Astronomische Uhr in Stralsund in zeitlicher Betrachtung Wenn die Stunde schlägt

Von Christine Senkbeil

Die Astronomische Uhr in der Nikolaikirche Stralsund.

Foto Marin Kraft

27.10.2019 · Stralsund. Über die Zeitumstellung am 27. Oktober verrät sie nichts. Doch viel darüber, wie reich das astronomische Wissen der Hansezeit war. Die Stralsunder Astronomische Uhr in St. Nikolai ist ein bedeutendes Zeugnis mittelalterlicher Wissenschaft und Kunst. Ein Symposion widmet sich dem Denkmal demnächst. Sie bewegt, auch wenn sie eigentlich seit 600 Jahren steht.

Wie voll wird der Mond in der Nacht zum Sonntag sein? Wie viel Sternlein stehen? Es ist erstaunlich, woran Nikolaus Lilienfeld im Jahre 1394 so alles gedacht hat, als er die monumentale Astronomische Uhr für die Stralsunder Nikolaikirche baute. Nicht nur die Uhrzeit ist auf dem 16 Quadratmeter großen Ziffernblatt abzulesen. Auch die Stellung der Sonne und des Mondes am Himmel, das Tierkreiszeichen, das gerade durchlaufen wird, und sogar der Teil des Sternenhimmels, der über dem Horizont steht.

„Ein bewundernswürdiges Werk“, findet der Astronomiehistoriker Jürgen Hamel, zu dessen Forschungsgebieten auch astronomische Instrumente gehören. Der Wissenschaftler von heute ist beeindruckt von dem Wissen, das sein Fachkollege von damals hatte. „Er war vielleicht der erste Astronom Norddeutschlands“, sagt Hamel über den aus Rostock stammenden Ingenieur und Uhrmacher Lilienfeld.

Ein Tausendsassa: Auf dem Zifferblatt der Astronomischen Uhr verzeichnete Lilienfeld sogar die geografische Breite Stralsunds, in erstaunlicher Nähe zum tatsächlichen Wert. „Noch 300 Jahre später gab es in Tafelwerken keine so treffende Angabe für norddeutsche Städte“, sagt Hamel. Eine erste Trinkwasserleitung für Stralsund konzipierte er ebenfalls. Ein vielbeschäftigter Mann. Zum Porträtsitzen fand er offenbar dennoch Zeit. Unternehmungslustig lugt er an der linken Seite des Uhrkastens herab, mit stolzem Blick in Handwerkerkluft.

Nur eines konnte der Astronom wohl nicht: 600 Jahre in die Zeit vorausschauen. Denn sonst hätte er sicher einen Umstellmechanismus auf Sommer- oder Winterzeit in seine Uhr gebaut. Über den verfügt die Uhr ebenso wenig wie ihre großen Kolleginnen in den Marienkirchen Rostock und Lübeck.

Überhaupt wäre es fatal, sich auf die Stralsunder Astronomische Uhr zu verlassen, wenn in der Nacht auf Sonntag, 27. Oktober, die Uhren um eine Stunde auf zwei Uhr zurückgestellt werden. Es sei denn, man liebt die Ruhe. Seit ungefähr 500 Jahren steht die Uhr. Zwei Bauteile fehlen. „Ob die Schäden im Zuge des Kirchenbrechens der Reformationszeit eingetreten sind oder zu anderer Zeit, ist unbekannt“, sagt Hamel. Die Teile ließen sich nachbauen, aber: Angesichts der Bauart könnte ein ständiger Betrieb Schäden an Achsen und Lagern verursachen. Ständige Pflege und Regulierung müsste gewährleistet werden. „Deshalb wird aus denkmalpflegerischen Gesichtspunkten von einer Reparatur abgeraten“, so Hamel.

Ihren großen Auftritt bekommt sie dennoch, denn nichtsdestotrotz nimmt diese Uhr in der Geschichte der Wissenschaften, der Technik, der Kunst- und Kulturgeschichte Norddeutschlands eine einzigartige Stellung ein. Zu ihrer 625-Jahr-Feier wird ein wissenschaftliches Symposium rund um die Uhr abgehalten: „Himmelskunde und Weltbild im Mittelalter“ läuftam 6. und 7. Dezember in der Hansestadt. Über die Stralsunder Uhr als ein Dokument der Astronomiegeschichte wird auch Jürgen Hamel einen Vortrag halten. Ebenfalls zu Gast ist der Spezialkenner der Rostocker Astronomischen Uhr, Professor Manfred Schukowski.

Bis dahin steht das Monument einfach weiter an der Rückseite des Hochaltars und lädt ein, Gedanken über die Zeit und die Zeiten schweifen zu lassen.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 43/2019