Es ist der letzte Tag der Konsultation. Wir sitzen im Hamburger Michel beim
Abschlussgottesdienst und lauschen der Bachkantate „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“. Besser hätte die Musik nicht ausgesucht werden können. Denn in den vergangenen Tagen haben wir begriffen, dass dieses Lied überall gesungen wird: in Brasilien, in Indien, auf den Philippinen. „Wenn ich die Augen schließe, dann denke ich, ich bin bei der Greifswalder Bachwoche“, sage ich zu Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit, der neben mir sitzt. „Das habe ich auch gerade gedacht“, sagt er lächelnd.
Das Evangelium wird gelesen, die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus. Und dann bekommt Lazarus ein Gesicht, eine Stimme, die tief ins Herz trifft. Am Mikrofon steht Isen Asanovski. Er ist der Sprecher seiner Gruppe von vierzig Roma, die den Hamburger Michel besetzt haben. Ihnen droht die Abschiebung, und sie wissen nicht mehr, wohin.
„Montenegro ist sicher für Montenegro-Leute. Kosovo ist sicher für Kosovo-Leute. Aber nirgends ist es sicher für uns Roma!“ Asanovski hält Zeitungsausschnitte hoch: „Wir sind hier her gekommen, weil wir keine andere Wahl haben. Da ist ein junger Mann, der umgebracht wurde, nur weil er Roma ist. Und hier - ein kleines Kind, 10 Jahre alt, umgebracht, nur weil er Roma ist. Und hier - dieser Roma ist geschlagen, nur weil er Roma ist. Und hier ist meine eigene Zeitung, meine eigene Geschichte. Mein eigenes 6-jähriges Kind, umgebracht. Und keine Polizei, kein Gericht, gar nichts. - Wir haben gesagt, wir gehen jetzt in das Haus Gottes. Gott soll jetzt unser Schicksal bestimmen. Der Priester (gemeint ist Hauptpastor Alexander Röder) und seine Mitarbeiter haben uns viel geholfen. Der Priester hat uns in seine Arme genommen. Wir danken dafür, dass er vieles in seine Hand genommen hat mit der Auslanderbehörde und den politischen Behörden. Wir haben uns entschieden. Sie sollen uns vom Gotteshaus abschieben, wenn sie uns abschieben. Gott soll für uns unser Schicksal bestimmen.“ (
Stellungnahme des Kirchengemeinderates zur Gruppe der Roma im Michel)
Bischof Zachariah Kahuthu aus Kenia beginnt seine Predigt mit der Frage eines europäischen Pastors, der in Kenia predigen sollte über den reichen Mann und den armen Lazarus. „Wie soll ich darüber predigen? Ich bin doch reich!“ fragte der Pastor den Bischof um Rat. „Sollte ich nicht lieber einen anderen Predigttext nehmen?“ Nein, wir können keinen anderen Text nehmen. Wir können nicht nur Bachkantaten hören, so schön sie sind. Wir müssen auch Isen Asanovski hören. Seine letzten Worte, das Finale seiner Rede: „Wir leiden auf der ganzen Welt, und keiner fragt sich, was mit uns passiert. Ich bitte euch noch einmal im Namen Gottes, ihr sollt uns helfen.“