Zu früh für einen Schlussstrich Mitteldeutsche Kirche will selbstkritisch die DDR-Zeit aufarbeiten

Von Diana Steinbauer

Die Wartburg ist ein Symbol für die Nähe von Martin Luther zu seinem Kurfürsten. Nähe zur Obrigkeit wird auch manchen Funktionären der Thüringer Landeskirche in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts nachgesagt.

Foto: Tilman Baier

12.03.2017 · Erfurt. Bei der Aufarbeitung der Geschichte von Christen und Kirchen in der DDR sind die Stimmen konträr: Endlich Schlussstrich, fordern die einen, endlich intensive Beschäftigung die anderen. Nachdem gerade der Pommersche Evangelische Kirchenkreis erklärt hat, sich noch einmal intensiv mit diesem Thema zu befassen, wollen dies auch der Freistaat Thüringen und die mitteldeutsche Kirche tun.

Wie konnte es passieren, dass zu Beginn der DDR 95 Prozent der Menschen einer der beiden Kirchen angehorten und es 1989 kaum mehr 30 Prozent waren? Diese Frage erforscht unter anderen Christopher Spehr, Kirchenhistoriker an der Friedrich- Schiller-Universität Jena. Er fordert, ein universitäres Zentrum zur kirchlichen Zeitgeschichte einzurichten.

Auch die Thüringer Landesregierung hat in ihrem zweiten Bericht zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der gerade das Kabinett passiert hat, erstmals die Rolle der Kirchen und Christen erwähnt. Ein Signal, dass die Aufarbeitung der Geschichte von Christen in der DDR keineswegs am Ende ist, sondern eher noch an ihrem Anfang steht. Das beurteilt auch Spehr so. Für ihn kann es, mehr als 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, keinen Schlussstrich geben. Ganz im Gegenteil: „Die Generation der Zeitzeugen wird alter und eine neue Generation fragt kritisch nach: Wie war das damals?“ Der Abstand zum Geschehen sei eine Chance, dieses Kapitel der DDR-Geschichte objektiv und interdisziplinar aufzuarbeiten, vor allem, da es emotional bisher hoch aufgeladen war.

Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) widmet sich ebenfalls der Aufarbeitung dieses Teils ihrer Geschichte. „25 Jahre nach der friedlichen Revolution hat sich der Landeskirchenrat 2014 mit der Frage nach der Rolle der Christen in der DDR beschäftigt“, erklärt Oberkirchenrat Christian Fuhrmann. Daraus sei der „Beirat für Versöhnung und Aufarbeitung“ entstanden. Bestehend aus Mitgliedern der Kirche, Theologen, Historikern und Juristen, ermittelt er Themen, spricht mit Institutionen und bündelt Ergebnisse.

Drei Themengebiete im Fokus

„Drei Themengebiete haben wir vor Augen. Da sind zum einen die Menschen, die als Mitarbeiter der Vorgängerkirchen der EKM in der DDR-Zeit als Christen verfolgt wurden. Wir wollen sie zu Wort kommen lassen und schauen, wie sich die Landeskirchen zu diesen Menschen verhalten haben. Wo sind Fälle auszumachen, wo Kirchenleitungen ihrer Schutzfunktion nicht entsprochen haben?“, so Fuhrmann.

Zum anderen will man der Frage nachgehen, wie theologisch und kirchenrechtlich mit Pfarrerinnen und Pfarrern umgegangen wurde, die nach ihrer Ausreise ihre Ordinationsrechte verloren hatten. Auch die Gruppe der „verfolgten Schüler“ nimmt der Beirat in den Blick. Entscheidend sei, so Fuhrmann, der selbstkritische Blick der Institution Kirche.

Das Thema sollte aber nicht nur innerhalb der Kirchen diskutiert werden. Denn die Christenfeindlichkeit der DDR beschäftige auch Menschen, die keiner Konfession angehorten, meint Christian Dietrich, Landesbeauftragter für die Aufarbeitung des SED-Unrechts. Er sieht die Religionsfreiheit als Herausforderung für die Verantwortlichen in der Politik. „Ein Weg dazu ist die Aufklarung und Verurteilung der Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der SED-Diktatur.“

Ein anderer Aspekt sei die individuelle Rehabilitierung der Opfer. Hier gebe es eine evidente Gerechtigkeitslücke. Die Kirchen stunden vor einer ganz eigenen Herausforderung. Und, so Dietrich weiter: „Sie sollten den Menschen, die Gottvertrauen über Menschenfurcht gestellt haben und dabei oft auch in Konflikt mit ihrer Kirche kamen, wenigstens Anerkennung zollen.“ 

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 10/2017