Offene Kirchen für alle Wie das Thema Tourismus den Kirchenkreis Mecklenburg auf Trab hält

Von Marieke Lohse

Kersten J. Koepcke in Badendiek gibt den Kirchen schlüssel gern raus und freut sich über rund 500 Besucher im Jahr. Links Volontärin Marieke Lohse aus Hamburg.

Foto: Marion Wulf-Nixdorf

11.08.2019 · Sternberg/Badendiek. In Mecklenburg gibt es von den insgesamt 664 Kirchen viele, die ab Frühjahr ihre Türen öffnen. So wie die Kirche in Sternberg, um die sich Ehrenamtliche, genannt Kirchenhüter, liebevoll sorgen und gern auf Fragen antworten. Das Thema „Offene Kirchen“ beschäftigt auch seit Jahren schon die Arbeitsstelle Kirche und Tourismus.

Eine mittelalterliche Kirche mitten in Sternberg. Die Kirche hat geöffnet. Außer ein paar wenigen Einheimischen ist kaum einer auf den Straßen zu sehen – obwohl heute Markt ist. Aber der wird gerade abgebaut. Trotzdem verzeichne die Kirche in Sternberg an guten Tagen im Sommer durchschnittlich 80 Besucher, wie Kirchenhüterin Karin Polenske, 60, berichtet. Mittwochs, an den Markttagen, allerdings kämen deutlich weniger Besucher. Das habe vielleicht auch damit zu tun, dass den Markt hauptsächlich Einheimische besuchen, die die Kirche kennen, und – so ist sie sicher – weil direkt vor dem Hauptportal ein Stand aufgebaut ist, der „die Sicht raubt“. Sie sei schon zwei Mal beim Bürgermeister gewesen, „der will das regeln“, erzählt sie.

189 Stufen und ein weiter Blick ins Land

Wer sich hierher verirrt, scheint entweder auf der Durchreise an die Ostsee zu sein oder gezielt den idyllischen Camping-Platz am Großen Sternberger See anzusteuern. Dabei hat das eher verschlafen wirkende kleine Städtchen mit nur etwa viereinhalbtausend Einwohnern historisch ganz schön was zu bieten: Die im 14. Jahrhundert erbaute heute so genannte „Reformationsgedächtniskirche“ zeugt von einer kirchenhistorisch bedeutsamen Wende: An der Sagsdorfer Brücke, unweit von Sternberg, wurde am 20. Juni 1549 durch den Landtag die Annahme der Reformation für Mecklenburg beschlossen. Ein beeindruckendes Fresko des Malers Fritz Greve, gleich im Eingangsbereich der Kirche, der Turmhalle, zeugt davon. Darunter, in Großformat, ein Foto aus dem Jahr des 500-jährigen Reformationsjubiläums, das Jugendliche zeigt, die in historischen Kostümen das Ereignis wie auf dem Bild von Greve nachgestellt haben. Beeindruckend!

Durch eine sehr große Spende konnte die Kirche außen und innen vor fast zehn Jahren aufwendig restauriert werden. Im Kirchenschiff selbst fällt der Blick sofort auf das verzierte Gemäuer und die Kirchenfenster- Front im Altarbereich. Doch ist dieser erste Eindruck einmal verdaut, werden Gerüche wahrnehmbar, die für einen Kirchraum eher untypisch sind: Unzählige Sträuße mit bunten Blumen zieren den gesamten Kirchraum. Dafür sorgt seit vielen Jahren die ehrenamtliche Küsterin Hannelore Holtz. Wer sich so viel Mühe macht, den Kirchraum zu schmücken und die sommerlichen Eindrücke von draußen nach drinnen zu holen, der liebt seine Kirche. Ehrenamtliche zu finden, die regelmäßig die Kirchen offen halten sei schwierig, meint Hannelore Holtz. Dass das hier so gut funktioniert, dafür hat sich vor allem die kürzlich verstorbene Pastorin Katrin Teuber engagiert, betont sie.

Hannelore Holtz und Karin Polenske gehören zu den rund zehn Kirchenhütern, die die Kirche für Stadtbewohner wie Touristen zuverlässig von Ende April bis Erntedank an sechs Tagen in der Woche zwischen 10 und 13 sowie 14 und 17 Uhr offenhalten. 8000 bis 10 000 Menschenim Jahr nutzen das Angebot in Sternberg. Eine Kirche zu öffnen heißt hier aber mehr, als bloß die Portale aufzuschließen. Offene Kirche bedeutet auch, mit Besuchern ins Gespräch zu kommen, ihnen zu berichten, was es hier zu sehen gibt und Tipps für die Turmbesteigung zu geben. Denn gerade die ist ein wirkliches Highlight schon im Aufstieg. Wer mit Höhenangst zu kämpfen hat, sollte sich Zeit nehmen. Denn zwischendurch braucht der Körper einen Moment, um jede Etappe auf den 189 Stufen nach oben zu verdauen. Doch es lohnt sich.


Etwas abenteuerlich wird dann das Betreten der Plattform oben beim Geläut: Eine kleine Treppe führt dorthin, am Ende befindet sich eine Luke wie auf einem Boot und der Hinweis: Griff umlegen und drücken. Oben angekommen erwartet den Turm-Bezwinger ein Rund-um-Blick auf ganz Sternberg. Auch Familien mit Kindern wagen den Weg hoch auf den Turm. „Neulich hat hier ein Vater seine Kinder sogar hochgetragen“, erinnert sich Kirchenhüterin Polenske und ist immer noch beeindruckt.

Jeder Fünfte fragt nach geistlichen Angeboten

Kirchen wie die in Sternberg gibt es in Mecklenburg-Vorpommern zuhauf. Von den rund 1900 Kirchen in der Nordkirche stehen allein 1092 im Sprengel Mecklenburg und Pommern. Im Kirchenkreis Mecklenburg gibt es 84 Stadt- und 580 Dorfkirchen. 97 Prozent davon stehen unter Denkmalschutz, sagt Christian Meyer, Pressesprecher des Kirchenkreises Mecklenburg, auf Anfrage.

Längst nicht jede ist täglich für Besucher geöffnet, genaue Zahlen hat auch der Tourismus-Beauftragte im Kirchenkreis Mecklenburg, Kersten Koepcke, nicht. Doch offene Kirchen seien wichtig, schließlich frage jeder fünfte Tourist in MV nach geistlichen Angeboten im übergeordneten Sinn. Das seien immerhin um die zwei Millionen im Jahr im deutschen Urlaubsland Nr. 1. Ein wichtiges Thema, dem sich Kirchen stellen müssen, findet Koepcke.

Die immer weniger werdenden Hauptamtlichen in den Kirchengemeinden könnten diesen Arbeitsbereich nicht zusätzlich noch abdecken. Eine halbe Pfarrstelle für touristische Arbeit gibt es bisher nur in Kühlungsborn und eine volle Pfarrstelle in der Propstei Strelitz. Die wird demnächst aber vakant. Es gibt Orte, in denen einfach keine Ehrenamtlichen für offene Kirche gefunden werden, wie zum Beispiel in der frisch restaurierten Kirche in Kirch Stück zwischen Schwerin und Wismar.

Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich die Landeskirche mit dem Thema Kirche und Tourismus. Das bedeutet vor allem, so der Tourismusbeauftragte Kersten Koepcke, unter Berücksichtigung aktueller Kirchenmitgliedszahlen in der Nordkirche, eine Neuorientierung in Hinblick auf die Bedeutung von Kirche in der

Gesellschaft. Konkret meint das, welches Angebot Kirche schaffen muss, um attraktiv und sichtbar zu sein in einer säkularisierten Gesellschaft. „Da wäre es gut, wenn Kirche auch präsent ist“, meint Kersten Koepcke. Das Phänomen, Kirche auch als kulturellen Ort zu begreifen, ist mittlerweile keine Randerscheinung mehr. Nach und nach interessieren sich auch eher kirchenfremde Menschen dafür, die Kirche als spirituellen und kulturellen Anlaufpunkt vor Ort zu begreifen. Das liege vor allem an einer gesteigerten Nachfrage von Sinnangeboten, so der Tourismus-Experte.

Möglichst viele Kirchen sollten ihre Türen öffen

Das zeigt sich auch bei der Beschäftigung mit dem Bereich Kirche und Tourismus. Für genau dieses Thema hat die Landeskirche auf der Synode 2014 einen Tourismusfonds angelegt. Denn es hat sich gezeigt, dass bei jährlich zehn Millionen Urlaubern allein in Mecklenburg-Vorpommern, wie es der Landestourismusverband angibt, immerhin „jeder fünfte nach geistlichen Angeboten fragt“, so Kersten Koepcke (wir berichteten). Gerade die sind es, die beim gemütlichen Schlendern durch die Stadt, auf Wanderungen oder Radtouren durchs Land die offenen Kirchen betreten. „Die Bereitschaft, reinzugehen und sich überraschen zu lassen ist also schon einmal da“, weiß der Gemeindepädagoge, der im Kirchenkreis Mecklenburg für Kirche und Tourismus zuständig ist. Über die Arbeitsstelle Kirche und Tourismus können Kirchengemeinden beim Tourismusfonds der Nordkirche Anträge stellen, um in der Urlauberarbeit finanziell unterstützt zu werden.

Wie wird es zukünftig mit dem Thema Tourismus und Kirche weitergehen? Solange es den Tourismusfonds gibt, sei es keine Frage, wie eine nachhaltige Entwicklung von entsprechenden Angeboten gelingen kann und was das für unsere Kirche in der Zukunft für Chancen bietet“, meint Koepcke. Dennoch sei das ein Thema, mit dem sich moderne Kirche beschäftigen müsset. Die Nachfrage nach Sinnangeboten besteht, daher sei es ein wichtiges Ziel der Arbeitsstelle Kirche und Tourismus, so viele Kirchengemeinden wie möglich zu ermutigen, ihre Türen zu öffnen. So wie in Sternberg.

Auch Koepke selbst geht mit gutem Beispiel voran: Der Tourismus- Beauftragte hält den Schlüssel für die Kirche in seinem Dorf Badendieck bereit. Er hat heuteschon vier Besucher gezählt. Im Jahr seien es um die 500. Badendiek liegt abseits der großen Straßen in der Nähe von Güstrow. An der Kirche wäre einiges zu tun. Zur Kirchengemeinde Lohmen gehören neun Kirchorte. Im Juli, August und September fände lediglich ein Taufgottesdienst statt. Zur Christvesper, zu der Koepcke einlädt, kämen um die 50. Sonst seien es drei, vier zu den Gottesdiensten. Aber die rund 500 Touristen im Jahr erlebten die Kirche als kulturellen, und viele davon sicher auch als geistlichen Ort. Das sei doch ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig das Thema Tourismus auch in Zukunft für die Kirche sein.


Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 32/2019