Mitarbeitertagung der Kinder- und Jugendarbeit (MAT) Gute Gastfreundschaft ist nüchtern

Von Tilman Baier

Gastfreundschaft ohne Überforderung: Einen Nachmittag pro Woche kümmert sich Melanie Rakien um die kleine Luijain.

Foto: epd/D. Heese

13.01.2017 · Salem. Das erste Großereignis im neuen Jahr in der evangelischen Kirche in MV ist seit Jahrzehnten die Mitarbeitertagung der Kinder- und Jugendarbeit (MAT). Diesmal hatte das Kinder- und Jugendwerk Mecklenburgs für die MAT vom 4. bis 6. Januar in Salem bei Malchin zum Thema „An deinem Tisch - Gastfreundschaft in der Kinder- und Jugendarbeit“ eingeladen – in bewährter Kooperation mit der Kinder- und Jugendarbeit des Kirchenkreises Pommern.

Gastfreundschaft gegenüber Fremden ist nicht einfach. Friedemann Müller vom evangelischen Kinder- und Jugendwerk in Mecklenburg hat da so seine Erfahrungen: „Als wir im Sommer unser Jugendcamp ‚Fette Weide‘ in Tempzin vorbereiteten, da wollten wir bewusst das Treffen auch für junge Flüchtlinge öffnen. Darum haben wir auch zwölf Syrer mit in die Planungsrunde eingeladen“, erzählt er. Die Muslime unter den Gästen hatten dann auch sehr klare Vorstellungen, was alles nicht sein dürfe: Kein Kruzifix im „Raum der Stille“, kein Gebet zu Jesus Christus im Abschlussgottesdienst... Das Vorbereitungsteam ließ sich darauf ein – aber dann nutzte keiner der Muslime den Raum der Stille oder war beim geistlichen Abschluss dabei.

„Das hat mir sehr zu denken gegeben“, erzählt der Referent für Jugend- und Jugendsozialarbeit. Und er ist beim Thema Gastfreundschaft, gleich ob gegenüber Fremden aus anderen Kulturen oder der lieben Verwandtschaft, zu dem Ergebnis gekommen: „Nimm dich selbst in deinen Grundüberzeugungen gegenüber Gästen nicht zurück – es sei denn, es fördert ein echtes Miteinander, und als Vorleistung schon gar nicht.“ Das gelte auch in den Gemeinden gegenüber einheimischen Konfessionslosen: Die Botschaft gegenüber Gästen, so meint er, müsse generell lauten: „Du bist herzlich willkommen, aber ich werde mich für dich nicht verbiegen – und es gibt unter uns Spielregeln, an die sich alle zu halten haben.“

Ganz ähnlich argumentiert auch Wolfgang Vorländer, rheinischer Pfarrer und Berater von Führungskräften im Evangelischen Bildungswerk Leverkusen, der eines der beiden Hauptreferate auf der diesjährigen MAT hielt. Für ihn ist die alte Regel des Mönchsvaters Benedikt von Nursia im Umgang mit Klostergästen noch immer beispielgebend, so wie er sie selbst als Gast im Kloster Maria Laach in der Eifel erlebt – mit viel Freiheit und Entgegenkommen, aber auch mit der Forderung nach unbedingter Einhaltung einiger Grundregeln wie die Teilnahme am gemeinsamen Essen. Vor allem aber gibt es mit der Klausur einen Schutzraum für die Gastgeber, in dem der Gast nichts zu suchen hat. Bei Missbrauch der Gastfreundschaft endet diese, stellt der Autor zweier Bücher zum Thema „Gastfreundschaft “ klar.

Gastfreundschaft emotional nicht überfrachten

Vorländer warnt auch vor der Gefahr, Gastfreundschaft gegenüber Fremden emotional zu überfrachten: Es ist für ihn nach Benedikt von Nursia eher ein ganz nüchternes Handeln im Sinne Jesu: Wenn einer in Not kommt, wird ihm solange geholfen, bis er die Hilfe nicht mehr braucht – oder als Last für den Gastgeber untragbar wird. Und er stellt klar: Durch ihre lange Frühgeschichte in kleinen Clans in feindlicher Umwelt sind wir Menschen bis heute so programmiert, dass wir alles Fremde als Gefahr ablehnen. Erst Kultur und Religion haben in uns ein Mitgefühl mit Menschen, die nicht zum eigenen Clan gehören, wachsen lassen. Fremden Menschen und neuen Situationen offen gegenübertreten können nur diejenigen, die sich selbst mögen. Denn das sei für die Ausbildung einer starken Identität nötig, die es dafür braucht, so Vorländer.

Für die im Abschlussgottesdienst ins Rostocker Gemeindepfarramt verabschiedete mecklenburgische Jugendpastorin Elisabeth Lange sind das die stärksten Sätze aus dem Vortrag, zusammen mit den Grundbedingungen, die Vorländer für ein gelingendes Miteinander von Fremden und Einheimischen benennt – und sei es, wenn jemand neu in eine Schulklasse kommt: Beide Seiten brauchen die Erfahrung von Selbstbestimmung und Freiheit, brauchen die grundsätzliche Wertschätzung durch den anderen sowie Wohlergehen, Nähe und Zugehörigkeit zu einer Gruppe – weswegen Vorländer auch für das Recht von Einwanderern wirbt, Communitys zu bilden.

Mit diesem Vortrag, dem Referat der Greifswalder Religionswissenschaft lerin Stefanie Gripentrog sowie 15 Workshops bestimmte das MAT-Thema die Tage in Salem stärker als sonst, so der Eindruck der Veranstalter. Mit 165 Teilnehmern, davon rund 35 aus Pommern, und 35 vom MAT-Team ist zudem die obere Auslastungsgrenze des Tagungszentrums erreicht worden.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 02/2017