wird“

Pastor Friedrich Bartels

© A. Klinkhardt

24.09.2013 · Greifswald. Vor 150 Jahren gründete die Innere Mission in Kückenmühle in der Nähe von Stettin eine „Anstalt für Blöd- und Schwachsinnige“ - die erste Einrichtung für Menschen mit Behinderung in der Region. Pastor Friedrich Bartels stellt dazu am 25. September im Pommerschen Landesmuseum sein neues Buch vor.

„Die Kückenmühler Anstalten waren bis zu ihrer Schließung 1940 die größte diakonische Einrichtung in Pommern“, erzählt Friedrich Bartels. Dennoch lag jahrzehntelang ein Mantel des Schweigens darüber. Der Grund: Im Frühling und Sommer 1940 verschleppten die Nazis nahezu alle Bewohner, an die 1200 Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung, und ermordeten die meisten von ihnen später  – ohne dass irgendein Mitarbeiter der kirchlichen Einrichtung dagegen protestiert oder auch nur Bedenken geäußert hätte. Die von den Nazis angeordnete Zwangssterilisation der Kückenmühler Bewohner in den Jahren zuvor hatte der kirchliche Leiter als „notwendige und heilsame Maßnahmen“ begrüßt.

Ein dunkles Kapitel der pommerschen Kirchengeschichte.

Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit, der das Geleitwort verfasst hat, würdigt die umfangreichen Forschungsarbeiten von Friedrich Bartels: „Mit seinen Recherchen, der Nennung von Namen und dem Erzählen von Lebensläufen gibt er den Menschen, die zwangssterilisiert, verschleppt und ermordet wurden, wieder eine Stimme.“
 
„Ich bin froh, dass das Buch fertig ist“, erzählt Friedrich Bartels, „ich bin da ja nicht als Historiker daran gegangen, sondern mit einer diakonisch-christlichen Sicht. Und das Schicksal all dieser Menschen hat mich doch sehr mitgenommen.“ 1936 in Greifswald geboren, leitete der Pastor von 1976 bis 1998 die Züssower Diakonie. 1987 stieß er zufällig in einer Denkschrift zur Euthanasie, also der systematischen Ermordung von 300 000 behinderten Menschen durch die Nationalsozialisten, auf eine Notiz über die Kückenmühler Anstalten. „Da war ich 12 Jahre lang Leiter der Züssower Diakonie gewesen und hatte niemals zuvor von der Kückenmühle gehört – das ließ mich dann nicht mehr los“. Friedrich Bartels stellte Fragen, suchte nach Dokumenten – und stieß auf eine Mauer des Schweigens: „Selbst meine Mutter, eine Pastorenfrau, hat mir gegenüber nie zugegeben, dass sie die Kückenmühle gekannt hatte.“

"Mahnmal gegen ungerechtes Schweigen, das zum Himmel schreit“

Doch beharrlich und unter teilweise abenteuerlichen Bedingungen suchte der Pastor nach Zeitzeugen und studierte Akten. "Ich wollte, dass die Geschichte endliche aufgedeckt wird!", so Bartels. Mit seinem Sohn Michael reiste er in den Wirren der Wendezeit 1990 zu einem Archiv nach Berlin und wurde dort von der Archivarin sehr unwirsch empfangen. Bartels erinnert sich: „Wir wussten nicht so recht, wo wir da eigentlich gelandet waren, bis uns dämmerte: Das war das hochgeheime Archiv der Staatssicherheit für die NS-Akten“. Sie durften dort Krankenakten einsehen und Notizen machen, aber nicht fotografieren und nicht kopieren. Über einen Aufruf in der Kirchenzeitung schließlich kamen aus ganz Deutschland Briefe mit Hinweisen, Erinnerungen und Fotos und Bartels fand Zeitzeugen.

Doch jetzt „kam“ ihm „die Wende dazwischen“. Die Neustrukturierung der Züssower Diakonie erfordert all seine Kräfte. Mehr als zwanzig Jahre später hat er noch einmal die Spurensuche aufgenommen und legt nun eine Chronik der Kückenmühle vor. Herausgekommen ist ein reich bebildertes Buch von den enthusiastischen Anfängen der diakonischen Arbeit mit behinderten Menschen über die Zerstörungen der Nazizeit bis zum hoffnungsvollen Ausblick einer Universität, in der heute junge Menschen in den heute denkmalgeschützten Häusern aus- und eingehen. Friedrich Bartels in seinem Buch: „Nicht als Verurteilung schreibe ich das hier auf, sondern als Mahnmal gegen ungerechtes Schweigen, das zum Himmel schreit.“

Quelle: Bischofskanzlei Greifswald



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