Pogo vorm Altar Neuer Film "Im Namen des Herrn" erzählt über Kirche, Pop & Sozialismus in der DDR
Von Markus Geiler
30.10.2013 · Berlin. Blues, Rock, Pop und Punk: Unter den Dächern der DDR-Kirchen entfaltete sich ab den 70er Jahren eine aufsässige Jugendmusikszene, die Tausende in die Kirchenbänke zog und den Staat in Alarm versetzte. Ein neuer Film begibt sich auf Spurensuche.
Für den Thüringer Altbischof Werner Leich war der Besuch auf der "Jugend 86" in der Kirche von Rudolstadt eine eindrückliche Erfahrung. Für einen "Ästhetiker" wie ihn - "ich bin Bachfan"- sei das nicht einfach gewesen, erinnert sich der evangelische Theologe fast 30 Jahre später.
Was er auf Einladung des Rudolstädter Pfarrers Walter Schilling an diesem Wochenende der späten 80er Jahre vor Ort erlebte, war Kirche ganz anders als Leich es gewohnt war. Innenraum und Außengelände des Gotteshauses bevölkerten Tausende junge Menschen und gaben sich ein Stelldichein der damaligen Jugendkulturen. Vertreten war alles, vom langhaarigen Hippie (in der DDR "Kunde" genannt) über Punks bis zu den ersten Grufties.
Statt Orgelmusik und Chorälen schrammelten in der Kirche E-Gitarren und hämmerten die Bässe. Zwischen den Kirchenbänken tanzte eine ausgelassene Menge. Trotz des Kulturschocks ließ sich der Bischof überzeugen von dieser Form kirchlicher Jugendarbeit. "Als ich gesehen habe, was damit erreicht wurde, da hat man das in Kauf genommen."
Leich ist einer der Zeitzeugen, die in dem neuen Film "Im Namen des Herrn. Kirche, Pop & Sozialismus" zu Wort kommen. In der von der Bundesstiftung Aufarbeitung geförderten Dokumentation begeben sich die beiden Autoren Michael Rauhut und Tom Franke auf Spurensuche nach der unangepassten subkulturellen Musikszene in der DDR, die lange Zeit nur unter dem Dach der evangelischen Kirche Entfaltungs- und Auftrittsmöglichkeiten fand.
Dokumentation am 26. November im TV
Am Mittwoch wird der Film erstmals in der Berliner Erlöserkirche gezeigt. Umrahmt wird die Premiere von Konzerten der früheren DDR-Undergroundbands "Herbst in Peking" (Berlin) und "Sandow" (Cottbus). Im Fernsehen wird die Dokumentation am 26. November vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) ausgestrahlt.
Für die Recherchen haben der Musikwissenschaftler Michael Rauhut und Regisseur Tom Franke zwei Jahre aufgewendet. Gezeigt wird viel bisher unveröffentlichtes Material aus privaten Archiven und Stasi-Mitschnitten. Zudem kommen einige wichtige der damaligen Akteure zu Wort.
Unangepasste Musiker wie Bettina Wegner, Stephan Krawczyk, Stefan Distelmann oder die Punk-Sängerin Jana Schlosser trafen auf unerschrockene Pfarrer wie Walter Schilling (Rudolstadt), Theo Lehmann (Chemnitz) und Rainer Eppelmann (Berlin) und gingen mit ihnen eine Art Symbiose ein. Die Kirchen als Orte in der DDR mit besonderem verfassungsrechtlichem Schutz boten systemkritischen Stimmen Nischen und Fluchträume, die sonst kein Podium hatten.
"Jeder kam auf seine Kosten"
"Jeder kam auf seine Kosten", erinnert sich der Erfinder der legendären Ost-Berliner Blues-Messen, Günter "Holly" Holwas. Die Musiker durften spielen und der Pfarrer konnte vor einem vollem Haus predigen. Bis zu 7.000 Besucher zählten die 1979 gestarteten Blues-Messen in ihren Hochzeiten in der Samariterkirche im Stadtteil Friedrichshain. Der Gemeindepfarrer, der sie ermöglichte, hieß Rainer Eppelmann. Wegen des großen Andrangs wurden sie später auch in der Lichtenberger Erlöserkirche abgehalten.
Der Staatsmacht waren die unzensierten Konzerte unter dem schützenden Dach der Kirche immer ein Dorn im Auge. Mit gezielten Diffamierungen versuchten Stasi und SED die kirchlichen Akteure zu diskreditieren. Bewusst wurde der vermeintliche Volkszorn über die "Penner, Gammler und Hippies" aufgestachelt. So tauchten im Umfeld der Schlosskirche des damaligen Karl-Marx-Stadt eines Tages Flugblätter auf, die den Ausrichter der legendären Jugendgottesdienste, Theo Lehmann, aufs Korn nahmen. "Kommt zu Pfarrer Lehmann heute Nacht, da wird Gruppensex gemacht", war darauf zu lesen.
Das sei eine von vielen Stasi-Aktionen gewesen, erinnert sich Lehmann, der als Pfarrer besonderen Schutz genoss. "Passiert ist aber nie was". Andere Akteure wie die Sängerin Jana Schlosser von der Punk-Band Namenlos traf es dafür um so härter. Nach mehreren Auftritten auf den Blues-Messen in Ost-Berlin wurde Schlosser 1983 im Alter von 19 Jahren von der Stasi verhaftet. Es folgten 18 furchtbare Monate in dem berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck unter unmenschlichen Bedingungen. Daran zu tragen hat sie bis heute.
Quelle: epd