Interview zum Thema Kunst und Kirche Pröpstin Britta Carstensen: "Kunst kann ein Türöffner sein“

05.10.2020 · Rostock/Neustrelitz. Kunst und Kirche, KünstlerInnen und Kirchengemeinden in Mecklenburg-Vorpommern pflegen intensive Kontakte, stehen im verstärkten Dialog – wobei die Bildende Kunst zunehmend in das Blickfeld gerät. Mit einer Extra-Seite hier im Internetportal kirche-mv.de sollen der Dialog und die Zusammenarbeit befördert werden. Ein aktuelles Beispiel ist ebenso die Aktion „Kunst Heute“ bei der in 20 Kirchen in MV verschiedene Ausstellungen zu sehen sind. Wir sprachen dazu mit der mecklenburgischen Pröpstin Britta Carstensen, in deren Propstei Neustrelitz das Thema besonders engagiert vertreten wird.

Unsere mecklenburgischen Kirchen bergen Kunstschätze aus mehreren Jahrhunderten. Warum ist es dennoch für Sie sinnvoll, in einem historischen Kirchenraum zeitgenössischer Kunst zu zeigen?

Carstensen: Erstens, weil der Mensch seine religiösen Empfindungen von Anfang an künstlerisch dargestellt hat.  Offenbar ist Kunst eine besonders tiefgehende Ausdrucksform für die Fragen nach Sinn, Leben, Endlichkeit und dem Transzendenten überhaupt. Zum Zweiten: Ja, unsere Kirchen sind kleine und große historische Schatzkästchen voller schöner und oft ausdruckstarker Kunstwerke. Die religiöse Bildsprache der Bilder, Statuen und Ausstattung ist aber vielen Menschen heutzutage fremd geworden. Wenn unsere Kirchen nicht nur Museen einer vergangenen Zeit sein sollen, sondern Lebensorte für die Gegenwart, dann darf es gerne Raum für Diskurs, Übersetzung und Interpretation geben. Zeitgenössische Kunstwerke in Kirchen können da bereichern und zum Nachdenken und Gespräch anregen. Wenn es gut gemacht wird, entsteht ein anregender Dialog zwischen Alt und Neu.

Kann aktuelle Kunst auch einen Zugang zu transzendenten Welten eröffnen, der ursprünglich allein dem Gottesdienst vorbehalten war?

Carstensen: Ja, das kann geschehen. Es kommt vor, dass ein modernes Kunstwerk mich innerlich zutiefst bewegt, so dass ich lange davor stehen bleiben muss. Auch, wenn es offenbar gar nichts mit dem Glauben zu tun hat. Dann erahne ich hinter dem künstlerischen Ausdruck und Motiv für mich ein Mehr. Eine Frage, die auch mich umtreibt. Einen Zweifel, der vielleicht doch nicht ohne Hoffnung ist. Ein Verständnis, das mich auf eine tiefere Dimension des Lebens hinweist, das zu mir spricht, mich erfreut und auch tröstet. Ich würde das auch als eine Möglichkeit der Gottesbegegnung beschreiben.   

Eine religiöse Intention steht oft aber nicht im Vordergrund, wenn Kunstausstellungen in Kirchen geplant werden, da vielmehr die Urlaubsgäste im Blick sind. Welche Möglichkeiten sehen Sie, dass zeitgenössische Kunst dennoch das Gemeindeleben bereichern kann?

Carstensen: Eine echte Bereicherung des Gemeindelebens entsteht da, wo zeitgenössische Kunst nicht einfach nur dekorativ oder plakativ aufgestellt wird, sondern wo ein lebensrelevanter Gesprächs- und Denkraum aufgemacht wird. Und wo die Grenzen des Kirchenraums fluide werden, weil ausdrücklich das Interesse des nichtkirchlichen Umfelds gesucht wird. Das braucht eine Fragestellung, über die Kunst und Theologie in den Diskurs gehen können. Und eine gute inhaltliche Abstimmung mit dem oder der Künstler bzw. Künstlerin. Es braucht zudem eine ordentliche Einladung und Eröffnung der Ausstellung, Künstlergespräche, thematische Gottesdienste und vor allem immer wieder begleitende Veranstaltungs- und Mitmachangebote für die verschiedenen Altersgruppen, die im Umfeld Jung und Alt einzubinden versuchen. Darum bedarf es einer wirklichen Entscheidung von Haupt- und Ehrenamtlichen für die Ausstellung. Denn so ein temporäres Projekt will gut vorbereitet sein und mit Lust gestaltet werden.

Heißt das auch, dass gerade die kritischen Anfragen an traditionelle Glaubensvorstellungen in Werken von Künstlern Menschen mit zeitgenössischem Lebensgefühl wieder verstärkt mit Kirche in Berührung bringen können?

Carstensen: Ja. Kirchenferne Menschen von heute entdecken den Kirchenraum neu. Lassen sich anregen und inspirieren, kommen ins Gespräch und Nachdenken. Werden berührt. Sie lernen ihre Kirche mit anderen Augen zu sehen. Und wenn es gut geht, treffen sie auf Kirchenmenschen, die mitten im Leben stehen und darüber reden, was sie bewegt und durch´s Leben trägt. Kunst kann so ein Türöffner sein, um die Neugier am Anderen zu wecken und Lebens- und Glaubensfragen neu oder vielleicht auch erstmals in den Blick zu nehmen.

Warum empfehlen Sie Kirchengemeinden, die mit bildenden Künstler*innen zusammenarbeiten möchten, sich auf der Themenseite unter www.kirche-mv.de zu informieren?

Carstensen: Es geht um die hilfreichen Basics: Von Musterverträgen für Kunstausstellungen über die Frage von Vergütungen bis hin zu einem Überblick über Fördermöglichkeiten werden interessierte Kirchengemeinderäte hier viele wichtige Informationen zum Thema finden.  

Damit die Zusammenarbeit zwischen Kirchengemeinde und Künstler*innen gelingt – worauf sollte besonders geachtet werden?


Carstensen: Es braucht eine Überschrift, ein gemeinsames Thema, das von beiden Seiten beackert wird. Künstler und Kirchengemeinde sollten neugierig aufeinander sein und offen miteinander umgehen. Künstler müssen sich bewusst sein, dass eine Kirche nicht einfach ein neutraler Ausstellungsraum wie jeder andere ist. Und Kirchengemeinderäte müssen sich bewusst machen, dass Künstler ihren eigenen Zugang zum Thema haben und nicht per se eingängige fromme Kunst machen. Außerdem geht es um ganz Handfestes: Es muss z.B. klare Absprachen geben, wo und wie lange die Kunst im Kirchenraum platziert wird. Denn das kann bedeuten, dass ein Kirchenraum möglicherweise nicht im gewohnten Umfang für Gottesdienste oder Kasualien genutzt werden kann. Wenn es so ist, muss das in die Gemeinde hinein klar kommuniziert werden. Auch Versicherungs- und Vergütungsfragen müssen im Vorfeld geregelt werden.
 
Welche Gegenwartskunst in einer Kirche hat Sie in jüngster Zeit besonders beeindruckt?

Carstensen: Das Auferstehungsfenster von Johannes Schreiter im Kloster Loccum oder das Friedensfenster in der Thomaskirche in Leipzig. Die Wolkeninstallation von Barbara Lorenz-Höfer in der Kirche zu Rosenow, die bei einem Kunstprojekt zum Reformationsjubiläum entstanden ist. Oder auch die nicht mehr ganz so neue Kunst der Expressionisten, das „Skizzenbuch aus dem Felde“ von Franz Marc und die Engel von Paul Klee.

Quelle: ELKM (Das Interview führten Maria Pulkenat und Christian Meyer