15.-28. März 2018Reisetagebuch Südafrika

Vom 22.-28. März 2018 fand in Kapstadt eine deutsch-südafrikanische Begegnung statt. Bischof Motsamai Manong und drei weitere Delegierte der Kap Oranje Diözese, Landesbischof Gerhard Ulrich und drei Delegierte der Nordkirche sowie vier Delegierte aus dem Pommerschen Kirchenkreis beraten über den Stand und die weitere Entwicklung ihrer Partnerbeziehung. Ökumenepastor Matthias Tuve (Greifswald), besuchte bereits vorher mehrere Gemeinden und berichtet im Internettagebuch.


28.03.2018 | Kapstadt/BerlinAbschied - Stop and Go

Von Matthias Tuve

 

Stop and Go. So nennt man stockenden Verkehr. In Kapstadt kann man ihn jederzeit, angesagt oder unverhofft, erleben. Das kann nerven. Aber: Auch die Pasewalker Kirchenband heißt Stop and Go. Stop steht da für innehalten, nachdenken, auftanken, vergewissern. Und Go – also gehen – das tut man, wenn man weiß, wohin. Gestärkt. Neu orientiert. Ermutigt. Durch den Gottesdienst. Durch die Musik. Durch das gemeinsame Innehalten.
Bei meinem Navi war Go! in diesen Tagen immer die letzte Taste, nachdem alle Daten des nächsten Zieles eingegeben waren. Go! Und Abfahrt! So haben wir uns gut in Kapstadt zurechtgefunden.

Und in der deutsch-südafrikanischen Partnerschaft – wie ist es da?
STOP
Das gemeinsame Anhalten, wechselseitige Wahrnehmen, Anhören, Zu Verstehen suchen hat uns gutgetan. In Zukunft werden wir besser wissen, wer auf der anderen Seite den Bericht, die Mail, die Fragen liest und beantwortet. Das wird uns sehr helfen. Darin sind wir uns alle einig, als wir uns zum letzten Stop treffen - der Auswertung der gemeinsamen Zeit. Die Tagung bekommt ausgezeichnete Noten, allen, die sie vorbereitet haben, wird herzlich gedankt!
GO
Wohin werden die Wege unserer Partnerschaft in Zukunft führen? Es ist zu früh, Konkretes aufzuschreiben. Aber es wird weiter gehen, neu, anders, aber auch in Kontinuität. Diese Konferenz war ein ganz wichtiger Meilenstein. Ich bin auf die Zukunft gespannt.


27.03.2018 | Lavender HillNew World Foundation - "The Lord turned me around"

Von Helga Warnke

Gott hat einen Plan mit meinem Leben, und ich bin gespannt darauf, wie dieser aussieht. Mit diesem Lied begrüßte uns eine der vier Kindergartengruppen in der New World Foundation (NWF) in Lavender Hill, einem Teil der Cape Flats, in den die Menschen während der Apartheidszeiten umgesiedelt wurden. Rivalisierende Banden und Drogenmissbrauch prägen das Leben in diesem Stadtteil. Hier nun bietet die NWF eine Insel – Beratungsmöglichkeiten für die Erwachsenen und für die Kinder ein paar Stunden, in denen sie eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts erleben.

Marius Blümel, schon knapp 10 Jahre hier als Sozialarbeiter tätig, wird von der Nordkirche aus Mitteln des kirchlichen Entwicklungsdienstes finanziert. Seit Beginn des Jahres 2018 ist er zugleich Direktor der NWF.

Als wir ankamen, packten die Kinder gerade ihr Frühstück aus, zum Teil von zu Hause, zum Teil im Zentrum für sie vorbereitet. Die Eltern zahlen einen minimalen Beitrag, abhängig davon, ob sie Arbeit haben. „Aber,“ so erzählte eine Erzieherin, „meistens kümmern sich die Großmütter um die Kinder, weil die Eltern süchtig sind.“  Welch ein Geschenk, in solch einer Situation gesagt zu bekommen: Gott hat einen Plan für dein Leben!

Als besonders beeindruckend empfanden wir die Runde, in der die einzelnen Mitarbeiter*innen von ihren Arbeitsfeldern berichtet haben. In dem Zentrum arbeiten Menschen aus unterschiedlichen Religionen und Konfessionen zusammen um den Kindern eine bessere Zukunft zu eröffnen, dies Ziel verbindet sie.

In der Mitarbeitendenrunde lernten wir den 28jährigen Moegammad Gaaziem kennen. Vor etlichen Jahren schickte seine Schwester den perspektivlosen jungen Mann zur NWF. Er hatte keine Lust, aber sein Computerlehrer ließ nicht locker. „Der hat mir mit so viel Begeisterung immer wieder von excel erzählt, dass ich Feuer gefangen habe!“ sagt Moegammad. Heute beherrscht Moegammad das Computerprogramm und bildet selber Kinder und Jugendliche daran aus. Übrigens: Er ist Moslem, hat sogar Islam studiert, um „eine besserer Person zu werden“, wie er es nennt. Im vor allem christlich geprägten Zentrum fühlt er sich trotzdem am richtigen Platz.

Kim, Sozialarbeiterin, gehört der hinduistischen Religion an. Sie berichtete, dass in Lavender Hill die Bevölkerung sehr gemischt ist. Neben vollkommen friedlichen Familien wohnen die gefährlichsten Leute. Und es gibt auch einige Wenige, die zu Wohlstand gekommen sind, ihre Aufgänge und Wohnungen sanieren lassen und trotzdem nicht wegziehen. Verrückt? Nein. So bleiben sie bei ihren Familien und Freunden - und sparen die hohen Mieten anderer Stadtteile.  

Nachmittags kommen die Jugendlichen, die unter anderem auch von zwei Freiwilligen des ZMÖ betreut werden. Engagiert erzählten die beiden von dem strukturierten Wochenablauf mit Kunstangeboten, Vorlesen und Lesen, Spielen (z.B. Schach) und auch Gruppenangeboten, in denen -  nach Mädchen und Jungen getrennt - diese in einem geschützten Rahmen über ihre Probleme und Hoffnungen sprechen können, wo ihr Selbstbewusstsein gestärkt wird und sie auch über Gefahren wie Menschenhandel aufgeklärt werden. Die Leiterin berichtete, dass sie das Ohr immer sehr offen hat, wenn Kinder unregelmäßig zur Schule gehen. Dann interveniert sie sofort und spricht mit den Jugendlichen. Auf diese Art hat sie schon einige Kinder davor bewahrt, dass sie in die Banden, die jeweils ein bestimmtes Gebiet beherrschen, abrutschen.

Der Stadtteil ist aufgeteilt in verschiedene Regionen, für die jeweils eine Mitarbeitende verantwortlich ist. Auf die Frage, ob sie keine Angst habe, mit Bandenmitgliedern zu reden, sagte eine von ihnen: „Wenn ich sie respektiere, respektieren sie mich“.  Diese Frau ist sogar bei den härtesten Gangstern anerkannt. Sie hat selbst Jahre im Gefängnis zugebracht. Sie kennt die Szene. Als sie aber eines Tages durch einen Drogenfund in ihrer Wohnung entdeckte, dass ihre Tochter auf die gleiche Bahn geriet, gab es ihr einen Stich ins Herz. „The Lord turned me around.“ (Der Herr hat mich umgedreht, von einem Augenblick auf den Anderen), sagte sie über diesen Moment. Heute arbeitet sie als Streetworkerin für die NWF. Mit 46 Jahren hat sie ihre ersten Buchstaben geschrieben, die „Level“ 1-4  der Schulausbildung für Erwachsene besucht – ihr Traum wäre es, als ausgebildete Sozialarbeiterin in dem Projekt mitarbeiten zu können. Am Ende fanden sich alle auf einem gemeinsamen Foto zusammen, ein wirklich starkes Team!


26.03.2018 | KapstadtThemba Labantu, Universität Western Cape und Bischofsbesuche

Von Tim Voß

Der heutige Tag hatte drei sehr unterschiedliche Programmpunkte. Am Morgen haben wir uns auf den Weg in eines der Townships Kapstadts gemacht. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Gewalt auch. Um Menschen Hilfe und Hoffnung zu geben, ist mitten im Township eine diakonische Einrichtung aufgebaut worden, die unter anderem auch von unserer Partnerkirche, der ELCSA COD, getragen wird – I themba Labantu. Zu Deutsch: Die Hoffnung des Volkes. In Kindergarten und Grundschule bekommen Kinder aus dem Township eine Grundlage für ihr Leben. Wir schauten uns etliche Arbeiten der Kinder an – aus dem Kunstunterricht und zum Thema ‚Wasser sparen‘. Beeindruckend war dabei für uns insbesondere, wie liebevoll die Räumlichkeiten angelegt sind: nicht ‚quadratisch, praktisch, gut‘, sondern als Räume, in denen Kinder sich gern aufhalten und lernen mögen und denen man abspürt, dass Kinder hier wertgeschätzt werden. Über eine Suppenküche werden 450 Kinder aus der Umgebung versorgt.

Für die ‚Großen‘ gibt es u.a. eine Autowerkstatt und eine Solarfabrikation, in denen man eine Berufsausbildung bekommen kann. Töpferwerkstatt und andere Projekte schaffen Einkommen. Im Drama-Studio arbeitet ein bekannter südafrikanischer Künstler mit den Kindern und Jugendlichen. Beeindruckt stehen wir vor einem neuen Projekt: Ein richtiger Fußballplatz wird gebaut! Das Projekt hat sogar eine Mädchenmannschaft. Direktor von i Themba Labantu ist der Berliner Missionar Otto Kohlstock, der uns alles zeigte.

Von I themba Labantu ging es zu einem Besuch in die Theologische Fakultät der Universität Western Cape. Auf dem Innenhof begrüßt uns die preisgekrönte Skulptur des Künstlers David Hlogwane: „Ende und Anfang“ Sie zeigt eine Mutter (Reinigungskraft, mit Besen in der Hand) und einen jungen Mann mit Doktorhut – ihren Sohn. Beide zeigen ihre unbändige Freude darüber, dass dieser Schritt in ein neues Leben gelungen ist. Was Ziel des Besuchs in der Fakultät sein sollte, war uns dagegen nicht so ganz klar. Aber der Partnerkirche war es wichtig. In einem Gespräch mit zwei Dozenten der Uni wurde deutlich, dass die Partnerkirche nach einem Ort sucht, an dem ihre künftigen Pastorinnen und Pastoren ihr Theologiestudium absolvieren können. Bischof Manong und seine Mitarbeiter ließen sich daher Programm und Kosten erläutern. Ob sie sich erhoffen, dass die deutschen Partner sich für eine Unterstützung erwärmen können? Anders als der beeindruckende Besuch am Morgen ließ uns dieser Ausflug etwas ratlos zurück.

Die Cape Orange Diocese arbeitet mit der Moravian Church und der Ethiopian Episcopal Church zusammen, daher war es Bischof Manong wichtig, dass wir die Bischöfe dieser beiden Kirchen ebenfalls kennenlernen. So waren wir zur Kaffeezeit zu einem einstündigen Gespräch mit den Leitern dieser Kirchen verabredet. Bedingt durch Verkehrsstau, in dem Brian Abrahams, der Bischof der Moravian Church feststeckte, mussten wir das Gespräch mit Dallis Ntlokwana, dem Bischof der Ethiopian Episcopal Church allein beginnen. Ntlokawana hat uns seine Kirche vorgestellt und wir haben gelernt, dass der Name nicht auf einen Ursprung aus dem Land Äthiopien hinweist; ‚Ethiopian‘ ist hier als traditioneller Name für Subsahara-Afrika zu verstehen. Der Name weist darauf hin, dass diese Kirche nicht von Missionaren von außerhalb gegründet worden ist, sondern innerhalb des Landes entstanden ist, wobei sie lange eng an die Anglikanische Kirche angelehnt war.

Auch Bischof Abrahams von der Moravian Church stellte seine Kirche vor, die sich als Teil der Lutherischen Weltgemeinschaft sieht und für die daher eine enge Beziehung zur ELCSA COD selbstverständlich ist. Seine Kirche hat sich zum Ziel gesetzt, „self supporting“ zu werden – also finanziell selbständig. Viele ihrer Pastoren arbeiten ehrenamtlich. Eine starke Bläserarbeit mit vielen Posaunenchören zeichnet sie aus.


25.03.2018 | BellvilleGottesdienst in St. Johannes Bellville

Von Dr. Gerrit Marx

„Der König kommt und alle sind aufgeregt und aus dem Häuschen – alle, bis auf die Deutschen, die können das so nicht zeigen“
Sonntag. Der Tag des Herrn. Wir feiern Gottesdienst. Nicht irgendwo. Wir feiern Gottesdienst in der Johannes Gemeinde in Bellville in Kapstadt. Wieder einmal werden uns die Dimensionen in Südafrika, hier innerhalb dieser Stadt bewusst. Es ist nicht einfach um die Ecke, wir müssen eine 40- minütige Anfahrt einplanen. Das daher noch frühere Frühstück verläuft etwas ruhiger, was zum einen an der Uhrzeit, ganz wesentlich aber auch an den vielen Eindrücken der Gespräche der letzten Tage liegt.

Schon vor der Johanneskirche mit ihren gebrannten Backsteinen und einem stilisierten Glockenturm werden wir von Gemeindegliedern begrüßt. Viele bekannte Gesichter tauchen auf. Es ist mein inzwischen siebter Besuch in der Gemeinde und jedes Mal scheint es eben noch herzlicher zu sein. Es ist schön, Freunde wieder zu sehen.

Es ist Palmsonntag. So ziehen wir zunächst in einer Prozession aus Gottesdiensthelfern, Kirchenältesten, Gästen und Gemeinde singend durch die umliegenden Straßen des Wohngebietes. Unter dem vereinzelten Gebell der Wachhunde und den Blicken der Nachbarn ziehen wir durch das Viertel. Eine Prozession die verheißt: Der König kommt!

Es ist der erste Besuch des neuen Bischofs Manong in dieser Gemeinde. Daher beginnt der Gottesdienst auch eher ungewöhnlich, als eine Kirchenälteste zum Bischof gewandt fragt: „Bevor wir mit dem Gottesdienst beginnen, muss ich einfach fragen, wie wir sie anreden sollen: mit Eminenz, Exzellenz, Heiligkeit?“ „Einfach Bischof“ antwortet Motsamai Manong. Damit ist dies geklärt.

Landesbischof Gerhard Ulrich predigt zum Palmsonntagsgeschehen und einem Wort aus Jesaja 50,4-9. „Trotz unserer unterschiedlichen Lebenshintergründe und Lebenssituation sind wir in Christus vereinigt und können gemeinsam Gottesdienst feiern. Das Motto des Lutherischen Weltbundes ‚Salvation – Not for sale, human beings – not for sale, Creation – not for sale‘ (Erlösung – kann man nicht kaufen, Menschen – kann man nicht kaufen, Schöpfung – kann man nicht kaufen) vereint uns. Wir sind zum Bilde Gottes geschaffen, aber nicht Gott. Gott hat uns viel Macht in die Hand gegeben, aber wir sind nicht allmächtig.“

Wer es nicht ohnehin gewohnt ist, dem fällt es gar nicht auf, dass der Gottesdienst fast drei Stunden dauert. Kurzweilig und berührend zugleich feiern wir ihn. Viele kleine Details tragen dazu bei: Das Evangelium wird in einer kleinen Prozession mitten in die Gemeinde getragen und hier gelesen. Junge Mädchen in farbenfrohen Gewändern gestalten den Gottesdienst als Helferinnen mit. Die Kinder, selbst die kleinsten, kommen zum Abendmahl. Helga Warnke hält ein fröhliches Grußwort der Nordkirche und verteilt von Löcknitzer Schulkindern gebastelte Palmen an die Kinder und Jugendlichen der Gemeinde. Die junge Ortspastorin Allison Harwood beeindruckt durch ihre Klarheit, Souveränität und heitere Gelassenheit. Ein fantastisches Saxophon begleitet die Lieder – und eine manchmal etwas laute Gitarre. Und ein paar engagierte Frauen („Die sind aus der Kalahari zugezogen!“) bringen richtig Schwung in die Lieder. Der große Gottesdienstraum ist fast voll. Erst das ein oder andere Magenknurren lässt im wahrsten Sinne aufhorchen. Doch auch hier ist natürlich vorgesorgt: Die Gemeinde entlässt uns nicht ohne ein reichhaltiges Mahl und schon gar nicht ohne eine Vielzahl toller Eindrücke. Natürlich erst nach der Fotosession! Dankie liewe Gemeende!  


24.03.2018 | Schönstatt Retreat Centre Kapkirche und neue Hoffnung

Von Helga Warnke

„Meine Freunde, habt ihr keine Fische?“ - „Nein.“  
Wir haben leere Hände.
Und dann: der warme gebratene Fisch auf dem Feuer nach einer langen hungrigen Nacht und ein übervolles Netz, das dennoch nicht reißt.
Plötzliche, unerwartete Fülle und der auferstandene Jesus, den sie kaum erkennen.
Johannes 21

Wie kann in Gemeinden, die keine Hoffnung mehr haben, die von sich sagen, dass sie tot sind, neue Hoffnung und neue Freude wachsen, wie können sie eine neue Fülle erfahren? Dieser Frage ging Bischof Gilbert Filter nach, als er nach einem historischen Überblick über die Entstehung der ELCSA-Kapkirche die heutigen Herausforderungen beschrieb. Seine Kirche arbeitet im gleichen Gebiet wie die Kap Oranje Diözese. Zu ihr gehören 4.000 Mitglieder, zumeist die Nachfahren deutscher Migranten, die in 21 Gemeinden von 11 Pastorinnen und Pastoren betreut werden. Wie diese Kirche entstand lesen Sie hier

Immer wieder standen die Gemeinden der Kapkirche vor der Herausforderung, in der Fremde zu überleben und eine Heimat fern der Heimat zu finden. So bauten sie Kirchen und Schulen, in denen sie ihre Sprache, ihre Kultur und ihre kirchliche Tradition bewahrten. Es waren verstreute, unabhängige Gemeinden, die für sich selbst sorgen mussten und dadurch keinen Blick nach außen hatten. Dieses Kreisen um sich selbst führte dazu, dass manche Gemeinden starben.
Im Jahr 2014 startete ein Projekt mit der Frage: „Wer sind wir eigentlich?“ In Zusammenarbeit mit der Universität Stellenbosch wurden die Gemeinden befragt, wie sie sich selbst sehen. „Keine Hoffnung mehr, wir sind tot.“  Das war die erschreckende Antwort von 80% der Gemeinden.
 „Meine Freunde, habt ihr keine Fische?“  -  „Nein.“
Wir haben leere Hände.
In dieser Situation begannen einige Gemeinden genauer hinzuhören. Wo möchte Gott uns hinführen? Geht es doch weiter? Und so wurde zusammen mit dem St.Paul´s Lutheran Seminary aus Großbritannien ein Prozess gestartet, in dem sich die Gemeinden ein Jahr lang mit demselben Bibeltext auseinander setzen („dwelling in the Word“ – im Wort Gottes verbleiben/wohnen). Weitere Elemente dieses Prozesses sind: das Umfeld der Gemeinde wahrzunehmen („dwelling in the world“ – in der Welt zu Hause sein), geistliches Urteilsvermögen herausbilden, einen Schwerpunkt legen auf eine Bewegung nach außen, das Reich Gottes voranbringen und im Erleben von Gastfreundschaft ein Interesse am Leben des Anderen entwickeln.
Und dann: der warme gebratene Fisch auf dem Feuer nach einer langen hungrigen Nacht und ein übervolles Netz, das dennoch nicht reißt.
Plötzliche, unerwartete Fülle.
Kleine zaghafte Pflänzchen, die sich hervorwagen:
Eine Frau zeichnet das Bild ihrer Kirche mit offenen Türen – und am folgenden Sonntag kommt ein neuer Besucher, der in der Nähe der Kirche wohnt, aber bisher nicht kam, weil er eine andere Hautfarbe hat. Und die offenen Türen bewähren sich, er wird freundlich aufgenommen.
In einer anderen Gemeinde werden Gottesdienste nun auf Englisch angeboten und wo vorher nur ein paar Gottesdienstbesucher waren, kommen nun Migranten, die aus ganz Afrika stammen, und treffen sich zum gemeinsamen Gottesdienst.
Zusammen mit anderen christlichen Kirchen und Vertretern anderer Religionen steht die Kirche auf gegen Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung.
Eine kleine Änderung des Blickwinkels kann Großes bewirken (auch wenn dieses Große meistens klein anfängt).
Wo ist Jesus schon längst am Werk, ohne dass wir ihn gleich erkennen?
Als Christen brauchen wir keine Grenzen und Mauern zu ziehen, sondern können uns im Dialog des eigenen Standpunktes bewusst sein und gerade dann die Andersartigkeit des Gegenübers als Bereicherung erfahren. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass wir uns selbst verlieren, wenn wir den/dem Fremden begegnen. Vielleicht kann die Kirche an dieser Stelle Vorreiter sein. Diese Meinungen wurden in der anschließenden Diskussion vertreten.

Wie soll es nun weitergehen mit der Partnerschaft zwischen der COD und der Nordkirche? Es hatten sich vor allem zwei Themenbereiche herauskristallisiert: dass es regelmäßige Arbeitstreffen geben soll, in denen die Partnerschaft reflektiert und evaluiert werden soll, so dass die Dinge weitergeführt werden, die die Partnerschaft voranbringen und Überflüssiges weggelassen wird. Auch wird ein theologischer Diskurs auf Augenhöhe gewünscht, in dem beide Seiten gehört werden. In diesem Zusammenhang erinnerte Matthias Tuve an eine Konferenz der COD mit der damaligen Pommerschen Kirche mit dem Thema  „Theologie und Heilung“, die 2006/7 in Kapstadt und Ratzeburg stattfand.

Habt keine Angst! In sieben Schritten wurden wir von Pastor Tim Voß an den Predigttext des Sonntags herangeführt (Jesaja 50, 4-9). Diese Methode des Bibelteilens ist in Südafrika entwickelt worden. Sie führt zu einem sehr persönlichen Zugang zu dem Bibelwort und bereichert durch das Hören auf Gott und auf die Anderen in der Gruppe.

Welches ist der schönste Hintergrund für ein Gruppenfoto? Ein Baum in der warmen Sonne? Unter dem Verandadach, weil endlich der ersehnte Regen fällt? Ein altes Weingut, in dem wir in die Geheimnisse des südafrikanischen Weines eingeweiht werden? Entscheiden Sie selbst!


23. März | Schönstatt Retreat Centre Nordkirche und Kap Oranje Diözese stellen sich vor

Von Jörn Möller

Wer sitzt hier in der Runde? Das war heute das erste Thema bei der Begegnung zwischen der Nordkirche und der Kap Oranje Diözese. Schon eine Vorstellungsrunde machte große Unterschiede zwischen den Teilnehmenden deutlich: Ein ehemaliger Schauspieler stand neben PastorInnen, einem Physiker und einer Postbotin. Die Altersspanne lag zwischen Mitte 30 und Mitte 60 und die Erwartungen zwischen Kennenlernen und neuen gemeinsamen Erfahrungen bis hin zu einer Zukunftsvision für die norddeutsch-südafrikanische Partnerschaft.

In zwei ausführlichen Vorträgen stellten dann Bischof Manong und Landesbischof Ulrich ihre jeweiligen Kirchen vor. In großer Offenheit beschrieben beide Bischöfe ihre jeweiligen Kirchen mit ihrem geschichtlichen Hintergrund, wichtigen Traditionen, Chancen und schwierigen Problemen. Schon die Geografie stellt Kap Oranje Diözese vor große Herausforderungen. Sie besteht aus sechs Kirchenkreisen mit jeweils mehreren Gemeinden und Pfarrstellen, die auf die gesamte westliche Hälfte Südafrikas verteilt sind und zum Teil hunderte von Kilometern voneinander entfernt sind. Enorme Reisekosten und eine eingeschränkte direkte Face-to-Face-Kommunikation sind eine natürliche Folge davon. Ein weiteres Problem stellt die schwierige finanzielle Lage der Kirche dar. Nur ein Teil der Pastorinnen und Pastoren wird bezahlt und arbeitet in Vollzeit. Andere gehen als Self-supporting-Pastors neben ihrer Tätigkeit in der Gemeinde einem normalen Broterwerb nach. Hinzu kommt eine Konkurrenz zwischen den Gemeinden, die Pastoren unterschiedlich gut bezahlen können. Verschärft wird die finanzielle Lage für die Gesamtkirche darüber hinaus noch durch Konflikte und die daraus z. T. resultierende Weigerung einiger Gemeinden, ihren vorgesehenen Beitrag an die Gesamtkirche zu leisten.

Dank der Kirchensteuern ist die finanzielle Lage der Nordkirche auf den ersten Blick natürlich deutlich besser, auf der anderen Seite wachsen mit den Möglichkeiten auch die Begehrlichkeiten. Landesbischof Gerhard Ulrich skizzierte daher sehr ausführlich die Veränderungen in der Kirchenmitgliedschaft und -zugehörigkeit, vor die sich die Nordkirche in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gestellt sieht. Darüber hinaus machte er deutlich, wie schwierig die Personallage in den nächsten Jahren für die Kirche in Deutschland durch die Pensionierungswelle der Baby-Boomer-Generation sein wird und welche Maßnahmen die Nordkirche dagegen ergreift. Gesellschaftlich sieht sich die Nordkirche weniger in einer Konkurrenz zu anderen Kirchen stehen, wie es in Südafrika der Fall ist, sondern unter dem Einfluss des starken Säkularismus in Deutschland.

Eine Arbeit in Gruppen am Nachmittag befasste sich mit der Bedeutung, die die Partnerkirchenarbeit für die Kirchen hat sowie den Herausforderungen und Visionen, die die Teilnehmenden darin sehen. Es war überraschend, wie ähnlich die Schwerpunkte der drei Gruppen waren. Allen war es wichtig, dass es regelmäßige Partnerschaftstreffen mit einem klaren Rhythmus gibt, bei denen auch theologische Themen intensiv diskutiert werden. Dazu wurde es von vielen Teilnehmenden als wichtig erachtet, dass Strukturen aufgebaut werden, die auch finanzielle Schwierigkeiten und Wechsel bei den für die Partnerschaft tragenden Personen überstehen. Schließlich fand eine Zusammenfassung der Haltung Zustimmung, die für eine langjährige und vertrauensvolle Partnerschaft wichtig ist: „Bleibe demütig, offen und neugierig!“


22. März | Schönstatt Retreat Centre Pater Joseph Kentenich

An dem gütig lächelnden Mann mit dem gewaltigen und bereits ergrauten Vollbart kommt man hier einfach nicht vorbei. Er begegnet als Statue im Park und ein Gedenkstein weist auf ihn hin. Er grüßt von einem Aufsteller hinter der Eingangstür unsere Tagungszentrums „Schoenstatt Retreat and Conference Centre“ und sein Porträt hängt sogar über meinem Bett. Wikipedia schreibt, dass er bei einer Umfrage nach dem besten Deutschen im Jahr 2003 auf Platz 17 gelandet ist. Ich gebe zu: Ich lerne ihn erst hier in Kapstadt kennen: Pater Joseph Kentenich, *1885 bei Köln, +1965 in Schönstatt. Was macht ihn so bekannt?

Im Oktober 1914, während Millionen junge Männer sich gegenseitig bekämpfen und töten in den Jahren des 1. Weltkriegs, hält der katholische Pater und Spiritual in der kleinen Michaelskapelle in Schönstatt am Rhein für seine Studenten einen Vortrag, der ihre Herzen erreicht. Sie verpflichten sich, in ihrem Alltag das Heilige zu leben. Stark und frei wollen sie sein vom Hass und der Gewalt ihrer Zeit – und gebunden zugleich. Denn ihr Leben widmen sie Maria, der Mutter Jesu. Sie nennen es den Bund der Liebe. Bauen wollen sie an der Kultur der Liebe und des Lebens. Daraus wächst eine Bewegung, die über die Kontinente geht. Bis nach Kapstadt! Auch hier steht solch eine nachgebaute Schönstatt-Kapelle.

Kentenich war ein mutiger Mann. Als die Nazis, die er rigoros ablehnt, in Deutschland die Macht ergriffen haben, sagt er öffentlich: „Ich finde keine Stelle am Nationalsozialismus, wo das Taufwasser auftreffen könnte.“ Von 1941 bis 1945 überlebt er vier Jahre der Gefangenschaft im KZ Dachau. Selbst im KZ gründet er zwei Schönstatt-Gemeinschaften! Ich bekomme Lust, mehr von ihm zu lesen.

In unserem Tagungszentrum leben auch Marienschwestern. Heute haben wir ihren Gesang aus der Kapelle gehört, bevor wir dann unsere Andacht gehalten haben. In weiße Gewänder gekleidet, begegnen sie uns im Park. Überhaupt der Park! Da stehen riesige Bäume, Eichen, Pinien, Kiefern, Palmen. Eichhörnchen springen vorbei, etliche Laufenten wandern durch Die Büsche und Blumen auf der Suche nach etwas Essbarem. Zwei davon haben sich heute Nachmittag angeschrien. Aber sonst ist es sehr still, eine große Ruhe für Seele und Gemüt strahlt die ganze Anlage aus. Auch neben meinem Zimmer hängt ein Schild: „Silence please“. Die Bitte um Stille.

Und so kommt die erste Nacht, in der alle Tagungsteilnehmer in Schönstatt angekommen sind, die letzten eben kurz vor zehn. Gott sei Dank! Nun ist Zeit, schlafen zu gehen.


21. März | Athlone und Grassy Park Zwei lange Besuche

Heute ist Zeit für zwei lange Besuche. Bei Dean Geert de Vries Bock und seiner Familie in Athlone bin ich fast vier Stunden. Er erzählt von einem Problem, das zu einer Idee geführt hat. Kapstadt ist eine Hochburg der Kriminalität. Das weiß jeder gebildete Zeitgenosse. Was aber tun, damit die Gangster nicht ganz die Macht übernehmen? Bocks Antwort: Alle anständigen Menschen müssen sich zusammentun. „Wir als lutherische Christen können das nicht allein. Wir brauchen die Neuapostolische Kirche, die Adventisten – und die Muslime brauchen wir auch!“ Vor Jahren schon hat Bock Fußballturniere mitorganisiert. Da gelten für Lutheraner und Muslime die gleichen Regeln, und den Kids hat es Spaß gemacht. Unter der Kriminalität leiden ebenfalls alle gleichermaßen. Bock will bunt gemischte Straßenkomitees gründen, die gemeinsame Aktionen planen, zeigen, dass die Menschen zusammenstehen. Das lutherische Jugendzentrum Athlone, gleich neben seinem Pfarrhaus, wird auch für muslimische Feiern gern gemietet. Auch gemeinsame Veranstaltungen gab es schon. Das möchte er gern ausbauen.

Jetzt kommt seine Tochter Megern ins Zimmer. Sie studiert im ersten Semester Touristik auf einer Kapstädter Hochschule. Von April bis Dezember 2017 arbeitete sie nach ihrem Abitur als ökumenische Freiwillige in Berlin-Kaulsdorf. Organisiert hat diese Zeit das Berliner Missionswerk. Der kirchliche Kindergarten und die Junge Gemeinde waren ihre Arbeitsbereiche. Vieles konnte sie frei gestalten. Eine prägende Zeit für sie.  Der Abschied war schwer. „Die Kinder hatten sich so an mich gewöhnt – und ich mich an sie! Von ihnen habe ich Deutsch gelernt!“ Und das spricht sie sehr gut! Megern holt ein Liederbuch hervor, das ihr zum Abschied geschenkt wurde. „Kannst Du mir dieses Lied vorsingen?“, fragt sie. Lobe den Herrn meine Seele, und seinen heiligen Namen… - ein Kanon, den jeder Insider in Deutschland kennt. Wie gut, dass ich gerade noch von einem Kapstädter Freund die Konferenzgitarre abgeholt habe!  Nach den ersten Tönen singt sie mit, und wie! Über diese Stimme würde sich jeder Chor freuen.

Szenenwechsel. Grassy Park. Ferdinand „Ferdi“ Groenewald und seine Frau Rheena freuen sich, dass ich wieder einmal an ihrem Tisch sitze. Ferdi war Lehrer, nach seiner Pensionierung ist er ehrenamtlicher Pastor geworden – schon vor vielen Jahren. Drahtig wie er ist, hilft er heute noch aus. Das Jugendzentrum Athlone, das viele Übernachtungsplätze für Reisegruppen mit Vollpension anbietet, managt er immer noch und arbeitet sogar Tagesplanungen für die Besucher aus, besorgt Busse… „Nur noch dieses Jahr!“ erklärt er mir. Seine Frau lacht ihn aus. „Das sagst Du jedes Jahr!“ Im Frühjahr 2002 war Ferdi Gast des Neubrandenburger Kirchentages, seither gab es viele Begegnungen. Er erzählt mir vom Brunnen hinter seinem kleinen Haus. Der wurde schon vor 35 Jahren gebohrt und versorgt das Haus teilweise mit seinem Wasser.  Trotzdem hat Rheena viele 10-Literflaschen mit Trinkwasser gekauft, für alle Fälle. Dieses Motiv kann man sich als Fotograf nicht entgehen lassen!

Afrikareferentin Heike Spiegelberg und der Bereichsleiter für ökumenische Beziehungen Jörn Möller, beide aus dem Zentrum für Mission und Ökumene (ZMÖ) Hamburg, sind mittlerweile ebenfalls in unserem Tagungszentrum in Constantia angekommen. Wir gehen unsere Planung der kommenden Tage noch einmal durch. Morgen holen wir die anderen vom Flughafen ab. Sie kommen aus Hamburg, Torgelow, Löcknitz, Kimberley, Hansühn (wissen Sie, wo das ist?), East London, Schwerin. Und aus Tokyo! Da hat Gerrit Marx gerade ein Bläserprojekt gestaltet. Hoffentlich kommen alle gut und einigermaßen pünktlich an.     


20. März | Route 62 und Worcester "Die Leute hören nicht mehr auf den Pastor“

Heute geht es 435 km auf der legendären Route 62 entlang, einer der schönsten südafrikanischen Straßen, von Oudtshoorn nach Kapstadt. Die Landschaft ist atemberaubend und faszinierend, gewaltige Berge, oft am Horizont, aber manchmal gleich nebenan, wenn wieder ein Pass zu überqueren ist. Tiefe Täler. Spiel von Schatten und Licht. Immer wieder halte ich an, um zu fotografieren. Vor Ladismith steht ein riesiges Schild: „Spaar Water“. Unwillkürlich schaue ich während der Fahrt zu den kleinen Stauseen, die manchmal dicht an der Straße liegen. Einige sind ausgetrocknet, andere bergen noch ein wenig kostbares Nass. Das sieht gar nicht gut aus. Manchmal sehe ich verkohlte Büsche, Bäume, Pflanzen. Im Western Cape hat es viele Brände gegeben aufgrund der großen Trockenheit.

In Montagu plötzlich eine Straßensperre. Roadwork – Straßenarbeiten. Erst 13.00 Uhr wird die Fahrt wieder freigegeben. Zum Glück gibt es gleich daneben „Die Kloof Padstal Route 62 Farmstall & Restaurant“ - eine Gaststätte mit einem gewaltigen Namen, schönen Garten, alten Bäumen, sehr gutem Essen. Nachdem anderthalb Stunden später der Gegenverkehr sich über die Fahrbahn gewälzt hat, fünfzehn Minuten lang, dürfen wir auch endlich starten. Aber nur für kurze Zeit. Dann stehen wir fast eine halbe Stunde. Die Straßenarbeiterin im roten Arbeitsanzug mit der Fahne in der Hand muss den ganzen Tag dort stehen in der Hitze. Wie sie sich wohl fühlt, wenn sie wütende, gleichgültige, müde, neugierige Menschen mit ihrer Fahne weiterwinkt? Ob es ihr Freude macht oder sich wenigstens lohnt? - Auf den letzten Kilometern vor Worcester wird es immer grüner. Obstplantagen, Weinberge. Erntekolonnen. Der Herbst hat begonnen. Erntezeit – trotz aller Trockenheit.

In Worcester wartet Darryl Abrahams an der Tankstelle seit zwei Stunden auf mich. Im Sommer 2016 war er einen Monat mit dem Programm „mission to the north“ in der Nordkirche unterwegs, am Ende dieser Zeit habe ich mit ihm seine ehemalige Partnergemeinde Lankwitz in Berlin besucht. Jetzt freut er sich, mich wiederzusehen.

Gut gelaunt erzählt der Pastor beim Kaffee: „Zwei Dinge haben die Missionare nicht gewusst, als sie die vielen Kirchen hier gebaut haben. Erstens: Dass hundert Jahre später die jungen Leute aus Worcester, Laingsburg und überall in die Stadt gehen, nach Kapstadt und noch weiter, immer der Arbeit hinterher. Und zweitens: Dass man hundert Jahre später die Kirchen sichern musss, damit nicht eingebrochen wird!“ Wie hätten sie das auch wissen sollen?

Seine Kirche in Worcester hat trotzdem noch keinen Stacheldraht auf dem Zaun. Dafür aber im Haus schräg gegenüber eine Kirchenälteste, die so richtig auf Zack ist. Jenny Coert ist in ihrem Elternhaus geboren und geblieben. Ihr Leben lang hat sie bis zur Rente bei der Bank gearbeitet, aber ihr eigentlicher Schatz war und ist ihre Kirchengemeinde. Jenny verlor als kleines Kind ihre Mutter. Eine Frau von der Womens League der Kirchengemeinde, dem Frauen-Gebetsbund, kam oft vorbei, um nach dem Rechten zu sehen und der Familie zu helfen. So wuchs Jenny in die Kirchengemeinde hinein. Seit 1984 ist sie ununterbrochen Kirchenälteste, vor einer Woche wurde sie wiedergewählt. Und wenn jemand in die Kirche einbrechen will, ob bei Tage oder in der Nacht, dann ist sie da. Die Kirche sieht sehr gepflegt aus, sogar frische Blumen entdecke ich. „Was hat sich in diesen vielen Jahren in der Kirche verändert?“ frage ich sie. Sie sieht mich an, und dann sagt sie: „Die Leute hören nicht mehr auf den Pastor.“ – „Aber Sie haben mir doch gerade erzählt, wie oft die Kirche voll ist zum Gottesdienst!“ frage ich nach. „Ja, stimmt!“ antwortet sie. „Sie sind da. Aber sie hören nicht auf ihn.“ Dabei bleibt es. Mehr lässt sie sich nicht entlocken. Darryl lächelt. Was er jetzt wohl denkt?


19. März | Oudtshoorn Lebendige Jugendarbeit

Pastor Wolf von Kilian hat fast sein ganzes Berufsleben in Südafrika zugebracht. Als Vikar der Herrmannsburger Mission kam er nach Bloemfontein, lernte dort seine Frau kennen, war Pastor in Kraaifontein, Paarl, Athlone und Eureka, beides Pfarrstellen in Kapstadt. Und nun, die letzten drei Jahre bis zur Pension, wirkt er in Oudtshoorn, mit den Außenstationen Dysseldorp und Calitzdorp.

In der Kirche von Dysseldorp (Disteldorf) begrüßen uns fröhliche Kinderstimmen. Tagsüber ist hier der lutherische Kindergarten. Der große Raum wird durch die Stühle in mehrere kleine Räume unterteilt, damit alle 52 Kinder zwischen anderthalb und fünf Jahren zu ihrem Recht kommen und auch mal in kleinerer Gruppe ihr Programm haben können. Der Kindergarten wurde 2012 eröffnet, erzählt uns die Leiterin Heidi Booysen. Sie hat vorher als Verkäuferin in Mossel Bay gearbeitet, aber dann konnte sie eine Ausbildung zur Erzieherin absolvieren. Mit drei weiteren Erzieherinnen und einer Köchin sorgt sie für die Kinder. Einen großen Teil der Kosten trägt der Staat. Viele Eltern der Kinder sind arbeitslos und können keine Kindergartenbeiträge zahlen. Die aber Arbeit gefunden haben, sind weit weg, in Kapstadt zum Beispiel, und kommen alle zwei Wochen oder gar seltener nach Hause. Die Kinder wachsen bei Großeltern, Onkel, Tanten auf. Gut, dass sie auch hier in der Kirche eine Heimat haben!

Heidi Booysen ist nicht nur tagsüber in der Kirche. Jeden Mittwoch trifft sich ein ökumenischer Gebetskreis, jede Woche in einer anderen der vielen Kirchen im Zentrum des Ortes. Fast 50 Frauen und Männer. Eine Stunde lang singen und beten sie miteinander – Lutheranerinnen, Reformierte, Unierte, Kongregationalisten… Toll! Und dann gibt es noch den Bibelabend der eigenen Gemeinde. Und am Sonntag den Gottesdienst. Immer wieder müssen die Stühle umgestellt werden.

In der Küche kocht das Mittagessen für die Kinder in drei großen Töpfen auf einem viel zu kleinen und altersschwachen Herd. Gerade ist ein Fördermittelantrag dafür abgelehnt worden. Wie gut, dass wir dafür noch Projektmittel einwerben können, denke ich. Hier ist es mit Händen zu greifen, wie wichtig das ist.

Ein Ausflug in die Berge bei Calitzdorp. Wieder eine atemberaubende Piste am Abhang entlang. Diesmal fahre ich selbst. Langsam macht das sogar Spaß! Unterwegs halten wir oberhalb des Calitzdorper Stausees an. Der Wasserstand ist extrem niedrig. 6.000 Menschen brauchen dieses Wasser für ihr tägliches Leben. Hoffentlich fällt der Regen in diesem Jahr endlich wieder kräftig aus.

Am Abend sehen wir in Oudtshoorn Kurt Llewayden Jacobs wieder. Im September 2017 war er mit seiner Trompete zum Kirchentag in Greifswald dabei. Und jetzt lernen wir seinen Posaunenchor kennen – die „Lutherische Jugendbrigade Oudtshoorn“. 20 Kinder und Jugendliche mit rotem Schlips und weißem Hemd marschieren die Straße auf und ab und strapazieren Pauken und Blech, dass es nur so eine Art hat. Sie treten auf bei Beerdigungen, bei Volksfesten, bei Feiern jeder Art und natürlich in der Kirche. Es ist eine Freude, diese begeisterten, jungen Gesichter zu sehen, die leuchtenden Augen. Wie stolz sie zeigen, was sie können! Und es klingt richtig gut! Ich habe ein Euphonium aus Pommern mitgebracht, neugierig und eifrig packen die Kinder es aus, und Kurt darf ihm die ersten Töne entlocken.

Als die Musikanten gegangen sind, schließt sich ein Gespräch mit den Kirchenältesten an. Wie können wir die Partnerschaft leben? Das fragen wir uns. Manche Ideen werden aufgeworfen. Und immer wieder fällt das Wort Jugendaustausch. Kein Wunder – bei so einer lebendigen Jugendarbeit!


17. und 18. März | Mossel Bay "Lobe Gott für die Stürme Deines Lebens!“

Vor der lutherischen Kirche von Mossel Bay zücke ich den Fotoapparat. Sie liegt auch zu schön – im Hintergrund die weite Muschelbucht des indischen Ozeans. An der Kirche ein Bild von der Sturmstillung Jesu. „Lobe Gott für die Stürme Deines Lebens!“ steht darunter. Ein Spruch in der Pforte des Rathauses Riversdale, gestern entdeckt, fällt mir wieder ein: „Aus den dunklen Wolken fällt der meiste Regen. Aus den dunklen Tiefen der Erde holen wir das Gold. Die dunklen Zeiten Deines Lebens bergen die größten Schätze!“

In der Kirche von Mossel Bay treffe ich Pastor Newton Brandt mit den 13 neuen Kirchenältesten seiner Gemeinde. Einen ganzen Tag lang gibt er eine Weiterbildung, was dieses Amt für die Kirchenältesten bedeutet. Sogar ein Kapitel zum Thema Hausbesuch wird besprochen: „Wir kommen als Christen, Besucher von Christus. Wenn wir ein Haus betreten, dann betreten wir das Heiligtum der Familie. Liebe und Respekt sind unsere wichtigsten Begleiter.“

Am nächsten Tag fahren wir in die Filialgemeinde Buis Plaas zum Gottesdienst. Ein verwunschener Ort zwischen Bergen und dem hier fast ausgetrockneten Fluss Gouritz. Pastor Brandt jagt mit dem Landrover die Schotterpiste hinauf und herab – gleich daneben der Abgrund. Als mir die Angst hochkommt, schaue ich nicht mehr aus dem Fenster, sondern konzentriere mich lieber auf das Gespräch mit meiner Nachbarin. Debbie Jeffery ist Lehrerin, arbeitet in der Schulverwaltung, und sie freut sich, endlich wieder mal deutsch sprechen zu können. Als Jugendliche war sie in den 1980er Jahren für ein Jahr Austauschschülerin in Hamburg, später hat sie in Göttingen und Berlin studiert, Weiterbildungen folgten. Jetzt organisiert sie schon seit Jahren mit einem Verein einen fünfwöchigen Schüleraustausch zwischen Südafrika und Deutschland. Begeistert erzählt sie davon, wie dadurch ihre Schüler neue Ideen für ihr Leben bekommen und verwirklichen. Und wie reich ihr eigenes Leben geworden ist durch die Erfahrungen in Deutschland.

Heute aber übersetzt sie meine Predigt in Buis Plaas. Genau 61 Menschen sind beim Gottesdienst dabei – und ein kleiner Hund! Sieben Konfirmandinnen und Konfirmanden nehmen gemeinsam mit sechs Kindern am Abendmahl teil. Das kleinste Kind ist drei Jahre alt. Behutsam streckt es seine kleine Hand aus, um von mir die Hostie zu bekommen.

Der Gesang der Gemeinde ist einfach überwältigend. Auch der Chor singt. Dann findet die Wahl der sechs Kirchenältesten statt. Aus der Zettelbox werden viele Zettel vorgelesen, die aus der Gemeinde in den letzten Tagen eingeworfen wurden. Aber am Ende sind es trotzdem nur vier Namen, die immer wieder fallen. Brandt ist unzufrieden. Sein Gesicht hellt sich auf, als vier weitere Namen aus der Gemeinde zugerufen werden. Ein junger Mann schreibt sie sorgsam an die Tafel neben dem Altar. Dann wird abgestimmt. Alle sollen die zwei Namen aufschreiben, die sie nicht in diesem Amt haben wollen – denn es werden ja nur sechs gebraucht. Ich bin irritiert. Muss das nicht sehr frustrierend sein für die Verlierer, wenn sie sehen: So viele wollen mich nicht haben? Andererseits: Ist es für den Verlierer nicht in jedem Fall traurig? Ich frage Debbie, was sie davon hält. Sie lacht. Und sagt, was Brandt hinterher bestätigt: „Bestimmt will er Zeit sparen! Sechs Ja einzutragen dauert dreimal so lange wie zweimal Nein – und das Ergebnis ist dasselbe!“ Dann wird der Vorsitzende des Gemeindekirchenrates durch die Gemeinde gewählt. Er bekommt fast alle Stimmen, und er heißt Collin Buis. Wie sonst! Vor dem Mittagessen bei einer Familie in Buis Plaas betrachten wir fasziniert eine alte Urkunde. Sie stammt aus dem Dezember 1803 und hält fest, dass dieser Platz der Familie Buis gehört. Sogar während der Apartheidzeit hat diese Urkunde die Familie geschützt. Sie wurde nicht vertrieben.


15. und 16. März | Riversdale Jeder Tropfen zählt - Ankunft in Riversdale

Wasser. Jeder Tropfen zählt. So begrüßt der Flughafen Kapstadt seine ankommenden Gäste. Auf Englisch, Afrikaans - und sogar auf Deutsch. Kein Regen seit langer Zeit, die Staudämme fast leer, die Stadt an der Grenze zum Wassernotstand. Im April könnten die Wasserleitungen abgeschaltet werden. Dann bekommt jeder Einwohner das Wasser rationiert.

In Riversdale, auf meiner ersten Besuchsstation, muss ich daran wieder denken. Wir besuchen dort das Ha!Qua Jugendzentrum. Überall riesige grüne Tonnen an den Dachrinnen. Chris, der Leiter des Projektes, berichtet uns, dass im vergangenen Jahr dadurch 115.000 Liter Regenwasser aufgefangen wurden. Eine unvorstellbare Menge! Ein Teil davon dient der Bewässerung des Gartens. Bohnen, Süßkartoffeln und vieles andere gedeiht hier. Angelegt wurde der Garten durch vier straffällig gewordene Jugendliche. Sie hatten einen Obdachlosen im Rausch getötet. Im Gefängnis erinnerten sie sich an ihren ehemaligen Lehrer Chris. Ein Projekt entstand, das diesen jungen Leuten eine Rückkehr ins Leben ermöglichte. Sie arbeiteten im Garten und in einem internationalen Kunstprojekt, gemeinsam mit Jugendlichen aus der Ukraine und aus Norwegen. Diese Kontakte entstanden durch die Teilnahme von Chris an einer internationalen NGO-Konferenz in Polen.

Jeder Mensch zählt, denke ich. Wie viel Gutes kann werden, wenn nur ein Mensch etwas will und sich dafür einsetzt! Staunend besichtigen wir das Ukrainische Kulturzentrum auf dem Gelände des Jugendzentrums, das im Rahmen dieser Arbeit entstanden ist. Jugendliche aus der Stadt Wosnessensk haben es eingerichtet – und in Wosnessensk gibt es auch schon ein afrikanisches Zentrum! Stockend lese ich die zehn Gebote in russischer Sprache in einer Vitrine. Das hatte ich nicht erwartet! Chris hatte sie mir als das Vaterunser vorgestellt. Nun gut – alles kann er auch nicht wissen.

In Riversdale arbeitet Pastor Jacques Grispe, der zugleich Dean (Superintendent) des Kirchenkreises Moria ist. Im Kirchenkreis gibt es 9 Pfarrstellen. Drei davon sind allerdings nur besetzt, in drei weiteren arbeiten ehrenamtliche Pastoren, zwei Stellen sind unbesetzt, und für Oudtshoorn ist Pastor Wolf von Kilian aus Deutschland zuständig.

Wie funktioniert unter solchen Umständen Gemeindeleben? Ganz einfach: Jede/r Kirchenälteste zählt! Kaum in Riversdale angekommen, sind wir zuerst nach Albertinia in Grispes Filialgemeinde gefahren. Dort werden wir schon in der Kirche erwartet. Es gibt Gespräche, Kaffee und Kuchen, ein Lied, ein Gebet. Sieben Kirchenälteste sind gerade neu gewählt worden und freuen sich über den Besuch aus Pommern. Sie erzählen: „Jeden Sonntag haben wir hier Gottesdienst. Nur einmal im Monat kommt Dean Grispe, um mit uns Abendmahl zu feiern. Alle anderen Gottesdienste gestalten wir allein!“ Sechs der sieben Ältesten haben einen Predigtauftrag und wechseln sich ab. Sie sagen das ohne besonderen Stolz. Es ist einfach ganz normal.

 

Hintergrund

Bis zur Gründung der Nordkirche wurde die Partnerschaft zu lutherischen Gemeinden von der damaligen Pommerschen Kirche gepflegt. 1975 gründete sich aus mehreren regionalen Kirchen die Evangelisch-Lutherische Kirche im Südlichen Afrika mit fünf Diözesen in Südafrika, einer Diözese in Botswana und einer weiteren in Swasiland. Die Kirche hat heute rund 580.000 Mitglieder. Mit der Kap-Oranje-Diözese und ihren rund 40.000 Mitgliedern hat 2001 ein Partnerschaftsvertrag die besondere Beziehung zur pommerschen Kirche bekräftigt. Der erste Bischof dieser Diözese war 1975 der Pommer Adalbert Brunke.