In Corona-Debatte könnte Kirche für Sachlichkeit sorgen, meinen Berater Die Stimme der Besonnenheit

Von Sybille Marx

15.11.2020 · Schwerin. In Sachen Corona wirkt die deutsche Gesellschaft tief gespalten. Auch in Kirchengemeinden prallen unterschiedliche Sichten aufeinander. Wie kann die Kirche dazu beitragen, dass Gräben sich wieder schließen? Gedanken zur Friedensdekade.

„Gesundheitsdiktatur“, rufen die einen, „Verschwörungstheoretiker“ die anderen. Wenn es um die Frage geht, wie gefährlich das Coronavirus ist und welcher Umgang damit angemessen wäre, prallen seit Monaten Meinungen aufeinander. Nicht nur in den Leserbriefen der Kirchenzeitung wirkt die Gesellschafttief gespalten. In einer Zeit, in der die Kirchen jedes Jahr zur Friedensdekade bis zum Buß- und Bettag aufrufen, sieht es noch wenig nach Frieden aus.

Klaus Schmidt vom Zentrum Kirchlicher Dienste in Mecklenburg, Diakon und psychologischer Berater, hält das „polarisierende Diskutieren“ für ein Phänomen der globalisierten Welt. „An Trump und Biden sieht man es ganz extrem, aber auch bei anderen Themen gibt es eine Tendenz zum Schwarz-Weiß-Denken“, sagt er. Ein Bedürfnis nach eindeutiger Positionierung drücke sich darin aus. „Aber schon im eigenen Inneren haben wir fast immer Ambivalenzen.“ Sich diese widerstreitenden Bedürfnisse und Gefühle bewusst zu machen, sei oftschon ein erster Schritt in Richtung Gesprächsbereitschaft. Der zweite: Respekt.

Karl-Georg Ohse, der Demokratie-Projekte im Sprengel MV anschiebt und als Supervisor arbeitet, hat von den Telefonseelsorgern gehört, dass Alleinlebende sich in Zeiten von Corona noch einsamer fühlten. Wie Klaus Schmidt beobachtet auch er, dass viele Familien, Freiberufler, Senioren und andere unter Corona-Maßnahmen leiden, sich überfordert oder allein gelassen fühlen.

"Digitaler Austausch kein echter Ersatz"

„Wir als Kirche sollten schauen, dass wir weiter für diese Leute da sind“, sagt er. Das bringe schon ein bisschen Entspannung. „Außerdem sollte die Kirche eine Stimme der Besonnenheit sein“, findet er. Dazu beitragen, dass Menschen sich gegenseitig zuhören. „Wenn einer Positionen vertritt, die man für untragbar oder gefährlich hält, sollte man nachfragen: Warum sieht er das so?“ Und prüfen, aus welchen Quellen das kommt. Wie in einer Supervisionssitzung könne es auch hilfreich sein, sich mal ganz bewusst in den anderen hineinzuversetzen. „Das Schwierige ist natürlich, dass wegen Corona so wenig Begegnung stattfindet.“ Der digitale Austausch sei kein echter Ersatz, findet Karl-Georg Ohse.

Rentner Gerhard Schneider aus Krümmel, der schon öfter an Demokratie-Fortbildungen von Ohse teilgenommen hat und sich gern in gesellschaftliche Debatten einbringt, findet den Corona-Kurs der Regierung richtig und wundert sich über die Sorglosigkeit, mit der manche auf die Vorgaben reagierten. Dass es zu einem Thema unterschiedliche Meinungen gibt, auch unter den Wissenschaftlern, findet er aber normal.

„Ich hab’ als Ingenieur zuletzt in der Windkraftbranche gearbeitet, und da gab es auch immer unterschiedliche Ansichten dazu, wie man an ein Problem rangehen sollte.“ Sich auszutauschen sei immer wichtig und bereichernd. „Aber am Ende muss man eine Entscheidung treffen und handeln.“ Was bei Corona richtig war, zeige sich wohl erst im Nachhinein daran, ob die Intensivbetten knapp wurden – oder doch für alle reichten.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 46/2020