Vortrag von Bischof v. Maltzahn zum Thema Konfessionslosigkeit "Gottesfrage wachhalten für Menschen auf der Suche und für die Gesellschaft“

Bischof Dr. Andreas v. Maltzahn

Foto: Nordkirche

03.11.2017 · Hamburg. „Sind Sie religiös oder Atheistin?“ „Weder, noch – ich bin normal.“ Mit diesem Umfrage-Beispiel vom Leipziger Hauptbahnhof, nahm der Schweriner Bischof Dr. Andreas v. Maltzahn seine Zuhörer in Hamburg-Eidelstedt mitten in sein Thema hinein. „Gott, den haben wir glatt vergessen“, so hatte der Theologe seinen Vortrag am Donnerstag (2. November) im Gemeindehaus an der Elisabethkirche überschrieben.

Der Bischof unterstrich, dass Konfessionslosigkeit im Osten Deutschlands sich für viele inzwischen über Generationen hinweg als Normalität vererbt habe. „Aber auch in Hamburg nimmt die Zahl der Menschen mit säkularer Lebenshaltung zu“, so Andreas v. Maltzahn. Zugleich machte er klar, dass es ,den‘ oder ‚die‘ typische Konfessionslose/n nicht gibt. Zu verstehen, wie diese verschiedenen Menschen ohne Glauben an Gott ‚ticken‘, ist für den Schweriner Bischof ein wichtiger Ansatz für den Dialog: Was erfüllt ihr Leben? Was trägt sie in Krisen und im Gedanken an den Tod? Wonach sehnen sie sich in der Tiefe ihres Herzens?

In seinem Vortrag fächerte er drei Aspekte auf: Zum einen, was Christen unter Menschen mit säkularer Lebenshaltung wahrnehmen können. Zum Zweiten: Was dazu führt, dass Gott Menschen fremd geworden ist, dass sie ihn verloren haben? Und Drittens: Was wir tun können, damit die Frage nach Gott lebendig bleibt oder wieder lebendig wird – unter uns wie unter den Menschen mit denen wir leben.

Zugespitzt formulierte Bischof v. Maltzahn im Blick darauf, was für die Ostdeutschen an die Stelle einer religiösen Weltanschauung tritt: „Die neue ‚Religion‘ der Ostdeutschen ist das zum Ideal erhobene Leben fürs Private, für das nahe Umfeld ihrer Existenz.“ Deren Weltanschauung sei eine Art ‚Wissenschaftsgläubigkeit‘, die sich auf Wissenschaftlichkeit beruft, aber über deren Deutungsanspruch weit hinausgeht. „In Kursen ‚Glaube zum Kennenlernen‘ war der Durchbruch meist geschafft“, berichtete der Bischof aus seiner Zeit als Gemeindepastor, „wenn das Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft geklärt war – als nicht sich ausschließend, sondern einander ergänzend.“

Vorurteile – auf beiden Seiten

Zudem gebe es nach wie vor eine Menge Vorurteile – auf beiden Seiten: Binnenkirchlich würden Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, vielfach als defizitär wahrgenommen. Und Konfessionslose wiederum sehen Christinnen und Christen oft mit einem gewissen Gefühl der Überlegenheit in Sachen der wissenschaftlichen Erkenntnis, formulierte der Bischof. „Die atheistische Bildungspolitik der DDR, die jede Religion unter den Generalverdacht der Unwissenschaftlichkeit stellte, ist hierin erfolgreich gewesen.“

Zudem verwies Andreas v. Maltzahn darauf, dass Menschen mit säkularer Lebenshaltung sich „Rituale für ihr Leben leihen“ und nannte als Beispiel die ‚Sunday-Assembly‘ in Hamburg. Dort träfen sich Leute jeden Sonntag zu einer Art Gottesdienst für Menschen ohne Konfession. Zugleich fehle es in der Gesellschaft weithin an religiöser Prägung, was „nicht nur einen Mangel an Wissen, sondern auch an religiöser Vorstellungskraft und Sprachfähigkeit“ bedeutet. Und dann gibt es noch das Phänomen, das „manche Menschen unserer Tage sich reflektiert als religiös ‚unmusikalisch‘ begreifen“, skizzierte der Theologe. Hier stelle sich die Frage, ob sie erst religiös werden müssten, um in Beziehung zu Gott treten zu können oder ob sich nicht andere Wege finden lassen.

Interessant: In den Untersuchungen der Nordkirchen-Arbeitsstelle ‚Kirche im Dialog‘ sei deutlich geworden, dass drei Themen inhaltlich besonders bedeutsam sind für das Gespräch mit Menschen, die ohne Gott leben: „Das Leben nach dem Tod, das Verhältnis von Naturwissenschaft und Glauben sowie – im Osten – die Frage nach der Güte Gottes angesichts der Ungerechtigkeiten der Welt“, berichtete Bischof v. Maltzahn und ergänzte: „Knapp die Hälfte aller befragten Konfessionslosen schätzt an unserer Kirche, „dass man (in der Kirche) nicht perfekt sein muss, um angenommen zu werden“. Sein Fazit: „Wir brauchen also keine falsche Scheu zu haben, den christlichen Glauben ins Gespräch zu bringen.“

Gründe für die Entfremdung von Gott

Zu den vielfältigen Gründen für die Abwendung von Religionen zählt im Osten, dass das Leben unter zwei Diktaturen mit antikirchlicher Ausrichtung Spuren hinterlassen hat und im Westen die 68er-‚Kulturrevolution‘ den Lebensstil der Menschen dauerhaft beeinflusst und die Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Fragen wachsen lassen. Darüber hinaus hätten „die Kirchen in Deutschland selbst, manches getan bzw. unterlassen, wodurch ihre Glaubwürdigkeit beschädigt wurde“, so Bischof v. Maltzahn und nannte als Beispiele, die Kriegspredigten oder die Übergriffe sexualisierter Gewalt von kirchlichen Amtsträgern.

Ebenso liegen manche Gründe dagegen eher in der biographischen Entwicklung der jeweiligen Menschen. „Nach meiner Beobachtung verlieren viele ihr Zutrauen zu Gott in der Phase des Erwachsenwerdens“, sagte Andreas v. Maltzahn. „Die Bilder der Kinderzeit tragen dann nicht mehr so ohne weiteres.“ Es brauche neue Vorstellungen von Gott. Der Glaube müsse durch Fragen und Zweifel hindurchgehen, „um auch denken zu können, was man glaubt.“

Wege, Gott neu zu entdecken

Der Schweriner Bischof ermunterte Christen dazu, auf dem Weg zu und mit den Suchenden unserer Zeit zu sein. Als Beispiele nannte er die „erstaunlich bunte Truppe“, die auf den Pilgerwegen unterwegs sei oder ebenso die Fußballfans mit ihrer Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einem größeren Ganzen. „Oder denken wir an die wachsende Bewegung der modernen ‚Illuminati‘: Kaum ein Haus, das im Winter nicht durch Leuchtketten oder wenigstens einen leuchtenden Stern geschmückt wäre“, erinnerte der Bischof seine Zuhörer und fügte hinzu: „Ich kann dieses Phänomen auch wahrnehmen als ein vieltausendfaches Zeichen unausgesprochener Sehnsucht nach Licht in der Dunkelheit, nach Harmonie in der Zerrissenheit – und nach einem Leben, das dem entspricht.“

Weitere Schlaglichter seien die „hochspannende Auseinandersetzung mit dem Thema ,Tod‘ in unserer Gesellschaft“ oder all jene, die „allen Ernstes Lebensberatung bei Wahrsagerinnen und Bildschirm-Astrologen suchen, denn auch sie spüren: Ich kann mein Leben nicht allein aus mir heraus gewinnen und gestalten“.

Bischof v. Maltzahn erinnerte daran, dass die Nordkirche neue
Begegnungsräume entwickelt, damit Dialog entstehen kann. Dazu zählte das Schülerprojekt TEO – Tage ethischer Orientierung. Oder die Passionsandachten, die eine mecklenburgische Pastorin an Orten heutigen Leidens gestaltet und zu der viele kommen - auch jene, die mit der Kirche eigentlich nichts am Hut hätten. Die Andachten finden z.B. „an einer Kreuzung mit tödlichen Unfällen; am ehemaligen Konsum, der als Ort der Kommunikation vermisst wird; oder an einer Bushaltestelle, an der nur noch selten ein Bus hält und die dafür steht, dass Menschen sich von der gesellschaftlichen Entwicklung abgehängt fühlen“, so Andreas v. Maltzahn.

Zudem machte der Theologe ‚Altäre des unbekannten Gottes‘ aus, obgleich Menschen in unserem Land Gott ganz und gar fremd sei und sie ihn nicht vermissten. „Da ist beispielsweise der ,Altar der ,Liebe‘, der ,Schönheit‘ oder der ‚Altar der Freiheit‘: „Vielen Menschen geht Freiheit über alles. Sie ist ihnen geradezu ‚heilig‘, auch wenn sie das vielleicht nicht in einen religiösen Zusammenhang stellen würden.“ Dennoch habe das Thema der Freiheit eine religiöse Dimension und sei mit dem Thema Verantwortung verbunden. „Wem ist da eigentlich zu antworten? Wer ist das Gegenüber, das uns zur Antwort ruft: Das Leben? Die Geschichte? Gott? Der Dialog am Fuße des ‚Freiheits-Altars‘ ist zumindest offen für eine Dimension, die das Geheimnis der Welt berührt“, so Dr. v. Maltzahn.

Unsere Würde ist gottgeschenkt!

Vor diesem Hintergrund erinnerte der Bischof an Martin Luther, der umgetrieben war von der Frage: „Wie kann ich bestehen – vor Gott, vor seinem Gericht?“ Diese sei hochaktuell, auch wenn sie sich heute vielen in anderer Form stellt: Ein Beispiel seien die beruflichen Leistungsansprüche, die einen mehr und mehr unter Druck setzen, ebenso wie der Erwartungsdruck, unter dem Männer und Frauen in Partnerschaft und Familie stehen.

Die befreiende Antwort auf seine Fragen fand Luther in der Bibel, erinnerte der der Bischof. So entscheidet in Gottes Augen „kein Tun, kein Werk, nicht einmal das Lebens-Werk über den Wert eines Menschen. Seine Würde, der Sinn insgesamt seines Lebens, ist leistungsunabhängig.“ Für Andreas v. Maltzahn ist dies eine hochaktuelle Zusage, die deutlich macht: „Unser Wert als Mensch ist nicht abhängig von Leistung! Unsere Würde ist gottgeschenkt! Wir müssen unser Lebensrecht nicht erst erarbeiten – in Schule und Beruf, Partnerschaft und Familie.“

Es ist eine große Herausforderung, so Bischof v. Maltzahn am Schluss seines Vortrages, „die Frage nach Gott wachzuhalten – für Menschen auf der Suche genauso wie für unsere Gesellschaft, die auf das soziale und ethische Potential von Religion nicht verzichten kann“.

Quelle: Bischofskanzlei Schwerin (cme)