Gospelkombinat Nordost besuchte Lettland und Litauen Menschen, Glaube und Gesang

Von Nicole Chibici-Revneanu

Das Gospelkombinat Nordost war auf Chorreise durch Lettland und Litauen. Auftritte und die Begegnung mit Menschen und Glauben standen im Mittelpunkt der Fahrt.

Foto: Nicole Chibici-Revneanu

09.09.2018 · Groß Biesdorf. Das Greifswalder Gospelkombinat Nordost war im August auf Chorreise in Lettland und Litauen. Länder, die auf eine lange, reiche Chortradition zurückblicken. Die Sänger lernten Kirchen, Gemeinden und Menschen kennen, erlebten große Gastfreundschaft und Leidenschaft für die Musik.

„Ihr traut euch ja was – als Chor von anderswoher in so ein Sängerland zu kommen!“, lachte Ieva in der Kirche von Tukums, unserer ersten Chorfahrtstation. Ja, wir trauten uns: als verhältnismäßig kleiner Chor aus dem Nordosten Deutschlands in zwei Länder zu fahren, die ihre Traditionen in Liedern und Gesängen bewahrt haben, als andere Wege teils verboten waren, die mit der „Singenden Revolution“ 1991 Geschichte geschrieben hatten und die bis heute Sängerfeste mit zigtausend Mitwirkenden und weiteren zigtausend Zuhörern feiern. Wir trauten uns, weil wir gespannt waren auf Lettland und Litauen, auf die Menschen, das Leben und die Gemeinden. Wenn man die Sprache der Menschen nicht spricht, ist das Singen ja vielleicht sogar ein besonders guter Weg, einander trotzdem zu begegnen.

So weit die Theorie. Die Praxis dieser Chorreise sah anders aus. Die Begegnungen bestanden aus weit mehr als Singen: gemeinsam durch die Wellen toben. Gemeinsam musizieren. Englisch und Russisch mit Händen und Füßen und zum Glück immer auch freundliche Menschen, die unsere Sprache sprachen. Kirchen kennenlernen, Gemeinden kennenlernen, diakonische Einrichtungen kennenlernen, ab und an auch mal mit anfassen, wenn für ein Hilfsprojekt etwas verladen werden sollte. Jede Menge Blumen, die wir nach Konzerten bekamen und wahlweise in improvisierte Vasen im Quartier stellten oder an nette Menschen weiterschenkten. Dazu Essen und Trinken in überwältigender Fülle. Letten und Litauer sind offenbar nicht nur im Singen Weltmeister, sondern auch im Bewirten. Über all den Buffets, Kaffeetafeln und Gastmählern lernten wir Menschen kennen und ihre Geschichten und die Geschichten ihrer Gemeinden, ihrer Kirchen.

Ievas Geschichte kenne ich noch von meinem letzten Besuch in Lettland, gemeinsam mit einer Gruppe Pastorinnen und Pastoren. Eigentlich hatten wir bei dieser Gelegenheit ihren Mann Marcis Zeiferts besucht, der Vorsitzender des lettischen Pfarrvereins ist und uns viel über die Herausforderungen seiner Kirche erzählte. Ieva hat auch Theologie studiert, aber Pastorin werden durfte sie nicht: Die evangelische Kirche in Lettland hat die Frauenordination abgeschafft. Dass die evangelische Kirche in Lettland insgesamt einen problematischen Kurs eingeschlagen hat, mussten wir bei diesem Konventsbesuch 2017 an mehreren Stellen erfahren. Unsere Chorfahrt steuerte darum absichtlich Gemeinden an, wo dennoch Begegnung und Gemeinschaft möglich sind. Tukums zum Beispiel, wo wir nach der liebevoll angerichteten Kaffeetafel auch noch mit der Pfarrersfamilie zur Rigaer Bucht aufbrachen.

Keine Frauenordination in Lettland

Oder auch die anglikanische Gemeinde in Riga, der mit Jana Jeruma-Grinberga eine Frau als Chaplain vorsteht. „We extend a special welcome to those who are single, married, divorced, widowed, gay, confused, filthy rich or dirt poor …“, beginnt das Schild an der Außenseite und macht mit einer so ausführlichen wie originellen Aufzählung gleich am Eingang klar: Integration und Toleranz sind hier Programm. Entsprechend wohl fühlten wir uns im Gottesdienst, den wir gemeinsam mit dem extra aus Tallinn angereisten Vertretungspastor Stiiv und einem russischen Assistenten gestalteten. Nach einem verlängerten Wochenende in Lettland ging es weiter nach Litauen.

Die pommersche Pastorin lernte: In Lettland gibt es keine Frauenordination mehr, aber es gibt Pastorinnen. In Litauen wäre die Frauenordination theoretisch möglich, aber Pastorinnen sind dort nicht im Einsatz. Vielleicht ist die Prägekraft der katholischen Mehrheitskirche allzu groß?

Was jedenfalls ganz erstaunlich groß ist, ist der gesellschaftliche Einsatz der kleinen lutherischen Kirche – und das, was Pastoren und andere haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende dieser Kirche leisten. Zum Beispiel Laura und Mindaugas Kairys, unsere Gastgeber für die nächsten Tage. Sie erlaubten uns Einblicke in ihre kirchenmusikalische, diakonische und gemeindliche Arbeit, und wir kamen aus dem Staunen nicht heraus.

Was hier alles möglich oder schon gelungen ist – wenn eine Gesellschaft sich neu sortiert und eine Kirche ihren Auftrag darin erkennt, den Schwachen zu helfen und den Stärkeren dabei zu unterstützen, den Schwächeren zu helfen! Da steht eine neu erbaute Kirche auf einem Gelände, das in der Sowjetzeit KGB-Zentrale samt Gefängnis war, und wir probten hier und fragten uns, wie es für die Einwohner der kleinen Stadt Jurbarkas sein muss, an einen so belasteten Ort zum Gottesdienst oder zum Konzert zu kommen.

Die richtigen Leute begeistern können

Aber sie kamen reichlich zu den Konzerten, in Jurbarkas, Batakiai, Skaudvile und Vilkyskiai. Die Freundlichkeit, die uns entgegenschlug, ist enorm – auch dann, wenn sich eine Holzkirche während des Konzerts in eine subtropische Klimazone verwandelte. Spannend waren auch die Gespräche nach den Konzerten, eingerahmt von überbordender Kulinarik.

Dort erfuhren wir zum Beispiel von Sommerferienlagern, die von Jahr zu Jahr mehr Kinder und Jugendliche anziehen, auch solche ohne kirchlichen Hintergrund, von abenteuerlichen Orgeleinbauten, die einer halb verfallenen Dorfkirche ganz neuen Schwung und Leben einhauchen konnten, und von vielem mehr, das möglich wird, wenn man die richtigen Leute für seine Kirche und den Glauben begeistern kann. Begeistert waren wir auch, wenn auch langsam etwas erschöpft.

So nahmen wir nach eineinhalb erlebnisreichen Wochen nicht nur viele Eindrücke mit nach Hause, sondern auch die eine oder andere Idee, wie wir die neu gewonnenen oder neu belebten Verbindungen weiter pflegen wollen.

Mit einem Benefizkonzert zum Beispiel oder vielleicht eines Tages sogar mit einem internationalen Kindermusicalprojekt. Eines ist jedenfalls sicher: Wir sind ins Nachdenken gekommen über das, was auch eine kleine Kirche alles ist oder sein kann – und haben erlebt, wie Glauben und Musik die Menschen verbinden können.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 36/2018