Besuchseinschränkung in Krankenhäusern – was hilft den Angehörigen? Klinikseelsorgerin Brita Bartels: "Rituale verbinden über Orte und Zeiten“

22.11.2020 · Greifswald. Pastorin Brita Bartels ist seit 20 Jahren Krankenhausseelsorgerin und koordiniert das Seelsorgeteam am Universitätsklinikum Greifswald. Corona bedeutet für die fast 100 Krankenhausseelsorgerinnen und -seelsorger im Bereich der Nordkirche: Nah an den Patienten sein in deren erzwungener Isolation und nah an den Angehörigen mit ihren Sorgen und Ängsten. Als Boten überbringen sie derzeit häufig Grüße, Briefe und Geschenke und halten den Kontakt zwischen Angehörigen und Patienten aufrecht. Pastorin Brita Bartels erläutert im Gespräch, wie Angehörige mit dieser schwierigen Situation umgehen können:

Meine Mutter/mein Ehemann liegt im Krankenhaus, und ich darf sie/ihn nicht besuchen. Was kann ich tun, um mich nicht so ohnmächtig fühlen?

Brita Bartels: Es tut gut, aktiv werden zu können und etwas Sichtbares zu tun: Einen Brief schreiben, Plätzchen backen oder ein Päckchen packen. Das kann man per Post schicken oder auch im Krankenhaus abgeben. Für die Adventszeit ist alles schön, was leuchtet – für Krankenzimmer sind LED-Kerzen oder Sterne eine wunderbare und hygienische Variante. Natürlich kann ich auch Telefon oder Smartphone nutzen, um meinen Angehörigen direkt zu hören oder ihn „virtuell“ zu besuchen.

Menschen, die Ihnen nahe sind, sollen wissen, wie es Ihnen geht – gerade in dieser Situation: Sprechen Sie mit ihnen und überlegen Sie gemeinsam. Von großer Bedeutung ist eine Kontaktperson in der Klinik, mit der ich im Gespräch sein kann. Ich brauche als Betroffene und als Angehörige verlässliche Informationen umso mehr, je weniger ich direkt bei den Menschen sein kann, die mir am Herzen liegen.

Ein Angehöriger/mir naher Mensch kommt wegen schwerem Verlauf von COVID-19 ins Krankenhaus, muss vielleicht sogar beatmet werden. Wie kann ich für ihn da sein?

Bitten Sie das Klinikpersonal, ihm das Telefon ans Ohr zu halten – auch, wenn er selbst nicht mehr sprechen kann. Wenn ich „nichts“ tun kann, kann ich trotzdem etwas tun: Ich kann beten. Zu festen Zeiten abends und morgens und auch einfach zwischendurch, wenn Sehnsucht, Angst oder Sorge besonders stark werden, aber auch wenn ich dankbar bin, dass eine Operation gut überstanden ist oder eine Untersuchung Klarheit gebracht hat. Das Gebet ist eine sehr konkrete Tat, hochwirksam, sowohl für die Menschen, die ich liebe, als auch für mich.

Ich verspüre einen großen Druck, bei meinem schwerkranken Angehörigen noch etwas zurechtzurücken, Vergangenes zu klären und darf das gerade aufgrund der Situation nicht oder nur eingeschränkt. Wie gehe ich damit um?

Schreiben Sie einen Brief, dabei schreiben Sie sich etwas von der Seele. Briefe können Sie auch vorlesen lassen. In palliativen Situationen gelten besondere, gelockerte Regelungen für Angehörige. Wichtig ist, eine palliative Situation möglichst rechtzeitig wahrzunehmen und die Ausnahmeregelungen zu erwirken, solange der Patient noch sprachfähig und einigermaßen bei Kräften ist.

Ich beobachte, dass die Menschen sehr kreativ werden in der gegenwärtigen Situation: So hat eine Familie für ihre schwerkranke Mutter ein Musikvideo gedreht und ins Krankenhaus geschickt. Die Reaktion der Mutter darauf war sehr bewegend.

Gibt es Rituale, die mich durch den Tag bringen?

In haltlosen oder unübersichtlichen Situationen ist alles wichtig, was Halt gibt. Rituale geben Struktur, sprechen die Sinne an und sie können verbinden. Wenn ich mich beispielsweise mit meiner kranken Mutter verabrede, für sie jeden Tag um 8 Uhr eine Kerze anzuzünden, dann macht das einen Raum auf über die erzwungene Distanz: Wir können gleichzeitig beten oder einander gute Gedanken schicken.

Besonders wohl tut es, wenn es jemanden gibt, der das Ritual trägt, der mir etwas zuspricht, die Hände zum Segen auflegt. Ich kann Sie nur ermutigen, jemanden darum zu bitten: eine Seelsorgerin und warum nicht auch mal einen Freund. Ich bin immer wieder erstaunt, wie gerne Menschen sich darauf einlassen.

Wenn meine Eltern/mein Partner im Krankenhaus liegen und sich das Gedankenkarussell dreht: Was ist „normal“ an Sorge, und ab welchem Punkt sollte auch ich mir Hilfe suchen?

Seien Sie sich bewusst, dass Sie in einer Ausnahmesituation sind: Aktivieren Sie Ihre Kontakte und scheuen Sie sich nicht, sich an professionelle Begleiterinnen zu wenden. Die Krankenhausseelsorge bietet meist auch telefonische Beratung und Seelsorge an. Signal dafür, dass eine professionelle Begleitung hilfreich sein könnte: Schlaflosigkeit, kein Appetit, sich zu nichts mehr aufraffen können, sehr gereizt oder „nur noch am Weinen sein“, das Gefühl haben, neben sich zu stehen.

Mein Kindergartenkind fragt nach seiner Oma: Was kann ich ihm an Informationen zumuten?

Ein Kind, das fragt, hat immer eine aufrichtige Antwort verdient. Ich muss nicht alles sagen, was ich einem Erwachsenen mitteilen würde, aber das, was ich sage, muss stimmen. Sie können die Kinder dabei unterstützen, der Großmutter etwas mitzuteilen: etwa mit einem selbstgemalten Bild oder einem Video, in der sie am Alltag des Kindes teilnehmen kann.

Ich bin gläubig, hadere aber gerade sehr mit Gott. Darf ich das?

Ja, das kann ich der guten Macht, die mein Leben hält, getrost zumuten. Sie darf  mir auch fremd, ungerecht oder grausam erscheinen. Glaube ist nicht glatt oder „locker flockig“ – im Gegenteil, manchmal ist es ein zähes Ringen. Besonders in schweren Momenten vertraue ich darauf: Das jetzt wird mir auch etwas Gutes schenken, selbst wenn ich es noch nicht sehe. Menschen, die plötzlich da sind,  neu in mein Leben kommen. Notwendige Veränderungen, zu denen ich plötzlich den Mut habe.

Als Seelsorgerin erlebe ich, dass Menschen gerade in diesen Grenzsituationen Gott erfahren: Nähe und Vertrauen spüren und staunen über das, was dennoch möglich ist.

Quelle: Bischofskanzlei Greifswald (ak)