Betrachtung zum Pfingstfest vom Oldenburger Bischof Thomas Adomeit Gottes Geistkraft verwandelt

Im Pfingstfenster der Trinitatiskirche zu Dinklage ist im unteren Drittel die Sprachverwirrung nach dem Turmbau zu Babylon zu sehen – und darüber das Pfingstwunder.

Foto: ELKO

09.06.2019 · Oldenburg. Gottes Geist schenkt Verständigung auch über Grenzen hinweg, gleich ob sie soziale, kulturelle oder sprachliche Ursachen haben. Das ist der Kern der Pfingstbotschaft, die vor allem nach dem mörderischen Zweiten Weltkrieg immer wieder auf Kirchenfenstern als Hoffnungsgrund dargestellt wurde.

Liebe Leserinnen und Leser, zwei Szenen kommen mir in den Sinn, wenn ich an Pfingsten und die Pfingstgeschichte denke. Sie sind sehr unterschiedlich.

Die erste: Bei einer Bürgerstunde zur Gestaltung eines Neubaugebietes ging es hoch her. Vertreter der Stadt – Mitarbeitende aus dem Planungsamt – gaben sich redlich Mühe, das Stadtteilkonzept vorzustellen. Familien hatten sich eingefunden, die nach einem Bauplatz suchten. Langjährige Bewohnerinnen und Bewohner befürchteten eine zu starke Verdichtung, andere stimmten für die Einrichtung eines Naherholungsgebietes. Einige wollten alles belassen wie bisher.

Am Ende hörte keiner mehr zu, zerstritten gingen die Gesprächspartner auseinander. Ein Mitarbeiter des Planungsamtes raunte etwas frustriert: „Hier hat keiner mehr Verständnis für den anderen Menschen.“ Sie alle sprachen dieselbe Sprache, haben aber doch nicht miteinander gesprochen.

Einigkeit trotz Unverständnis

Die zweite: Anlässlich der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 2017 in der namibischen Hauptstadt Windhuk wurde Gottesdienst gefeiert, Tausende Menschen aus aller Welt versammelten sich in einem großen Stadion, die unterschiedlichsten Sprachen waren zu hören. Liturgie, Predigt, Bibelworte und Grußworte bildeten einen Klangteppich aus vielen Sprachen – aus Englisch, Schwedisch, Afrikaans, Koreanisch sowie verschiedenen afrikanischen Sprachen, und dann wurde das Vaterunser in der jeweils eigenen Muttersprache gebetet.

Am Ende waren sich alle einig: Wir haben kaum die Sprache des Nächsten verstanden, aber wir alle waren uns wunderbar einig. Der Geist des Friedens, der Versöhnung und der Liebe waren mittendrin, spürbar und erlebbar. Mit Händen und Füßen wurde geredet, gestikuliert und umarmt. Im Gottesdienst schenkte Gott uns Gemeinschaft untereinander – und war sicher selbst dabei.

Das wunderbare Fensterbild in der Trinitatis-Kirche in Dinklage im Oldenburger Münsterland erzählt von Pfingsten. Beide Szenen tauchen darin auf. Das untere Drittel zeigt die bittere Erfahrung von Streit, Unverständnis und Größenwahn. Eine Stadt und einen Turm wollten sie – die Bewohner Babylons – sich bauen, in den Wettstreit mit Gott treten (1. Mose 11).

Doch der hochmütige Plan wird – im Bild mit einer Faust aus der Höhe – zunichte gemacht. Streit, die Unfähigkeit, auf den anderen zu hören, wie auch die Selbstüberschätzung führen dazu, dass niemand mehr den anderen versteht. „Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe!“ So kündigt Gott das Ende allen Verstehens an.

Im oberen Teil des Bildes wird die Sprachverwirrung, die bezeichnend ist für unsere Welt des Unfriedens, der Hetze und Drohungen, verwandelt. Mit Brausen, im Symbol der Taube und der Feuerflammen, erfüllt der Heilige Geist die Versammlung. Verwundert kam die Menge zusammen, „denn ein jeder hörte den anderen in seiner eigenen Sprache reden“. So beschreibt es die Apostelgeschichte im zweiten Kapitel: das Wunder von Pfingsten!

Entscheidend ist nicht die Herkunft

Wer einmal erlebt hat, wie sich Menschen auch über Sprachgrenzen hinweg verstehen können, weiß: Weder die Sprache noch die Hautfarbe, weder unsere Herkunft noch das Land, aus dem wir kommen, sind am Ende entscheidend. Am Ende entscheidet über das Wohlergehen der Menschen, ob sie im Geist der Liebe, der Barmherzigkeit und der Versöhnung miteinander unterwegs sind.

Natürlich kenne ich die Erfahrung der Unversöhnlichkeit. Ich bin manchmal gefangen im Kreisen um mich selbst und meine Pläne. Und bin dankbar, wenn mich dann jemand herausruft aus dem eigenen Gefängnis, mich befreit zu neuem Hören. Manchmal durch einen lieben Menschen, manchmal durch das Hören auf das Wort Gottes, manchmal im Gebet.

Diese Erfahrung brauche ich – vielleicht wir alle – noch viel öfter: dass wir dem Geist Gottes zutrauen, dass er auch uns verwandelt und frei macht zum Hören und Verstehen.

Schauen Sie noch einmal auf das Bild: Die Szene von der Verwandlung im oberen Teil umfasst nahezu zwei Drittel des gesamten Fensterbildes! Sprachverwirrung, Leid und Zwietracht mögen das Leben, die Welt weiter bedrängen. Doch die Verwandlung schiebt sich von oben in das Bild. Der Streit mag groß sein, aber Gottes Geistkraft ist größer und verwandelt uns, ja die ganze Welt!

Ich wünsche Ihnen ein frohes und gesegnetes Pfingstfest 2019 – erfüllt von Verstehen, Hören und fröhlicher Verwandlung.

Thomas Adomeit, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 23/2019